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Ein Gespräch mit dem berüchtigtsten Piraten Somalias

Hassan entführte das größte Schiff, das jemals gekapert wurde. Vor ein paar Tagen wurde seine Piratenherrschaft offiziell beendet und er verhaftet. Aber zuvor führten wir noch ein Interview mit dem „Gründungsvater“ moderner Freibeuterei.

Der mutmaßliche Piratenführer Mohamed Abdi Hassan mit dem Spitznamen „Großmaul“

Wenn es um die Piraterie vor der Küste Somalias geht, wird über kurz oder lang ein bestimmter Name fallen: Mohamed Abdi „Big Mouth“ Hassan. Vor ein paar Monaten habe ich mit dem bekannten Piraten gesprochen und nun wurde er verhaftet. Der Moment seiner Festnahme erschien mir günstig, um das Gespräch wieder hervorzukramen. Hassan—oder „Afweyne“ („Großmaul“), wie er früher genannt wurde—entführte bekanntlich das größte Schiff, das jemals gekapert wurde: einen saudischen Riesentanker im Wert von fast 74 Millionen Euro, für den er 2,2 Millionen Euro Lösegeld erhielt. Der „Gründungsvater“ moderner Freibeuterei vor dem Horn von Afrika schaffte es im Januar wiederholt in die Schlagzeilen, als er eine Pressekonferenz abhielt, um seinen „Rücktritt“ anzukündigen. Dennoch fahndete Interpol mit einer 2012 ausgestellten roten Notiz weiter nach ihm. Vor ein paar Tagen wurde seine Piratenherrschaft offiziell beendet. Listige Polizisten aus Belgien, die wahrscheinlich noch wegen der 2009 stattgefundenen Entführung eines belgischen Schiffes verärgert waren, hatten Hassan unter dem falschen Vorwand, einen Dokumentarfilm über sein Piratenleben drehen zu wollen, nach Brüssel gelockt. Obwohl er einen somalischen Diplomatenpass bei sich trug (der „weniger wert war als das Papier, auf dem er gedruckt war“, wie mir das britische Auswärtige Amt erklärte), wurde Afweyne kurz nach seiner Verhaftung wegen Entführung und der „Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation“ verurteilt. Während er einst zu „den berüchtigtsten und einflussreichsten Piratenführern Somalias“ zählte, muss sich Afweyne nun, nachdem er sich peinlicherweise durch den Reiz des Rampenlichts reinlegen ließ, die Demütigungen auf der belgischen Polizeiwache gefallen lassen. Mein Gespräch mit Afweyne fand relativ bald nach seiner Rückzugserklärung statt. Wir unterhielten uns über Lösegelder, Geiselnahmen und über seine Liste der Leute, die es mit ihm „zu tun bekommen“ werden. VICE: Hey Big Mouth, wie hat es deine Freunde und dich eigentlich in die Piraterie verschlagen?
Big Mouth: Wir waren keine Piraten—ich habe die natürlichen Ressourcen von Somalia beschützt. Also, ich bin mir ziemlich sicher, dass du der Führer des größten Piratennetzwerks in Somalia warst.
Nein. Ich war nicht an der Piraterie beteiligt. Ich habe im Fischereisektor gearbeitet. Das Meer war unsere Lebensgrundlage. Als die Zentralregierung in Somalia zusammenbrach, breitete sich Gesetzlosigkeit aus, und wir mussten mit ansehen, wie in unseren Gewässern massiv illegal gefischt wurde. Weil Recht und Ordnung verschwunden waren, beschloss die Gemeinde zusammen mit den Fischern, die Strände zu beschützen. Damit hatten wir Erfolg, also kehrte ich zu meiner eigentlichen Arbeit zurück. Genau.
Kurz darauf breitete sich in der Gruppe, die das Meer beschützte, allerdings Korruption aus. Ein neues Schutzsystem wurde eingeführt, und es passierte vieles, mit dem wir nicht zufrieden waren. Weil es sich bei dem betroffenen Gebiet um meine Heimat handelt und die Leute durch die illegale Vorgehensweise beim Offshore-Schutz in Schwierigkeiten gerieten, mussten wir noch einmal alles überdenken. Wir fingen an, mit der Regierung zusammenzuarbeiten, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten. So fing die ganze Sache an. Ich war kein Pirat oder Teil eines solchen Netzwerks. Die UNO behauptet aber etwas anderes.  
Das ist ein Gerücht, das in die Welt gesetzt wurde, nachdem die Sache anfing, schief zu laufen. Ich bin sehr enttäuscht, wie alles gelaufen ist. Ich bin kein Mensch, der andere entführt. In Zentralsomalia bin ich ein namhafter und angesehener Mann. Ich habe gehört, dass du jetzt Anti-Piraterie-Arbeit leistest.
Ja, damit habe ich vor fast eineinhalb Jahren angefangen. Als sich die Situation verschlechterte und sich Außenstehende einmischten, um persönliche Interessen durchzusetzen, hat sich die TFG-Regierung [die von der UNO, den USA und anderen Staaten eingesetzte Übergangsregierung, die die verschiedenen Kriegsparteien Somalias vereinen sollte] eingeschaltet und beschlossen, gegen dieses Problem vorzugehen. Damals ernannte mich die Regierung zum Mitglied eines Komitees, das mit ihr zusammen eine Lösung voranbringen sollte. Ich habe mir den Regierungsvorschlag angesehen und über Möglichkeiten nachgedacht, wie wir das Problem anpacken können. Die Zusammenarbeit hat gut funktioniert. Wir haben es geschafft, viele junge Leute aus dem Piratennetzwerk rauszuholen. Hast du noch Geld aus der Zeit bei den Piraten über?
Nein. Ich habe nicht ein einziges Mal daran gedacht, mit der Piraterie Geld zu verdienen. Außerdem leide ich nicht an Geldmangel. Ich habe mein eigenes Geschäft und mein eigenes Geld und bin durch meine ausgedehnten Handel im Land bekannt. Meine Arbeit fand nicht zu dem Zeitpunkt statt, als die Piraterie mit Korruption und Lösegeldforderungen ihren Höhepunkt erreichte. Die ganzen Dinge, die du erwähnst, stehen auf verschiedenen Websites, aber sie entsprechen nicht der Wahrheit. Die Leute, die solche Sachen schreiben, haben was gegen meine Ideen, meine Arbeit und mein Unternehmen. Sie wollen die Welt gegen mich aufhetzen. Eines Tages werden sie mit mir zu tun bekommen, so Gott will.

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Die Meinung des britischen Außenministeriums über „Afweyne“ Wofür gibt ein Pirat sein Geld aus?  
Piraten verdienen nichts an ihrer Arbeit. Sie bekommen nicht die großen Summen, von denen man hört. Alles, was sie haben, ist ihr Name. Sie werden ausgenutzt, weil das ganze Netzwerk in der Hand von Außenstehenden ist. Wenn die Piraten Geld bekommen, können sie davon höchstens einen Monat lang leben. Das weiß jeder in Somalia. Wer sind denn diese geheimnisvollen „Außenstehenden“?
Das sind sowohl Somalier als auch Nicht-Somalier. Es sind diejenigen, die immer mehr Männer dazu ermutigen, Piraten zu werden, und ihnen erzählen, dass sie viel Geld dabei verdienen können. Die ganzen Piraten würden nicht im Geschäft bleiben, wenn ihnen diese Männer nicht zureden würden. Wie suchen sich diese Piraten ihre Ziele aus?  
Ihre Methoden gehen mich nichts an. Ihre Methoden zeugeb jedenfalls von einer gewissen Erfahrung, aber es fehlt ihnen an technischer Ausrüstung. Zahlst du der al-Shabaab Steuern?
Nein, nein. Absolut nicht. Davon wissen wir nichts. Es gibt ja noch eine Reihe von Geiseln, die in Somalia festgehalten werden, zum Beispiel der amerikanische Journalist Michael Scott Moore. Könntest du zumindest dabei helfen, sie zu befreien?
Wir sind sehr betroffen und enttäuscht, wenn jemand seine Freiheit verliert. Bei dem speziellen Fall, den du erwähnt hast, sind wir gerade dabei zu helfen. Aber helfen und unterstützen können wir nur in Fällen, die in unserer politischen Reichweite liegen. Wenn jemand als Geisel genommen wird, ist es unser Ziel, ihn zu unterstützen. Mehr können wir nicht versprechen. Somalia ist ein großes Land und wir wissen nicht, wo die Geiseln versteckt gehalten werden. Wie würdest du dich selbst beschreiben?
Ich bin ein angesehener und einflussreicher Mann mit Führungsqualitäten. Ich habe den Mut, mich mit heiklen Angelegenheiten zu beschäftigen. Deshalb haben sie mich auserwählt. Also bist du kein „führender somalischer Pirat“?
Wenn du das schreibst, kommst du auf die Liste derjenigen, die es in Zukunft mit mir zu tun bekommen. Vergiss das nicht. Oh, toll. Was ist deine Vision für die Zukunft Somalias?
Dass die goldenen Zeiten zurückkehren, in denen Recht und Ordnung der Normalzustand waren. In Zukunft wird alles besser werden.   Vielen Dank.

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