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The Talking Issue

Eine Hexe

Wir haben einmal bei Nicole Cooper nachgefragt, einer kanadischen Wicca-Hexenpriesterin zweiten Grades, worum es bei Halloween wirklich geht.

Jeder weiß, dass man sich an Halloween möglichst gruselig verkleidet. Aber was weiß man eigentlich sonst noch über die Hintergründe dieses vergleichsweise unterhaltsamen Feiertags? Wahrscheinlich einen Schmarrn. Wir haben einmal bei Nicole Cooper nachgefragt, einer kanadischen Wicca-Hexenpriesterin zweiten Grades, worum es in dieser Horrornacht wirklich geht.

VICE: Betrachtest du Halloween komplett getrennt von Samhain?
Nicole Cooper: Ich tendiere dazu. Das ist ähnlich wie zur Weihnachtszeit. Wir feiern die Wintersonnenwende, aber wer christliche Verwandte hat, geht dann oft trotzdem noch zu einem Weihnachtsessen. Das ist die Kultur, in der wir aufgewachsen sind und viele von uns nehmen genauso daran Teil wie an unseren eigenen Ritualen.

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Erzähl uns doch etwas über Samhain und welche Bedeutung es für die Hexen hat.
Samhain ist das letzte der drei Erntefeste und hat seinen Ursprung in der keltischen Neujahrsfeier. Für moderne Hexen markiert es den Beginn der dunklen Jahreshälfte, die bis zur Walpurgisnacht am ersten Mai andauert. Früher nannte man es auch „Fleischernte“, weil die meisten Bauern nicht alle Tiere durch den Winter füttern konnten und deswegen einige von ihnen schlachten mussten. Darin liegt unter anderem der Bezug zum Tod, der sich auch bei Halloween noch wiederfindet. Die Hexen würdigen damit geliebte Personen, die bereits gestorben sind. Wir erweisen ihnen ihre Ehre und stärken durch ein Ritual ihre Präsenz in unserem Leben. Dabei gibt es eine direkte Verbindung zu den alten Kelten. Sie glaubten nämlich, dass der Wechsel der Jahreszeiten einen Punkt markiert, an dem die Grenze zwischen dieser Welt und der anderen sehr dünn ist.

Welche Rituale finden dort statt?
Es gibt ein Festmahl, bei dem wir an einer Seite des Tisches sitzen, und das Essen auf der anderen Seite ist für unsere Vorfahrenreserviert. Während des Essens wird kein Wort gesprochen, damit wir mit den heraufbeschworenen Geistern kommunizieren können. Manche von uns halten auch prophetische Rituale ab, eine Form des Wahrsagens, bei der man ein Medium verwendet. Die Energien sind zu Samhain sehr stark und der Zeitpunkt bietet sich an, um Vorhersagen zu treffen. Man kann dies mit einer Kristallkugel machen, mit einem Wasserbecken oder der Flamme einer Kerze.

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Hast du während dieser Rituale einmal etwas Unheimliches beobachtet?
Vor ein paar Jahren hat ein Freund von mir die Kerze für einen seiner Vorfahren angezündet und als er aufstand, ging sie plötzlich aus. Er war völlig perplex und schaute sie ein paar Sekunden an, da begann die Flamme auf einmal wieder zu brennen. Das war wie in einem Film, aber es ist wirklich passiert. Und wenn du dich mit mehreren hundert Personen, die alle ihre toten Vorfahren anrufen, in einem Tempel aufhältst, dann liegt dort eine sehr greifbare Energie in der Luft. Das ist schwer zu beschreiben, man muss es selbst erleben.

Haben die Kürbisse auch eine besondere Bedeutung für Hexen?
Die Kürbisse gibt es nur in Nordamerika. Das rührt von einer alten Tradition von den britischen Inseln her, wo man Lichter aus Rüben geschnitzt und sie in die Fenster gestellt hat, um den Toten den Weg nach Hause zu zeigen.

Und was ist mit diesen gruseligen Laternen zu Halloween?

Das wurde völlig falsch überliefert. Die Christen haben ein ganz anderes Verhältnis zu den Toten als wir. Aus ihrer Perspektive sind die Geister unglücklich, weil sie eigentlich im Himmel sein sollten. Die Idee hinter diesen Laternen mit den gruseligen Gesichtern ist es, den Toten Angst zu machen, damit sie verschwinden. Das ist das genaue Gegenteil von unserem Ritual. Wir heißen sie bei uns willkommen.

Stört dich die zunehmende Kommerzialisierung von Halloween?
Das war früher so, aber ich denke, dass die meisten Hexen irgendwann an einen Punkt kommen, wo sie den ganzen Kitsch auch ein Stück weit genießen können. Man kann in dieser Zeit eine Menge lustiger und unheimlicher Utensilien kaufen. Aber es ist jetzt nicht so, dass wir unsere Häuser mit Halloween-Zeugs aus dem Spielzeuggeschäft schmücken würden oder so. Vermutlich haben einige von uns auch noch sehr lebhafte Kindheitserinnerungen an Halloween.

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Beleidigt es dich, wenn andere sich als Hexen verkleiden?
Nein. Dieses stereotype Bild einer Hexe hat nichts mit der Wicca-Tradition zu tun. Diese Leute wollen nur auffallen und schockieren.
Sie könnten sich genauso gut als Clown oder Vogelscheuche
verkleiden.

Hast du dich schon einmal mit fundamentalistischen Christen auseinandersetzen müssen?
Oh ja. Aber wenn sie nicht völlig voreingenommen und ignorant sind, werden daraus oft lange und interessante Gespräche. Am Ende sagen sie dann solche Dinge wie: „Oh, du bist ja ganz normal und vernünftig. Das hätte ich echt nicht gedacht. Ihr Leute seid fantastisch. Diese Religion ist toll.“ Und dann werden sie oftmals selbst zu Heiden. Ehrlich gesagt denke ich, dass sie viele spannende Seiten von Halloween verpassen. Ich treffe eigentlich nur selten auf Leute, die sich wirklich davon angegriffen fühlen. Wenn das passiert, versuche ich einfach, höflich und respektvoll zu sein, in der Hoffnung, auch so behandelt zu werden. Aber eigentlich ist es kein großes Problem, ich hänge nicht wirklich viel mit Fundamentalisten ab.

Was ist an den Gerüchten dran, dass ihr manchmal Tiere oder sogar Menschen opfert?
Nichts. Es gibt immer ein paar verrückte Kids, die es toll finden, anderen Leuten einen Schrecken einzujagen. Sie erzählen dann Geschichten, die sie in irgendeinem Groschenroman gelesen haben. So etwas wurde uns in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen, aber das einzige Tieropfer, dass ich diesen Samhain erbringen werde, ist ein Schweinskotelett.

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