Ein Monat unter Toten in einer nepalesischen Tempelanlage

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Ein Monat unter Toten in einer nepalesischen Tempelanlage

Die australische Fotografin Yani Clarke verbrachte einen Monat damit, das Leben und den Tod in Pashupatinath zu dokumentieren.

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Achtung: Einige Bilder sind recht explizit.

Die australische Fotografin Yani Clarke verbrachte einen Monat damit, das Leben und den Tod in Pashupatinath, einer nepalesischen Tempelanlage, zu dokumentieren. Jeden Tag werden dort mehr als 40 Leichen eingeäschert. Trotz der Allgegenwärtigkeit von Tod und Trauer ist Pashupatinath aber kein düsterer Ort. Ihre Fotos sind voll mit Priestern, Affen und Festen. Nichtsdestotrotz ist es natürlich eine große Herausforderung, mit 21 Jahren derartig drastisch und persönlich mit dem Tod konfrontiert zu werden.

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VICE: Warum hast du dich dafür entschieden, einen Monat in Pashupatinath zu verbringen?
Yani Clarke: Ich habe vor ein paar Jahren schon einige Wochen in Pashupatinath verbracht, als ich meinem Mentor, Jack Picone, dabei half, einen Workshop in Kathmandu durchzuführen. Seitdem ging es mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Nachdem ich den Ort verlassen hatte, überkam mich dieses komische Schuldgefühl, nicht dort zu sein. Ich bin dann dieses Jahr dorthin zurückgekehrt, weil dort in ein paar Monaten ein elektrisches Krematorium eröffnet wird. Sobald das passiert, wird die Tradition dort wahrscheinlich aussterben.

Es war deine erste unmittelbare Begegnung mit dem Tod—stellte das eine große Herausforderung dar?
Ich erinnere mich noch an die erste Leiche, die ich sah—an den Geruch des Fleisches. Über die nächsten Wochen hinweg berührte mich das, was ich dort sah, langsam immer weniger und irgendwann stellte sich ein Gefühl der Normalität bei mir ein.

In deinen Fotos geht es um mehr als nur den Tod. Kannst du mir etwas über die Priester auf deinen Bildern sagen?
Es gibt eine Menge falscher Priester an dem Tempel, die einfach nur da sind, um etwas Geld zu verdienen und abzuhängen. Die verbringen ihre Tage draußen in der Sonne, rauchen Marihuana aus Shillums und lassen sich von Touristen fotografieren. Ich habe große Vorbehalte dahingegen, jemanden für ein Foto bezahlen zu müssen. Für mich hat eine finanzielle Transaktion da nichts zu suchen—dadurch verliert es eigentlich nur seinen tatsächlichen Sinn und Zweck. Diese Priester, echt oder falsch, sind aber nette Typen. Ein paar von ihnen haben mich sogar bei Facebook geaddet.

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Frauen sind von vielen der Zusammenkünfte ausgeschlossen, die du fotografiert hast. Wie hast du trotzdem Zugang bekommen?
Es hat sehr viel damit zu tun, wie du reagierst. Sie testen dich. Sobald ich in eine Menge von etwa hundert Männer ging, kam einer der nackten Priester auf mich zu und legte seinen Penis auf meine Linse. Ich fotografierte das und lachte zusammen mit allen anderen, dann ging ich los und setzte mich zu den anderen nackten Männer. Stundenlang versuchten sie, mich zu testen, aber nachdem sie erkannt hatten, dass man mich nicht so leicht verschrecken kann, nahmen sie meine Anwesenheit kaum noch wahr.

Welche Zeremonie beeindruckte dich am meisten?
Das war eine buddhistische Einäscherung kurz vor meiner Abreise. Der Körper war in orangene Seidentücher eingewickelt und mit orangenen Ringelblumenblüten bedeckt. Im Buddhismus ist es die Tochter, die die Leiche anzünden muss. Ich war nur wenige Meter von dieser jungen Frau entfernt, die etwa so alt wie ich war, während sie ihre Mutter anzünden musste und weinte. Da kam dann plötzlich eine andere Frau zu mir rüber, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, und fing an mich zu umarmen. Wir schauten uns beide zusammen die Einäscherung an, die unglaublich grausam war. Dieser Frau war irgendetwas passiert. Es war, als ob ihre Wirbelsäule ihren Brustkorb durchstoßen hätte. Der Verwesungsprozess ihres Körpers war offensichtlich auch schon weit vorangeschritten—im Buddhismus werden die Leichen nämlich vier Tage lang einer spirituellen Reinigung unterzogen. Als sie die Seidentücher und den Plastiküberzog entfernten, fiel fast einer ihre Arme ab.

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Würdest du sagen, dass diese Erfahrungen deine Sicht auf den Tod beeinflusst haben?
Wenn du nicht gerade tagtäglich mit dem Tod zu tun hast, dann ist es eine von diesen Sachen, die nur andere Menschen betrifft. Tod und Sterben finden bei uns im Verborgenen statt, wir sprechen noch nicht einmal wirklich darüber. Du hast einen interessanten Punkt bei mir getroffen, denn gestern Nacht habe ich erfahren, dass einer meiner Freunde in Australien bei einem Autounfall ums Leben kam. Das Leben ist flüchtig und es ist natürlich noch mal etwas anderes, wenn jemand Nahestehendes stirbt.

Insgesamt hat mich diese intensive Konfrontation mit dem Tod recht ehrfürchtig gegenüber meiner Umgebung gemacht. Mehr denn je spüre ich den Drang, genau das zu tun, was ich in meinem Leben vorhabe—in all meinen Interaktionen offen und ehrlich zu sein und mich weniger an materielle Dinge zu binden. Alles ist vergänglich und am Tod selber ist auch nichts verkehrt—unser Verhältnis dazu allerdings schon.

Das Interview führte Laura Rodriguez Castro.