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Weder legal noch illegal: Hafiz' Leben in der Schweiz

Hafiz lebt seit 13 Jahren in der Schweiz und hat immer noch keine Aufenthaltsbewilligung. Abgeschoben werden kann er trotzdem nicht.
Foto mit freundlicher Genehmigung von Pascal Duschletta

Wir haben den vorliegenden Artikel und die darin enthaltenen Vorwürfe dem Staatssekretariat für Migration SEM letzte Woche vorgelegt und bisher keine Rückmeldung erhalten.

Hafiz lebt seit 13 Jahren in der Schweiz und hat keine Aufenthaltsbewilligung. Er wird aber auch nicht abgeschoben. Er darf also weder hier sein, noch muss er weg. Zu kompliziert? Man nennt das auch Schweizer Flüchtlingspolitik.

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Sie ist in etwa so rational wie ein dadaistisches Manifest und so konsequent wie ein Heroinjunkie. Sie sagt dir Dinge wie: „Ich rate dir, irgendwo anders hinzugehen" und gleichzeitig „Wenn wir dich noch einmal auf der Strasse erwischen, musst du ins Gefängnis". Ich habe Hafiz getroffen, einen Flüchtling aus Äthiopien, der seit 13 (!) Jahren in der Schweiz lebt und immer noch nicht weiss, ob er hier eine Zukunft hat. Seit ich mit ihm geredet habe, bin ich mir darüber bewusst, wie willkürlich das Staatssekretariat für Migration (SEM) sein kann.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Pascal Duschletta

Wenn man sich bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe informiert, scheint alles durchdacht und einfach. Man stellt als Flüchtling zuerst einen Antrag auf Asyl und erhält die sogenannte N-Bewilligung. Dann klärt das Staatssekretariat für Migration ab, ob man den Status eines Flüchtlings zugesprochen bekommt. Sofern dieser Status zugesprochen wird, bekommt man im Optimalfall eine Aufenthaltsbewilligung (B-Ausweis) und nach spätestens zehn Jahren eine Niederlassungsbewilligung (C-Ausweis). Die weniger Glücklichen bekommen den F-Ausweis, eine provisorische Aufenthaltsbewilligung oder sie werden sofort abgeschoben.

Hafiz hat gar nichts davon. Er ist vor 13 Jahren, mit 19, aus Äthiopien in die Schweiz geflüchtet, weil er sonst ziemlich sicher im Gefängnis gelandet wäre. Nicht etwa, weil er in seiner Heimat irgendetwas verbrochen hätte, sondern weil die staatlichen Behörden willkürlich jeden in den Knast stecken, der in irgendeiner Weise regierungskritisch werden könnte. Hierzulande landet er zwar auch regelmässig im Kittchen, aber wenigstens nur für ein paar Tage. Ausserdem bekommt er jedes Mal eine Busse von bis zu 2.500 Franken aufgebrummt; bei 60 Franken Verdienst pro Woche, kann er diese diffusen Strafzettel leider nicht begleichen. Mit gemeinnütziger Arbeit durfte er die Bussen auch nicht abbezahlen, weshalb sie immer noch offen sind.

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Hafiz bewegt sich in einer Art Grauzone, sein Aufenthalt in der Schweiz ist weder legal noch illegal. Deshalb ist er bis jetzt auch noch nicht ausgewiesen worden. Er ist kein Sans Papier, sein Antrag auf Asyl ist seit seiner Ankunft am Laufen und hat bisher schlichtweg zu keinem Resultat geführt. Hafiz hatte bis jetzt erst einen N-Ausweis, also eine Bestätigung, dass er in der Schweiz ist. Nach fünf Jahren Anwesenheit in der Schweiz kann ein Asylsuchender im Normalfall ein Härtefallgesuch stellen und erhält eine Aufenthaltsbewilligung, wenn es gutgeheissen wird. Das hat Hafiz auch getan, jedoch bisher ohne Rückmeldung. Das Staatssekretariat für Migration scheint in seinem Fall keine Eile zu kennen, eine definitive Zuweisung hat bei ihm noch nicht stattgefunden.

Foto von Joris; Flickr; CC BY 2.0

Ein paar Typen haben viel Geld damit verdient, ihn und andere Flüchtlinge in die Schweiz zu schleusen. Wie genau er es hierher geschafft hat, weiss er kaum noch. Er befolgte einfach ihre Anweisungen und war seit seiner Ankunft auf sich allein gestellt.

Seither hat er in verschiedenen Asylzentren gelebt und mit haufenweise Papierkram gekämpft. Brauchte das SEM Papiere von ihm, organisierte er diese und wartete ab. Dann hörte er wieder Ewigkeiten nichts. Jedes Mal hiess es dann, er sei falsch vorgegangen, es haben noch Papiere gefehlt. Je nach Person wurden völlig andere Dokumente gefordert, passiert ist nie etwas. Hafiz zahlte Unmengen von Geld für Anwälte, die ihm auch nicht weiterhelfen konnten. Das meiste Geld dafür stammt von Freunden, die er hier kennengelernt hat.

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Foto mit freundlicher Genehmigung von Pascal Duschletta

Hafiz hat einen leeren Blick und wässrige Augen. Wenn er redet, lacht er zwischendurch ungläubig, so als wäre das hier alles nur ein abstruser Traum. Er wird von den Behörden behandelt wie ein Krimineller und das, obwohl er noch nie einer Fliege etwas zuleide getan hat. Auf die Frage, ob er nach 13 Jahren Aufenthalt in der Schweiz dem Land gegenüber Ärger verspürt, meint er: „Ich habe die Schweiz nie gehasst. Ich habe nichts gegen die Menschen hier. Ich will einfach nur ein normales Leben führen."

Den letzten Satz wiederholt er oft während unseres Gesprächs. Die Vorstellung, wegen fehlender Papiere verhaftet zu werden, wenn man draussen unterwegs ist, kann man sich ja auch kaum vorstellen. Hafiz verbringt deshalb die meiste Zeit zuhause. Er erinnert sich an einen Abend, als er mit seinen Freunden in einen Club wollte. Alle ausser ihm haben Papiere. Am Eingang des Clubs wurde er deshalb als Einziger nicht reingelassen. „Ich habe mich geschämt deswegen", meint er. Er fühlte sich wie ein Unmensch, ohne dass er einen plausiblen Grund dafür hätte.

Hafiz lebt von der Sozialhilfe. Entgegen dem Klischee er wolle sich hier nur auf die faule Haut legen und nichts tun, hatte er schon drei Jobs. Es hiess aber jedes Mal, er dürfe nicht arbeiten. Die Arbeitgeber mussten ihn dann mit schlechtem Gewissen entlassen. Eigentlich die perfekten Voraussetzungen für ein Leben in der Illegalität, aber Hafiz denkt nicht mal daran. „Ich will einfach nur ein normales Leben führen, arbeiten, ausgehen, mir mal was zum Anziehen kaufen." Manche Leute in seinem Asylheim haben damit angefangen, Drogen zu verkaufen. Sie sind besser gekleidet, haben Handys und können sich den Eintritt für Clubs leisten. „Sie haben die Hoffnung verloren und angefangen, schlechte Sachen zu tun um ihre Bedürfnisse zu erfüllen." Hafiz kann ohne Papiere eigentlich gar nichts machen und in der Stadt Zürich hat er Aufenthaltsverbot. „Sie haben mir eine Karte gegeben, die Zone 10 markiert und gesagt, hier darfst du nicht hin."

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Foto mit freundlicher Genehmigung von Pascal Duschletta

Ich kann mir seine Situation und die Gründe dafür selber kaum vorstellen. Die Aussicht auf Gefängnis in der Heimat und die politische Situation im Allgemeinen sind Gründe genug, um ihm den Status eines Flüchtlings zu verleihen. Dass er sich zusätzlich regelmässig engagiert und sich um ein Leben in der Schweiz bemüht, macht mich noch stutziger. Es scheint beinahe so, als sei die Flüchtlingspolitik darauf aus, das bestehende Klischee des faulen, kriminellen Ausländers zu fördern, indem es die Betroffenen in ebendiese Situation drängt.

Früher gab es für Hafiz anstelle von Geld nur Migros-Gutscheine vom Sozialamt. Wie man mit denen das Ticket zum Migrationsamt zahlen soll, ist eine andere Frage. „Wenn ich Glück hatte, musste jemand von meinen Freunden grade einkaufen und tauschte die Gutscheine in Geld."

Seit Kurzem wohnt er bei äthiopischen Freunden, die er im Asylheim kennengelernt hat. „Im Heim stritten sich immer alle und es wurden sogar ein paar von uns mit Messern bedroht. Ich konnte dort nicht bleiben." Sein jetziger Aufenthalt ist ebenfalls illegal, wenn die Polizei davon erfährt, hat nicht nur er, sondern auch sein Helfer ein Problem.
Hafiz lebt unter ständigem Stress. Falls er nach Äthiopien abgeschoben wird, kommt er für unabsehbare Zeit ins Gefängnis. „In der Schweiz", sagt er, „bin ich mental gefangen." Jedes Mal, wenn er Reifen hört, hat er Angst, dass es die Polizei ist. „Teilweise warteten sie sogar vor dem Asylheim, um sich einen von uns auszusuchen."

Foto mit freundlicher Genehmigung von Pascal Duschletta

Hafiz hat alles versucht. Er hat die nötigen Papiere eingereicht, sich nach dem Ausbleiben einer Rückmeldung einen Anwalt geholt und Härtefallgesuche gestellt. Trotzdem kann er keinen Schritt tun, ohne dass ihn die Angst vor dem Gefängnis einholt. Seine Energie ist am Ende. Alles, was ihm bleibt, ist ein Funken Hoffnung darauf, irgendwann die gleichen Rechte wie ein Schweizer Bürger zu haben. Wenn sein Asylgesuch abgelehnt würde, hätte er wenigstens Klarheit in Bezug auf seine Zukunft. Aber solange das SEM den Finger nicht aus dem Arsch nimmt, wird sich nichts ändern und er wird das Leben eines Gefangenen führen. Gründe dafür gibt es keine.

Nora auf Twitter: @nora_nova_

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