Eurodance, Robocops, Abtreibungsgegner – wir waren am „Marsch fürs Läbe" in Zürich
Alle Fotos von Yves Bachmann

FYI.

This story is over 5 years old.

Vice Blog

Eurodance, Robocops, Abtreibungsgegner – wir waren am „Marsch fürs Läbe" in Zürich

Am Samstag marschierten wieder Tausende Abtreibungsgegner durch Zürich—geschützt von einem massiven Polizeiaufgebot.

Obwohl wir überpünktlich in Oerlikon angekommen sind, war für die Gegendemonstranten zu dem Zeitpunkt schon fast alles vorbei. Etwas über 100 von ihnen hatten sich in der Nähe des Marktplatzes versammelt. Mit einer kleinen Soundanlage und zahlreichen Slogans auf Schildern und Gesichtern wollten sie auch dieses Jahr wieder dem Fundi-Christen-Happening eine laute Stimme entgegensetzen. Doch die Polizei hatte andere Pläne.

Anzeige

Sie liess den Absatz ihres Kabelbinder-Lieferantens in die Höhe schnellen, indem sie so ziemlich alles mit Anti-Anti-Abtreibungshaltung in der Nähe des Marktplatzes filzte und gerne auch gleich in Blaulicht-Kastenwagen verfrachtete. Nicht nur einzelne, unabhängige Grüppchen, sondern auch die scheinbar organisierte Gegendemo von etwa 100 Menschen. Die Polizei machte kurzen Prozess: Einkesseln, Soundanlage rausschmeissen, Demonstranten einzeln abführen und die restlichen Verbliebenen pünktlich zum Beginn des Marsches in eine Ecke drängen—natürlich nicht ohne sie aus unersichtlichem Grund mit Pfefferspray zu garnieren.

Fotografieren liess sich die Polizei—vor allem bei der letzten Aktion—nicht gerne. Nach ein paar Mal knipsen aus gut fünf Metern Entfernung, kassierten wir eine Wegweisung von einem Robocop im „Die Polizei darf alles"-Modus. Was man nicht alles für von Teenie-Securitys bewachte Fundi-Christen macht, die zu Tränen gerührt über verhinderte Abtreibungen sinnieren—Hallelujah!

In der Medienmitteilung der Polizei klingt das alles so: „Rund 100 Personen, die den Anlass stören wollten, wurden kontrolliert und weggewiesen." Die Festnahmen führten die kämpferisch ausgerüsteten Beamten allerdings nur halbherzig durch.So tickerte uns eine der Festgenommenen den ganzen weiteren Verlauf ihres Nachmittags live aus Polizeigewahrsam. Sie hatte sich offenbar im Kastenwagen ohne weiteres aus ihren Kabelbindern befreien können und schickte uns Knast-Selfies mit anderen temporär Festgenommenen.

Anzeige

Nachdem alle mögliche Gegenbewegungen im Keim erstickt worden war, setzte sich der „Marsch fürs Läbe" langsam und träge in Gang. Die Polizei und die Organisatoren hatten vermutlich Angst vor der scheinbar einzigartigen Strategie, durch die der Fundi-Auflauf in den letzten Jahren jeweils von den Gegendemonstranten gestört worden war. 2014 waren es Pfiffe und farbige Wasserballone gewesen, sowas liess die Polizei heuer nicht im Ansatz zu. Eine lückenlose Phalanx aus Polizisten mit Schildern umrahmte den Umzug zu jedem Zeitpunkt.

Die Abtreibungsgegner schienen dabei zahlreich: 3500 Nasen waren aus gefühlt halb Europa angereist. Der Umzug schwebte in einem Dauerzustand zwischen totaler Absurdität und totalem Konservatismus—oder zwischen Eurodance und Hallelujah-Singer-Songwriter-Gejodel.

Leute im Rollstuhl durften (oder mussten?) in einem riesigen Rollstuhl-Wagen der Marke Eigenbau mitrollen und behinderte Kinder in einem Wagen mit einer Aufschrift, die logisch übersetzt etwa lautete: „Danke, dass ich nicht abgetrieben wurde". Es gab noch einen zweiten Wagen mit nicht behinderten Kindern. Diese schauten im Gegensatz zu den anwesenden Erwachsenen sehr ernst drein. Besonders gemessen daran, dass jedes einen Ballon haben durfte und auf einem Wagen durch die Gegend kutschiert wurde. Im Publikum des Marsches wuselten katholische Priester in Collar-Hemden und Roben umher.

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben die Polizei wohl etwas übervorsichtig gemacht. Der Freund und Helfer begleitete den Umzug der Konservativen nicht nur mit einem wirklich deckenden Polizeiaufgebot, sondern verstreute sich in kleine Gruppen auch in den umliegenden Wohngebieten, um nach potentiellen Demonstranten zu jagen. So sahen wir immer wieder kleine Einsatzgruppen zu vier Polizisten mit Schild und Vollmontur, die irgendeinen verschlafenden Studenten auf dem Weg in seine Wohnung auseinandernahmen.

Anzeige

Der Umzug wurde effektiv von einem Wasserwerfer angeführt. Der Anti-Moses, der mit Wasser die Menschenmassen zu teilen versucht, statt für Menschen die Wassermassen. Wegen dem frühen und rigorosen Verhalten der Polizei zu Beginn der Veranstaltung war aber keine Wasserwerfer-Segnung notwendig. Die Gegendemonstranten traten nur in sehr kleinen, fluchenden Gruppen auf und fanden sich da jeweils einer weitgehend gelangweilten Reihe an Robocops gegenüber. Auch die letztjährigen Farbbeutel blieben aus. Die wirklich verdammt zahlreichen Verfechter der unbefleckten Empfängnis, konnten so in trance-artigem Sing Sang ungehindert ins gelobte Land geführt werden: Einmal im Kreis um den Bahnhof Oerlikon.

Die Polizisten schienen dieser bis zur Lethargie entschärften Situation ebenfalls mit gemischten Gefühlen gegenüber zu stehen. So wurden auch wir in unserer Journalisten-Rolle des Öfteren weggewiesen und mussten uns in ansonsten komplett friedlicher Stimmung mit Sätzen wie: „Wenn die Polizei etwas sagt, dann haben sie das zu machen und nicht zu diskutieren!" auseinandersetzen. Ein vermummter Polizist, mit schwarzem, über dem Bauch spannenden Guns and Roses T-Shirt—also offensichtlich in „Zivil"—pöbelte einen von uns mit dem Satz: „Los verpiss dich oder du krigsch Problem" an. Natürlich ohne seine Polizeimarke zu zeigen.


In den USA führen Abtreibungsgegner falsche Abtreibungsklinken:


Unser Schreiberling kann das durchaus verstehen. Alle waren gekommen und hatten etwas Action erwartet, dass die Demonstranten natürlich gefrustet waren, nachdem man ihnen die Hälfte ihrer Gspänli sukzessive weggesperrt hatte, ist verständlich, aber man sollte auch den Polizisten, die extra mit der Riot Gear oder dem „Ich bin bei der Antifa aus den Achtzigern"-Outfit angerollt waren, Verständnis entgegenbringen: Auch sie hatten sich wahrscheinlich insgeheim mehr „Spiel und Spass" an diesem sonnigen Nachmittag gewünscht.

Anzeige

Wenig überraschend verlief der Umzug störungsfrei bis er sich wieder an seinen Ausgangsort zurückbewegt hatte. Die letzten verbliebenen Gegendemonstranten versuchten die Schlusskundgebung durch Blockaden zu vehindern. Ein weiterer Kessel, noch ein paar Wegweisungen inklusive Kabelbindern und staatlich finanziertem Abtransport und die Sache war gegessen.

VICE Schweiz auf Twitter: @ViceSwitzerland