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Europawahl 2014

Kann „Europa anders“ die EU verändern?

Christopher Clay über die Glaubwürdigkeit der Wahlallianz von Wandel, KPÖ und Piraten, die Chancen, ins Parlament zu kommen und die Probleme der EU.

Fotos von VICE Media

Es ist den Wählern egal, dass die Neos viele Punkte in ihrem Programm noch nicht ausgearbeitet haben, sie funktionieren trotzdem. Sie werden aus einem Lebensgefühl heraus gewählt, weil die Menschen glauben, sie können etwas verändern. Dieses Gefühl können andere Parteien in Österreich zur Zeit nicht vermitteln. Auch nicht die neue Wahlallianz Europa anders, deren Mitglieder sich (zum Teil neuerdings) als links deklarieren: Die Piraten, Der Wandel und die KPÖ. Diese drei Parteien, die bei der Nationalratswahl zusammen auf rund 90.000 Stimmen kamen (die KPÖ auf 1,03, die Piraten auf 0,77 und der Wandel auf 0,07 Prozent), wollen nun gemeinsam bei der Wahl im Mai die 150.000 Stimmen erreichen, die für den Einzug in das Europäische Parlament erforderlich sind.

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Die beiden Spitzenplätze werden für parteiunabhängige Kandidaten freigehalten. Martin Ehrenhauser, der 2009 für die Liste Hans-Peter Martin ins Parlament eingezogen ist, wird sich für einen davon bewerben. Entschieden wird darüber beim Gründungskonvent am 1. März. Ich habe mit Christopher Clay von der österreichischen Piratenpartei darüber gesprochen, wie realistisch der Einzug, wie glaubwürdig eine Zusammenarbeit von Piraten, Wandel und KPÖ ist und ob es eine neue Linke braucht.

VICE: Wie ist die Idee für Europa anders entstanden?
Christopher Clay: Nach der Nationalratswahl haben wir von den Piraten beschlossen, uns mit allen zusammenzusetzen, die an Zusammenarbeit Interesse haben könnten—mit den Neos, den Grünen, dann hat uns der Wandel angesprochen, dessen Wahlprogramm während der Nationalratswahl viele Übereinstimmungen mit unserem Programm gezeigt hat. Bei einem Treffen kam dann noch die KPÖ ins Gespräch, die—ebenso wie wir—pro Europa eingestellt ist, und dennoch gleichzeitig fundamentale Systemkritik an der jetzigen EU übt.

Erst hatten wir unsere Vorbehalte gegenüber der KPÖ, die wir jedoch beim ersten Treffen abgebaut haben. „Piraten“ ist ja auch ein Name, der bei manchen Leuten Vorurteile hervorruft. Unsere Differenzen stellen wir jetzt hinten an und betonen dafür unsere Gemeinsamkeiten. Wir bilden eine Wahlallianz, die von Anfang an unabhängige Leute einbezieht. Wir haben eine Chance gesehen, dass daraus eine breite Bewegung gegen das, was uns von der etablierten Politik als alternativlos verkauft wird, entstehen könnte. Das hätten wir nicht allein geschafft.

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Was sind die Kritikpunkte an der EU?
Unsere Kritik setzt fundamental am Aufbau der EU an. Das EU-Parlament kann beispielsweise keine Gesetzesinitiativen ergreifen. Das ist absurd! Es kann von den Regierungen, die in einem nationalen Kontext gewählt und gebildet wurden, überstimmt und blockiert werden. Die EU sollte keine bürokratische, sondern eine demokratische Institution sein. Obwohl sich die Regierungen immer auf die EU ausreden, sind sie es letztendlich, die die Weichen stellen.

Europa anders fordert also auch mehr Kompetenzen an die EU abzugeben?
Ja, man müsste die Kompetenzen der EU schon erweitern, zum Beispiel in Richtung einer Sozialunion. Dabei müssen wir beachten, dass wir uns auf den höchsten Standard einigen, es darf nicht eine Nivellierung „nach unten“ erfolgen. Aber gehen wir zuerst die Demokratisierung an und reden wir dann über das Ausweiten.

Ein weiterer Kritikpunkt aus Piraten-Sicht ist, dass uns die etablierte Politik vermittelt, wir könnten unsere Freiheit nur retten, indem wir sie aufgeben. Darunter fällt die Anlegung von Personendossiers durch die Vorratsdatenspeicherung, die Verletzung der Unschuldsvermutung durch Überwachung. Die freie Meinungsäußerung wird dadurch bedroht, dass man sich bewusst sein muss, jederzeit von der NSA überwacht werden zu können. Hierbei werden unsere Grundrechte verletzt. Die EU gibt sich bisher machtlos gegenüber den Amerikanern, dabei machen viele Mitgliedsstaaten kräftig mit. Wir können Edward Snowden kein Asyl geben, weil Barack Obama droht, dann keine Rede mehr im EU-Parlament zu halten?!

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Ein weiteres Thema ist die Bankenrettung. Wir alle sollen Schulden begleichen, die wir nicht verursacht haben. Die Menschen in Griechenland müssen mit massiven Beeinträchtigungen durch die Sparpolitik leben, um angeblich die griechischen Banken zu retten. Es heißt, die europäischen Rettungsgelder würden an Griechenland gehen, aber in Wirklichkeit wird das Geld an die gezahlt, die griechische Anleihen halten und dort Kredite vergaben – also ausländische Spekulanten, deutsche Banken, usw. Medial wird diese Sachlage ganz anders dargestellt. Dort ist dann die Rede von den „faulen Griechen“ und „den korrupten Griechen“.

Das sind also die großen Kritikpunkte: die Überwachung, die Struktur der EU, die Bankenrettung, der damit einhergehende Abbau des Sozialstaats und die verordnete Austeritätspolitik mit dem undemokratischen ESM.

Sag noch kurz was zum Transatlantischen Freihandelsabkommen.
Das ist ein sehr akutes Thema. Wieder wird so wie bei ACTA ein Abkommen durchgesetzt, ohne dass die Bevölkerung es gefordert hätte. Das Zustandekommen des transatlantischen Freihandelsabkommens könnte bedeuten, dass Bürgerrechte zugunsten der Handelinteressen großer Konzerne verletzt werden. Wir sind froh, dass es bereits eine relativ große Protestplattform gegen das Abkommen gibt. Wir müssen aber aufhören, immer in der Abwehrhaltung zu sein. Stattdessen sollte sich die EU proaktiv engagieren, dass Standards für den internationalen Konsumentenschutz und die Freiheit des Internets etabliert werden.

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Ihr werdet manchmal als breite Linke bezeichnet—wieso ist die KPÖ bei Europa anders dabei und die SLP nicht?
Persönlich schätze ich den Aktionismus der SLP, aber sie hat in manchen Punkten einen radikaleren Ansatz, der, befürchte ich, nicht mit dem von Europa anders kompatibel ist. Auch die Rhetorik ist anders, selbst wenn dahinter verwandte Ziele und eine ähnliche Weltanschauung erkennbar sind. Bisher gab es meines Wissens keine Gespräche.

Die KPÖ und die Piraten—gibt es zwischen euren beiden Parteien Konflikte oder eher konstruktive Reibungen?
Wir wollen möglichst schnell an den Punkt kommen, dass wir als Europa anders wahrgenommen werden und nicht bloß als die KPÖ und die Piraten. Piratenintern sind die Diskussionen mit der KPÖ konstruktiv, da sie uns zu einer klareren Positionierung zwingen. Die Piratenpartei hat mit einem eingeschränkten Themenkreis damals in Schweden begonnen und hat lange Zeit nicht gewusst, wo sie sich einordnet und zu welchen Begriffen sie sich bekennt. Am Anfang stand die Idee im Raum, dass wir „ideologiefreie“ Politik machen könnten. Aber heute teilen wir mit der KPÖ den Anspruch, allen Menschen zu Mündigkeit und Mitbestimmung zu verhelfen—und erkennen, dass das nicht ideologiefrei ist.

In deinem Blog schreibst du, dass ihr euch von „jeglichen extremen Ausprägungen des Kollektivismus“ distanziert. Ist das eine Anspielung auf das „K“ in KPÖ?
Das ist die Klarstellung, dass auch die KPÖ mit autoritären Regimen oder absolutistischen Absichten—der absoluten Unterordnung des Individuums unter das Allgemeinwohl—nichts am Hut hat. Sonst würden wir nicht kooperieren.

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Kannst du dir vorstellen, dass euch durch das Image der KPÖ Stimmen von Piratenwählern verloren gehen könnten?
Das wird so sein und das tut mir sehr leid. Ich glaube aber, dass wir viel mehr Wähler dazugewinnen, die zu schätzen wissen, dass wir Gemeinsamkeiten suchen. Ich finde es auch sehr spannend, dass wir gemeinsam keine Partei sondern eine Bewegung sind. Wir haben nicht die bürokratische Struktur einer Partei und vergeben auch keine „Posten“. Wir sind eine offene Gruppe, in der auch Leute abstimmen können, die keiner Partei angehören.

Habt ihr Europa anders nur für die Europa-Wahl gegründet oder gab es allgemein die Idee, eine Neue Linke ins Leben zu rufen?
Die Piratenbasis hat über diese Wahl abgestimmt, weitere Pläne wurden noch nicht thematisiert. Wir machen zunächst einen Schritt nach dem anderen und schauen, wie die Wählerreaktion sein wird. Weiteres hängt sicher zu einem großen Teil davon ab, ob wir bei der Wahl mehr erreichen, als die Summe unserer Teile.

Braucht es nicht besser etwas Neues, das die Wähler begeistert und motiviert. So wie man die Neos die neue ÖVP bezeichnen könnte, eine neue SPÖ? Also einen Neuanfang und nicht eine Allianz aus drei schon bestehenden Parteien? Gerade mit der KPÖ hat das ja dann eher einen alten Anstrich.
Das wollen wir auch durchaus rüberbringen. Das „K“ ist ja bewusst nicht im gemeinsamen Namen. Du hast zum Beispiel den Wandel noch gar nicht erwähnt.

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Das liegt vermutlich daran, dass der Wandel während der Nationalratswahl kein besonders ausgeprägtes Profil gezeigt hat. Noch ist nicht ganz klar, wofür der Wandel eigentlich steht und wie er Europa anders beeinflusst.
Wir schätzen ihr Hauptanliegen der Verteilungsgerechtigkeit sehr.

Was sind die problematischen Programmunterschiede der drei Parteien?
Interessant finde ich, dass nur wenige Punkte der Piraten keine Übereinstimmungen in den Parteiprogrammen der KPÖ und vom Wandel finden—anders verhält es sich beispielsweise mit den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der KPÖ, zu denen wir Piraten teilweise noch keine abgestimmte Meinung haben, die wir aber wahrscheinlich nicht alle teilen werden. Die KPÖ setzt die Schwerpunkte anders. Sie sieht sich als Verteidigerin der Arbeiter und Arbeiterinnen. Aber insgesamt haben wir bisher keine schwerwiegenden Differenzen. Könnte sein, dass noch etwas auftaucht.

Wenn der Wandel und ihr gemeinsam bei der Nationalratswahl, sagen wir einmal, drei Prozent gehabt hättet, hättet ihr die KPÖ dann in eure Wahlallianz mitreingenommen?
Das kann ich schwer beantworten. Es gab natürlich Vorurteile und wir mussten uns erst kennenlernen. Ich bin froh, dass sie an Bord sind. Sie sind sozial sehr engagiert und ich finde, sie sind eine ganz wichtige Verstärkung dieses Bündnisses.

Wie geht es weiter, wenn die Wahlergebnisse enttäuschend sind?
Dann sind alle frustriert und haben sicher einen Hänger, aber dann kommt 2015 die Wienwahl. Dann versuchen wir es noch einmal, als Piraten. Auch wenn diese Allianz scheitern sollte: Wir sind gekommen, um zu bleiben.

Woher kommt die geringe Wahlbeteiligung bei den Europawahlen?
Das ist eine direkte Folge der verkorksten Struktur der EU. Es wird kaum darüber berichtet, was auf Europa-Ebene passiert. Ihr wird wenn dann die Schuld an allem Bösen zugeschrieben, die Medien diskutieren über Gurkenkrümmungsgesetze, aber nicht die großen Fragen. Wer hat in Europa das Sagen? Wer erlangt durch den Fortschritt mehr Macht? Dienen wir der Wirtschaft oder umgekehrt? Diese Fragen werden auf Europa-Ebene entschieden, aber diese Debatten werden kaum geführt. Daran sind die Medien, die Struktur der EU, aber vor allem die Politiker schuld.

Hanna ist auch auf Twitter: @HHumorlos.