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Popkultur

Entzugslager gegen Internetsucht

In Japan öffnen die ersten Entzugskliniken für internetsüchtige Schüler. Dort soll den Jugendlichen dabei geholfen werden, ihre Sucht zu bekämpfen.

Image: Flickr

Nach wie vor ist die Internetsucht ein weltweites Problem. Japan will die Angelegenheit nun ernst nehmen. Von Herbst bis Frühling des letzten Jahres untersuchten Forscher der Nihon University die Internetgewohnheiten von fast 100.000 Schülern. Dabei fanden sie heraus, dass 8.000 von ihnen, d.h. acht Prozent, „pathologisch süchtig“ nach dem Internet sind. 23 Prozent der Gruppe hatten Schlafprobleme und 15 Prozent waren anfällig dafür, mitten in der Nacht plötzlich aufzuwachen.

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Die japanische Regierung fürchtet nun, dass eine halbe Million Ober- und Mittelstufenschüler im Alter von 12 bis 18 Jahren unter Internetsucht leidet. Um diese Entwicklung zu bekämpfen, wird zu radikalen Gegenmaßnahmen gegriffen: Das Bildungsministerium will von der Regierung betriebene „Entzugscamps“ eröffnen, die den Jugendlichen helfen sollen, den Stecker zu ziehen.

Der Daily Telegraph berichtet, dass „das Ministerium für das nächste Haushaltsjahr ein umfassendes Forschungsprojekt zur Internetsucht plant und die Regierung bereits um die Finanzierung von Projekten gebeten hat, mit denen man Kinder von ihren Computern, Handys und mobilen Spielgeräten wegbekommt.“ Die Schüler sollen zu Lernzentren im Freien geschickt werden, die sich sehr nach Sommerlagern anhören.

„Es wird ein immer größeres Problem“, berichtet der Ministeriumssprecher Akifumi Sekine dem Telegraph. „Wir schätzen, dass rund 518.000 Kinder in Mittel- und Oberstufen in ganz Japan von der Sucht betroffen sind, aber die Zahl steigt, und es könnte noch viel mehr Fälle geben, denn wir wissen ja nicht von allen.“

Vielleicht brauchen sie die ruhige Outdoor-Umgebung wirklich, denn das Internet abzuschalten, kann einem kalten Entzug bei Drogenkonsumenten gleichen. Jüngste Studien haben gezeigt, dass starke Internetnutzer unter Entzugserscheinungen leiden, wenn die Verbindung getrennt wird.

Internetsucht ist bisher kaum erforscht. Neuere Studien haben gezeigt, dass einer von acht Amerikanern internetsüchtig ist. Andererseits sind Umfragen zur Internetsucht jedoch leicht zu manipulieren. Deshalb wird dem Konzept selbst mit Skepsis begegnet. Dennoch steigt die Quote der vermuteten Onlinesucht bei jungen Amerikanern auf 8 bis 21 Prozent. Auch China, wo sich der größte internetnutzende Bevölkerungsanteil der Welt befindet, verzeichnet einige der akutesten—oder zumindest der schlagzeilenträchtigsten—Fälle von Internetsucht. Ein 14-Jähriger vergiftete seine Eltern, weil sie ihm Computerspiele verboten hatten; ein anderer versuchte, Selbstmord zu begehen, um gegen eine Internetbeschränkung zu protestieren.

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Vor diesem Hintergrund hat China den Weg für die Idee des „Internet-Entzugslagers“ bereitet, den nun auch Japan einschlägt—doch bislang nur als Vorsatz, noch nicht in der Umsetzung. China eröffnete das erste Internetsucht-Zentrum im Jahr 2004. Gemäß der Time handelt es sich dabei um ein „vom Militär geleitetes Erziehungslager in Peking“, in dem im Jahr 2009 3.000 Jugendliche wegen ihrer Onlinesucht behandelt wurden. Wenngleich China seinen Ansatz nun scheinbar etwas abmildert, handelte es sich bei den Lagern um brutale, autoritäre Orte, an denen die Opfer eher wie Gefangene behandelt und zuweilen von Beratern geschlagen wurden. 2009 wurde ein „Süchtiger“ zu Tode geschlagen.

Das Vorhaben Japans klingt dagegen um ein Vielfaches humaner. Die Schüler sollen sich in „Lerneinrichtungen im Freien“ aufhalten, in denen es keine Internetverbindung gibt, und dort, nach Angaben von Russia Today, „dazu ermutigt werden, bei Outdoor-Aktivitäten, Teamsportarten und Spielen mitzumachen“. Dieser Ansatz ähnelt amerikanischen Internet-Rehas—meist private Einrichtungen wie reStart und Promises—, die ruhige, grüne Rückzugsorte ohne Internet anbieten und immer beliebter werden.

All dies klingt sicherlich besser als die Schläge und die körperliche Zwangsarbeit in den chinesischen Erziehungslagern. Seitdem Studien die Verbindung zwischen der steigenden Internetnutzung und Schlaf- und Essstörungen sowie Depressionen und schlechten Schulleistungen hervorheben, scheint ein gelegentlicher Internetentzug eine ziemlich gute Idee zu sein. Ein zeitweiliges Datenfasten würde wahrscheinlich keinem von uns schaden.

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