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Ein frisch gebackener Chemiker erklärt uns „Legal Highs”

Mathias entwickelt und synthetisiert potentiell psychoaktive Chemikalien für Forschungszwecke, aber er er sagt, dass man lieber Pilze naschen sollte, als etwas aus seinem Labor zu nehmen.

Foto: Jean-Pierre | Flickr | CC BY-SA 2.0

Solange Regierungen verhindern wollen, dass junge Menschen herumlaufen und willkürlich Drogen futtern, solange wird es Chemiker geben, die unermüdlich daran arbeiten, neue Drogen zu entwickeln, die noch nicht verboten wurden.

Neuartige psychoaktive Substanzen (NPS), auch Forschungschemikalien genannt, werden häufig als legale Rauschmittel verkauft. In Deutschland bewegt sich der Handel in einem gesetzlichen Graubereich. Weil nur Einzelsubstanzen und keine Substanzgruppen namentlich ins Betäubungsmittelgesetz aufgenommen werden und die chemische Struktur neuerer Substanzen häufig noch unbekannt ist, können Händler nach erfolgtem Verbot einer Substanz die chemische Formel der Droge gerade genug verändern, um theoretisch nicht mehr mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen.

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NPS stammen häufig aus der medizinischen Forschung. Die chemische Formel dieser experimentellen Substanzen wird in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht, wo sie auch Menschen zugänglich ist, die darauf aus sind, schnelles Geld zu machen. Sie stellen diese neuen Drogen massenweise her und verkaufen sie an Menschen, die sich zum Spaß zudröhnen wollen. Da aber die chemische Struktur verändert wurde, kann man sich nie wirklich sicher sein, was man da eigentlich in die Hand bekommt und wie die Substanz tatsächlich wirkt. Das macht sie ziemlich gefährlich.

Ich wollte herausfinden, wie gefährlich diese Drogen sind. Deshalb habe ich mit meinem guten Freund Mathias gesprochen, der für seine Masterarbeit NPS auf Grundlage von 2C-B entwickelt und hergestellt hat.

VICE: Grüß dich, Mathias. Wie geht’s?
Mathias: Geht. Ich habe gerade meine Masterarbeit abgegeben und hänge jobmäßig noch in der Luft.

Worüber hast du deine Masterarbeit geschrieben?
Die Herstellung potenziell selektiver 5-HT2A-Rezeptoragonisten.

Und jetzt noch mal in der „Chemie für Dummies”-Version?
Fast alle Halluzinogene, wie z.B. Meskalin oder LSD, haben etwas gemeinsam. Sie aktivieren ein bestimmtes Protein im Gehirn, den 5-HT2A-Rezeptor [einen Serotonin-Rezeptor], und ein paar andere, sehr ähnliche Proteine. Ich habe versucht, neue chemische Komponenten zu entwickeln, die nur 5-HT2A aktivieren, um herauszufinden, wofür genau dieses Protein verantwortlich ist und wie es wirkt. Wir wissen nämlich bereits, dass es eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen und Sinnesreizen spielt.

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Stell dir 5-HT2A  einfach als Schloss vor, das sich mit mehreren Schlüsseln öffnen lässt. Wir versuchen, den besten Schlüssel zu finden.

Die chemische Gleichung von 2C-B. Bild: Wikimedia | Public Domain

Also entwickelst du neue Drogen?
So könnte man das auch nennen. Ich habe am chemischen „Skelett” von 2C-B, einem synthetischen Halluzinogen, gearbeitet. Ich habe die chemische Struktur minimal verändert. Mein Ziel wäre es, eine Droge herzustellen, die zwar nicht die psychedelischen Eigenschaften von Halluzinogenen aufweist, aber trotzdem Selbsteinsicht und Stimmungsschwankungen hervorruft. Wir testen die Verbindungen allerdings nur am Protein selbst, um zu sehen, ob sie es aktivieren können, und wenn ja, wie gut. Es ist schwer zu sagen, wie diese Substanzen bei Menschen wirken würden.

Aktuelle Studien aus den USA haben gezeigt, dass Drogen wie Ecstasy, das ja eigentlich kein Halluzinogen ist, in Verbindung mit einer Psychotherapie eingesetzt werden könnten, um solche Leiden wie die [Posttraumatische Belastungsstörung zu behandeln](http:// http://www.sciencedaily.com/releases/2010/07/100719082927.htm). Sie haben ebenfalls herausgefunden, dass Psilocybin—ein Halluzinogen—die Todesangst bei todkranken Patienten verringern kann. Ich glaube nicht, dass sich die Substanzen, die ich hergestellt habe, als Drogen zur Unterstützung einer Psychotherapie eignen, aber mit Gewissheit kann man das nicht sagen. Der Zusammenhang zwischen chemischer Struktur und Aktivität wird momentan per Trial-and-Error-Methode erforscht.

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Werden eure Forschungsergebnisse in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht?
Ja. Ein Doktorand, mit dem ich zusammengearbeitet habe, hat kürzlich einen Artikel darüber veröffentlicht, wie eine neue Drogenkategorie—NBOMe—im Körper verarbeitet wird. Das hat sich so ergeben, weil einige dieser Drogen auf dem grauen Markt [auf dem legale Produkte über inoffizielle Kanäle gehandelt werden] aufgetaucht sind und viele Menschen, die sie genommen haben, in Internetforum darüber geschrieben haben, dass die Substanzen nicht wirken, wenn man sie herunterschluckt. Damit sie wirken, muss man sie unter die Zunge legen.

Wie gelangen diese Drogen auf den grauen Markt?
Wir stellen Verbindungen her, um etwas über die Funktionsweise unseres Gehirns zu erfahren und vielleicht neue Medikamente entwickeln zu können. Unsere Absicht ist nicht, Freizeitdrogen herzustellen. Irgendwann liest vielleicht jemand mit Zugang zu einem Labor einen Artikel über eine neue, interessante Gruppe von Verbindungen, die ähnlich auf den Körper wirken wie Freizeitdrogen. Wenn diese Person feststellt, dass gerade diese Substanzgruppe noch nicht illegal ist, kann sie eine große Menge davon herstellen und sie als Räuchermischung oder Badesalz verkaufen und so eine Menge Geld verdienen, bevor die Substanzen verboten werden.

Wo wird das Zeug denn hergestellt?
Schwer zu sagen. Wahrscheinlich irgendwo, wo die Drogengesetze nicht so streng sind. Dann wird es nach Europa gebracht und von Europa aus in die ganze Welt verschifft.

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Weshalb sind diese experimentellen Substanzen so gefährlich?
Nur ein Bruchteil von ihnen wurden je toxikologisch an Tieren, einschließlich Menschen, getestet. Die meisten der Händler haben kein Interesse daran sicherzustellen, dass die Substanzen ihren Kunden nicht schaden. Sie fehldeklarieren sie als „nicht zum menschlichen Verzehr geeignet“. Damit sind sie aus dem Schneider, falls doch mal jemand tot umfällt. Ich weiß, dass einige der Händler Interesse an toxikologischen Tests bekundet haben. Aber solche Tests kosten Millionen, von daher weiß ich nicht, wie ernst es ihnen damit ist.

Welche Trends kann man momentan in diesem Bereich beobachten?
Neben zahlreichen chemischen Variationen von Amphetaminen und Cannabinoiden sind einige neue Gruppen von Halluzinogenen in Umlauf geraten. Man hat festgestellt, dass die Gruppe, die ich vorher erwähnt habe, NBOMe, 5-HT2A selektiv aktiviert und das ziemlich potent. Sie sind leicht aus Phenethylaminverbindungen wie 2C-B oder 2C-T-2 herzustellen. In einem einfachen chemischen Prozess lässt sich so die Potenz um ein Vielfaches steigern.

Für Wissenschaftler ist das wirklich interessant. Für Chemiker, die den grauen Markt beliefern, kann das eine Möglichkeit sein, ihr Gehalt aufzubessern. Mische einfach 2C-B mit etwas Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff und schon hast du eine neue, wirkungsvolle Droge, mit der du geltendes Recht umgehen kannst.

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Foto: Stug.stug | Wikimedia.JPG) | CC BY-SA 3.0

Wenn du also Substanzen im Wert von 50.000 hast: Kannst du sie einfach chemisch verändern und so zu einem Haufen Drogen im Wert von 500.000 kommen?
Theoretisch ja. So würde ich das nicht ausdrücken. Ich weiß nicht, ob man mit Halluzinogenen so viel Geld machen kann, aber das ist des Pudels Kern. Man kann die chemische Struktur ins Unendliche verändern, indem man die Formel jedes Mal ein kleines bisschen variiert. Aber als Wissenschaftler und vernünftiger Mensch würde ich niemandem empfehlen, Freizeitdrogen zu nehmen, erst recht keine Forschungschemikalien. Niemand weiß, welchen Schaden sie im Körper anrichten können.

Es gab Todesfälle im Zusammenhang mit dem Konsum von Substanzen aus der NBOMe-Gruppe. Soweit ich weiß, ist das bei Phenethylaminen wie 2C-B nicht vorgekommen. Wir wissen nicht genau, wie und weshalb diese Menschen sterben. Bei manchen lösen die Substanzen so etwas wie einen psychotischen Schub aus und dann fallen sie tot um.

Pharmakologen sprechen von dem sogenannten therapeutischen Fenster. Wie muss man die Droge dosieren, um sie nicht überzudosieren? Bei diesen neuen Verbindungen ist dieses Fenster ziemlich klein. Einerseits weil sie so wirkungsvoll sind und das schon bei einer Dosis im Bereich von Mikro- oder Milligramm. Deshalb ist es so leicht überzudosieren. Ich habe auch gehört, dass sie in ihrer Wirkung ziemlich langweilig sein sollen. Die Wände fangen vielleicht an zu schwanken und Farben ändern sich, aber die Art von Einsicht, die LSD oder Pilze bieten, hat man nicht. Das hängt natürlich immer von der Person ab, die die Droge nimmt, aber generell glaube ich nicht, dass man diese Substanzen in der Psychotherapie einsetzen sollte.

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Welche dann?
Ich finde Psilocybin sehr interessant, die psychodelische Substanz, die in Magic Mushrooms vorkommt. Untersuchungen haben gezeigt, dass der Konsum relativ ungefährlich ist. Die Wirkung hält auch nur einige Stunden an. Zu der Möglichkeit, Psilocybin in der Psychotherapie einzusetzen, wird gerade geforscht. Das Problem ist, dass es neben 5-HT2A  auch andere Proteine aktiviert und wir etwas suchen, das gezielt nur 5-HT2A  aktiviert. Um Nebenwirkungen zu vermeiden.

Ist es sicherer, klassische Drogen zu nehmen?
Vom Fachlichen her gesehen, ja. Psilocybinhaltige Pilze haben sich als sicherste Freizeitdroge erwiesen. Sie machen quasi nicht abhängig, du kannst sie nicht wirklich überdosieren und dank Jahrzehnten der Forschung wissen wir genau, was sie mit dem Körper machen. Natürlich kann man auch mal einen schlechten Trip haben, aber das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass du dich ein paar Stunden lang unter deinem Bett versteckst. Du würdest nicht vor einen Bus springen, weil du dich für Superman hältst.

Wir können nicht sagen, wie der Körper auf diese neuen Substanzen reagiert. Selbst kleinste chemische Veränderungen können die Art und Weise, wie Drogen im Körper verarbeitet werden, drastisch verändern. Spice zum Beispiel, das synthetische Cannabinoid, das Verbindungen enthält, die im Gehirn auf dieselben Rezeptoren wirken wie THC, auch wenn es THC chemisch gar nicht so ähnlich ist. Ich glaube nicht, dass irgendjemand, der mal Spice geraucht hat, die Erfahrung als angenehm beschreiben würde.

Die meisten bekannten Halluzinogene sind relativ sicher, wenn man vor dem Konsum Vorkehrungen trifft. Sie waren eine Zeit lang in der Medizin verpönt. Ihre Wiederentdeckung kann von großem Wert für die Behandlung zahlreicher psychischer Störungen sein. Mir fehlt aber immer noch der magische Schlüssel zu 5-HT2A.

Danke für das Gespräch.