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Ist es eigentlich verboten, Fotos von Fremden auf Facebook zu posten?

Als ich vor einiger Zeit im Freibad war,   d   Wie kommt ein guter Anarchist zu seiner Guy Fawkes-Maske? Es ist ein Dilemma: Du willst gegen kapitalistische Ungerechtigkeit protestieren, aber deine Guy-Fawkes...

Als ich vor einiger Zeit im Freibad war, lief an meinem schwitzigen, verdörrten, schrumpelnden Körper der Inbegriff von Schönheit vorbei—und löste kurz darauf in meinem Freundeskreis einen kleinen Shitstorm aus. Die Frau war schwarz und das Freibad war in Wien Döbling, was in der Kombination alleine schon für Aufmerksamkeit sorgte. Sie stakste über die Wiese, als hätte sie Gartenkrallen an den Beinen und müsste das Erdreich auflockern. Ah ja, und außerdem war sie bis auf einen winzig kleinen String-Tanga am unteren Ende ihres Schambeins vollkommen nackt.

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Als sie an mir vorbei ging, war ich deshalb so in ihren Bann gezogen, dass ich sogar vergaß, den Bauch einzuziehen. So viel Nachsicht kann fatal sein. Vor allem, wenn man mit Leuten in der Wiese liegt, die alle paar Minuten solche Sekundenausrutscher via Snapchat in den Freundeskreis schicken (oder die Wampe gleich mit "Valencia"-Filter auf Instagram posten).

Wenn man Freiheit daran misst, wie unbeschwert und unbespitzelt man sich gegenüber der Horde an Smartphones fühlt und wie wenig Gedanken man sich über die Schattenseiten von nahtloser digitaler Kommunikation machen muss, dann haben uns insbesondere die Möglichkeiten der bequemen Bildverbreitung wahrscheinlich ziemlich unfrei gemacht.

Und weil niemand von uns gerne ewig in der Opferrolle bleibt, gibt es darauf klarerweise nur eine Antwort: Nämlich selbst noch mehr Fotos von allen anderen machen als sie von dir. Oder konkret: Schnell die schwarze Schönheit knipsen und damit vom eigenen Biermuskel ablenken.

Als ihr glänzender Körper das zweite Mal innerhalb von fünf Minuten an mir vorbei glitt wie der Schwarze Stein von Mekka (und auch genauso viele Männer um sich scharte), war ich deshalb schon viel besser vorbereitet. Diesmal hielt ich den Bauch eingezogen und folgte ihr, in der Hoffnung auf ein Foto, bis in den Pool.

Dort entstand das Foto, und mit ihm auch die Probleme. Gleich, nachdem es unbedacht seinen Weg auf Facebook gefunden hatte, kam der erste etwas irritierte Kommentar, in dem es sinngemäß hieß: "Schade nur, dass sie jetzt für immer hier verewigt ist …" nach dem auch noch ein Sadface stand.

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Im ersten Moment vermutete ich noch eine feministische Motivation, aber die Posterin betonte, dass sie es durchaus schön fände, "wenn sie so zu ihrem Körper steht"—im Gegensatz zu dem unfreiwilligen Exhibitionismus, den wir ihr durch das Foto beschert haben. (Ich persönlich unterstütze auch das Posten von dreiviertelnackten Männern auf Facebook.)

Aber ist es wirklich verboten, Fotos von Wildfremden in seiner eigenen, bestenfalls semi-öffentlichen Facebook-Chronik zu posten? Hier sind vor allem die Bestimmungen von § 78 des Urheberrechtsgesetzes zum "Recht am eigenen Bild" zu beachten.

Berechtigte Interessen werden dann verletzt, wenn das Bildnis einer Person entstellend oder bloßstellend ist.

Dabei handelt es sich um ein Persönlichkeitsrecht, das sagt, dass durch die Abbildung keine berechtigten Interessen der Abgebildeten verletzt werden dürfen. Soweit der Gesetzestext. Aber was heißt das nun für mein Facebook—und für Fotos von Frauen, die ihre nackten Interessen selbst im Freibad einer gewissen Öffentlichkeit zeigen?

Medienanwältin Dr. Lisa Knapp erklärte mir die Sache so: "Der Begriff der Öffentlichkeit ist in diesem Zusammenhang weit auszulegen und umfasst weitestgehend jede Verbreitungshandlung, bei der damit zu rechnen ist, dass das Bild dadurch einer Mehrzahl von Personen sichtbar gemacht wird."

Und wann werden dabei berechtigte Interessen verletzt? "Wenn das Bild entstellend oder bloßstellend ist", sagt Dr. Knapp. "Insbesondere dann, wenn jemand ohne sein Wissen und seinen Willen nackt abgebildet wird. Wenn sich eine Frau oben ohne im Freibad bewegt, hat sie jedenfalls noch nicht die Zustimmung erteilt, dass andere Personen ein Foto davon im Internet veröffentlichen dürfen."

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Um die Identifikation zu erschweren, wurden ihr Ring und seine Brille ausgegelbt. Foto vom Autor (Facebook)

Das klingt erst mal gar nicht so rosig für Menschen, die wie ich einen schnellen Fotofinger haben und zum Start in den Tag jeden Morgen erst mal die neuen DOs & DON'Ts checken. Und weil ich noch dazu relativ erkenntnisresistent bin, habe ich als nächstes das Bild hier oben auf Facebook gepostet, um 1. auf das schöne Muster und 2. auf den unschönen Geruch aufmerksam zu machen.

Die Reaktion bestand aus 20 passiv-aggressiven Kommentaren mit vielen (gedachten) Zwinkersmileys. "Irgendwann wird sich noch jemand wiedererkennen und dich verklagen!", "Ich versteh schon, das ist wohl der Sinn von Facebook!" und "Der war aber kürzlich beim Friseur, oder?" waren meine Highlights.

Das Spannende an diesem zweiten Fall ist für mich, dass die Vorsicht wie ein Virus um sich greift und inzwischen auch unbedenkliche Fotos betrifft. Zwar ist laut Dr. Knapp auch dann Vorsicht geboten: "Der Oberste Gerichtshof hat erst vor wenigen Monaten ausgesprochen, dass schon die bloße Herstellung eines Bildnisses ohne Einwilligung des Abgebildeten einen unzulässigen Eingriff in dessen Persönlichkeitsrechte darstellen kann."

Allerdings bleibt abzuwarten, ob es sich dabei um einen Einzelfall handelt. Und selbst, wenn nicht: Um auch nur irgendwie die Allround-Angst vor ähnlichen OGH-Urteilen zu rechtfertigen, müsste der Hemdschwitzer (im Übrigen Tourist) "in erkennbarer Weise" abgebildet worden sein. Wenn ihr es schafft, ihn anhand dieses Fotos zu identifizieren, widme ich euch eine Titelgeschichte.

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Zurück zur Nackten. Darf man jetzt oder nicht? Ich habe noch einen zweiten Rechtsexperten gefragt. Medienanwalt Dr. Alfred Noll sieht die Sache so: "Bei der Oben-ohne-Dame kommt es drauf an. Eine Nonne, des extra von Wien nach Griechenland fährt, um geschützt nackt baden zu können, dürfen sie zum Beispiel in Wien nicht zeigen. Das Playgirl des Monats dürfen Sie zeigen, aber es wird Sie vermutlich etwas kosten, wenn Sie mit diesem Bild den Umsatz Ihres Mediums steigern wollen."

Ab wann verletzt man denn nun berechtigte Interessen des Abgebildeten? "Wann dies der Fall ist, kann man so allgemein nicht sagen, weil es eben auf den Einzelfall ankommt", sagt auch Noll. "Ob die Betroffenen das Bild sehen werden, ist egal: Es geht ja immer darum, dass andere das Bild sehen oder sehen könnten."

Soli-Gesicht is the new Blackface. Foto vom Autor (Facebook)

Für Dr. Noll werden durch Nacktfotos jedenfalls nicht prinzipiell berechtigte Interessen verletzt: "Natürlich, wer sich in der Öffentlichkeit oben ohne zeigt, darf generell auch so präsentiert werden—aber ein Freibad ist halt kein Massenmedium, und deshalb wird man immer darüber streiten können."

Unstreitbar ist aber, dass wir über kurz oder lang eher die Gesetze dem Fortschritt anpassen müssen, als umgekehrt. Angst kann natürlich zu mehr Aufmerksamkeit führen, aber wer im Smartphone-Dickicht ständige Bespitzelung fürchtet, sollte die Verschwörungsbrille kurz absetzen und sich stattdessen eins fragen: Gibt es jemanden, der im Social Web die Fäden zieht?

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Das soll keine Entschuldigung dafür sein, um tatsächlich schwerwiegende Eingriffe in unsere grundlegenden Persönlichkeitsrechte zu rechtfertigen. Da das Gesetz aber ohnehin sehr feinmaschig angelegt ist, steht wohl auch nicht zu befürchten, dass irgendjemand damit so einfach davon kommen würde.

Der NSA-Puppenspieler, der dein Leben mit Partyfotos zerstören kann, wäre furchtbar. Aber diese Macht hat er nur, solange nicht von jedem Menschen Partyfotos existieren.

Vermutlich sollte man sein Gewissen und seine Moral aber sowieso nicht an die Gesetzgebung delegieren, sondern sich an ein paar einfache Faustregeln halten. Wie zum Beispiel, dass es nie okay ist, bewusstlose Menschen zwischen die Beine zu filmen—oder die, dass man wohl immer berechtigte Interessen verletzt, wenn jemand seine Interessen gar nicht mehr kommunizieren kann.

Wie es bei Menschen aussieht, die sich bewusst in der Öffentlichkeit bewegen, wird sich erst noch zeigen. In Zukunft wird sich die Gesetzgebung wahrscheinlich auch noch mit ein paar Baudrillard'schen Grundsatzfragen auseinandersetzen müssen: Bin ich ab 1.000 Facebook-Freunden ein Massenmedium? Was sind Medien überhaupt und wo beginnen oder enden sie?

Der NSA-Puppenspieler, der dein Leben mit achtlosen Partyfotos zerstört, wäre tatsächlich furchtbar. Aber diese Macht hat er auch nur, solange nicht von jedem Menschen peinliche Partyfotos existieren. "Veröffentlichung" als Waffe der Privilegierten (also jenen, die sich Privatsphäreschutz leisten können) ist ein Horrorszenario.

Einzelne Badegäste hingegen, die dich im schlechtesten Moment snapchatten, sind bestenfalls nervig, aber von Stasi und Gestapo soweit entfernt wie kaputte Klimaanlagen von globaler Erwärmung. Denk daran, wenn du das nächste Mal im Angesicht einer Kamera den Bauch einziehst.

Markus auf Twitter: @wurstzombie