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Das Jodlerfest im Emmental hat mir gezeigt, wie geil es in der Stadt ist

Dazu braucht es nur einige Edelweiss-Trachten und viele Berner Sennenhunde.

Am Sonntag hatte ich ein Date mit meiner Vergangenheit. Am kantonalen Berner Jodlerfest traf ich 4000 Jodler, Fahnenschwinger und andere Menschen in Edelweiss-Trachten im tiefsten EmmentaI. Zum grossen Finale am Sonntag trotteten alle gemeinsam bei einem Umzug durch die Strassen von Hasle-Rüegsau bei Burgdorf.

Ich wohne am wohl urbansten Punkt der Schweiz: der Langstrasse. Dort, wo Fixie-Fahrer an „Oises Quartier gege Yuppies und Schmier"-Stencils vorbeifahren. Wo mir Ureinwohner auf dem Platz vor meiner Wohnung mit einem „Scheiss Student!" ihre Liebe gestehen. Wo ich Jesus-mässig über Urinlachen von Partygängern schweben muss, um meinen Hauseingang zu erreichen (Scheiss Studenten!).

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Doch am Sonntag war ich in Hasle-Rüegsau. Einem dieser Orte, wo sonntags Lotto-Scheine ausgefüllt und der Sonntagsblick gelesen wird. In dem die Lokalbahn BLS zielgruppengerecht „Heimatland" zum Kernbegriff ihrer Kampagne auserkoren hat. Und in dem sich nur urchige Parteien zu wöchentlichen Stammtischen treffen. Die perfekte Location für ein Jodlerfest.

Alle Fotos von Sebastian Sele

Zwischen Menschen, die die Arbeitswelt entweder schon hinter sich gelassen haben oder Arbeit mit dem Zusammenräumen von Lego-Steinen gleichsetzen, steige ich bei der Haltestelle Hasle-Rüegsau aus. Ich beuge mich ihrem Sog in Richtung Umzugsroute.

Schon eine Stunde vor dem Umzug kämpfen gefühlt tausende Gartenstuhl-Besitzer am Strassenrand um den besten Platz. Neongelb leuchtende Verkehrskadetten leiten Autos mit „Lucky Trucker"-Heckaufklebern um. Helfer verkaufen auf Traktor-Anhängern Feldschlösschen, Rivella rot und Erdbeer Cornets an Villiger-rauchende Männer, Kinder in Schwingerhemden und Senioren mit blau schimmernden Haaren. Vereinzelte Jugendliche mit Undercuts und Nike Airs sind die obligatorischen Löcher in dieser Emmentaler Bilderbuch-Idylle. Doch selbst ihre coolen Gesichter ziert ein Lächeln. Und ich bin mir sicher: Das Jodlerfest ist das Happening des Jahres.

Ich verschaffe mir einen Überblick. Fotografiere dabei rot-weisse Fahnen, die im Duett mit Geranien hölzerne Bauernhäuser schmücken—und oute mich als fremd. Musternde Blicke treffen mich und erinnern mich an einen Eltern-Besuch in meinem Heimatdorf. An die Kinder, die mich vor ein paar Monaten anstatt in unserem gemeinsamen Liechtensteiner Dialekt in gebrochenem Primarschul-Hochdeutsch angesprochen hatten.

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Noch fremder in dieser Einöde fühlen sich wohl die Asylsuchenden vom Durchgangszentrum Hasle-Rüegsau. Heute sind die 46 Eritreer, 18 Syrer und der eine Mosambikaner, der einen Fahnenschwinger mit mindestens so vielen Fotos beehrt wie ich aber Teil der Party—ein bisschen zumindest. In gelben Helfer-Shirts besteht ihre Aufgabe darin, biertropfende Abfallsäcke zur nächsten Mülltonne zu schleppen.

Ob Eric Weber auch gerne jodelt?

14:00 Uhr—der Umzug startet. Was mit seltsamen Moped-Fahrern und geschmückten Kühen beginnt, entpuppt sich schnell als Parade der Vereine. Der mit US-Fahnen geschmückte Jeep Club Emmental folgt dem Schweizerischen Club für Entlebucher Sennenhunde. Der auf Traktor-Anhängern die Choreografie missachtende Turnverein folgt irgendeinem Verein für Berner Sennenhunde. Ein „Fidiwi fidiwa fiditralalala" trällernder Jodlerclub folgt irgendeinem anderen Verein für grosse Schweizer Sennenhunde. Dazwischen: Angst und Langeweile in den Augen der Kinder, die verloren vor den Edelweiss-Vereinen hergehen und mit Nummernschildern den Durchmarsch des nächsten Hundeclubs ankündigen.

Ich frage Zuschauer, ob ich Fotos von ihnen schiessen darf—„Ja klar!". Schaffe es aber nicht, ihre volle Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Sie wenden sich lieber ab und winken den Pfeife paffenden Traktorreitern zu. Oder sie werfen Opas, die Pflüge ziehen, lachend ein „Häsch s Ross vergässe?!" zu. Und die marschierenden Trachten belohnen die netten Gesten mit mundgerecht geschnittenem Alpkäse. Man kennt sich. Und man akzeptiert sich.

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Als die Zahl 34 an mir vorbeischleicht, merke ich aber: Während die Massen die im Gleichschritt marschierende Harmoniemusik frenetisch bejubeln, schweifen meine Gedanken ab—ich langweile mich. Eine Stunde voller Edelweiss-Trachten, Hunden, Hunden und Hunden sind mehr als genug.

Ich gehe den Gruppen 35, 36 und 37 entgegen, bis ein paar Pubertierende noch meine letzte Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Tragen die wirklich Sturmgewehre mit sich rum? Der Strassenrand applaudiert. Vereine machen alles möglich. Eine Pizza Funghi später ist der Umzug zu Ende. Die Zuschauer strömen zum Herzen des Jodlerfests—dem Jodlerdorf.

Auf dem Weg dorthin folge ich dem Shirt-Aufdruck „Systembaustoffe – MÄNNERSACHE" auf einem üppigen Rücken und belausche energische Diskussionen über Verwandtschaftsverhältnisse. Spätestens als ich mich an der zehn Meter langen Schlange beim Frischpoulet-Stand vorbeiquetsche, merke ich: Hier ist nichts mehr zu holen. Sogar die Gastrobetriebe der Festzelte haben schon die Rösti von der Karte gestrichen.

Ich mache mich also auf in Richtung Bahnhof. Zwei Stunden im Zug trennen diese Bilderbuch-Schweiz von meiner Schweiz. Das Vereinsjodeln, Vereinsschwingen und Vereinsturnen von der Wahl, sich bei einem Arthouse-Film etwas zu intellektuell zu fühlen. Ich bin froh, habe ich diese Wahl. Gönne mir unterwegs ein Bier und freue mich über das vertraute „Nächster Halt: Zürich Hauptbahnhof". Tschüss Vergangenheit! Hallo Zürich! Hallo Scheiss-Studenten! Hallo Urinlache!

Sebastian auf Twitter: @nitesabes

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