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Anrainer bewachten das Tor, als Rechte versuchten, Flüchtlinge anzugreifen

Und andere Dinge, wofür Flüchtlinge in Deutschland dankbar sind.

Die Titelseiten über Flüchtlinge sind weniger geworden. Auch das Bild eines ertrunkenen Säuglings an der Mittelmeerküste löst kaum mehr so einen Aufschrei aus, wie es ihn im letzten Jahr gab. Wie aber geht es den Menschen, die jetzt seit vielen Monaten hier sind?

Eine Gruppe ehrenamtlicher Psychologen, Psychologiestudenten und Arabisch-Übersetzer—die Organisation Psychologen über Grenzen—befragt seit letztem Herbst Flüchtlinge über ihre Erlebnisse.

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Bei den ersten Gesprächen im Erstaufnahmelager waren die Menschen unsicher und überfordert. "Sie hatten ja gerade erst eine traumatisierende Flucht hinter sich", sagt Frenzel. Sie fragten nach Wifi, wünschten sich Struktur, waren teils dankbar, teils aber auch enttäuscht, weil vieles von dem, was ihnen über Europa erzählt worden war, nicht stimmte.

Jetzt, Monate später, haben die Psychologen mit Menschen gesprochen, die schon mehrere Monate in Flüchtlingsunterkünften leben. "Mein Eindruck ist, dass viele sich selbst darüber wundern, mit welchen Vorstellungen sie hierher gekommen sind", sagt Frenzel.

"Hier angekommen merken sie: Das ist nicht Schlaraffenland. Dann, wenn sich langsam Normalität einstellt, kommt die große Dankbarkeit: 'Habe ich ein Glück, hier zu sein. Ich bin in Sicherheit, mein Leben ist hier nicht bedroht.'"

Damit nicht zurückverfolgt werden kann, in welcher Unterkunft sie sich aufhalten, nennen die Autoren der Befragung nur die Vornamen der Befragten.

Die Bürokratie ist anstrengend, aber sie ist es wert

Das Gespräch mit dem Familienvater Neyar hat Frenzel besonders berührt. Den Prozess bis zum Erhalt einer Aufenthaltsgenehmigung habe Neyar als ein "Hin und Her" zwischen Behörden erlebt. Zuerst war er überfordert von den vielen gesetzlich vorgeschriebenen Dokumenten und Formularen.

Doch nach dem ersten Schock ist sogar dankbar dafür. Es gehört für ihn zu der Ordnung, für die er dankbar ist. "Von den deutschen Behörden habe ich mich gut empfangen und behandelt gefühlt", sagt Neyar. Weiter sagte er entschuldigend: "Wenn in Syrien wieder Frieden einkehrt, werde ich mit meinem Sohn zurückgehen. Ich werde Deutschland jedoch für immer dankbar sein."

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Anrainer, die sich gegen einen Angreifer auf ein Flüchtlingscamp stellen

Flüchtlinge aus Leipzig erzählten den Psychologen von dem Tag, als Rechte ihr Camp angreifen wollten. Die Flüchtlingsgegner waren in einer Gruppe in die Stadt gereist und liefen gemeinschaftlich in Richtung Lager. Die Bewohner drehten das Licht runter. Anrainer, die die Szene beobachteten, stellten sich vor die Einfahrt des Camps. Keine organisierte Demonstration—eine spontane Aktion der Nachbarn, die nicht zuschauen wollten. "Viele Menschen aus der Nachbarschaft sind gekommen, um uns zu unterstützen und zu schützen", sagt Djamal.

Über dem Camp flog ein Polizeihubschrauber. "Die Kinder fühlten sich durch den kreisenden Helikopter an die Bombenangriffe in Syrien erinnert und waren panisch", sagt Fatima. "Die Anrainer mögen uns Flüchtlinge. Sie sind uns zur Hilfe geeilt und haben uns beschützt. Sie haben für mehrere Stunden das Tor bewacht." Djamal sagt: "Ich habe das Gefühl, dass der Großteil der Bevölkerung hinter uns steht."

Zivilcourage wird wahrgenommen

Es sind kleine Dinge, die für die Flüchtlinge Menschlichkeit ausmachen. "Ich wusste, dass es hier Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und freie Wahlen gibt", sagt Farid. "Aber ich habe gemerkt, dass die Menschen noch viel netter sind, als ich dachte. Klar gibt es auch Rassisten, aber die meisten sind sehr höflich, stilvoll, gebildet und wollen anderen helfen."

Djamal sagt: "Ich sehe auch die Blicke auf der Straße, Menschen, mit denen ich eher nicht reden würde. Das sind vor allem ältere Menschen. Ich spüre, dass sie teilweise Angst vor mir haben." Er habe auch von den Demonstrationen gegen Flüchtlinge mitbekommen. "Aber ich habe nicht das Gefühl, dass diese Menschen repräsentativ für die deutsche Bevölkerung sind", sagt er.

Der Studienleiter Tom Frenzel sagt: "Aus psychologischer Sicht war wichtig, in die Zukunft gerichtete Fragen zu stellen, um die Menschen nicht zu retraumatisieren." Als unabhängige Organisation wollten sie sich ein Bild der Situation der Menschen machen. Was ihm bisher am meisten aufgefallen ist, war die Dankbarkeit.