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Fight Club live: Wo Paare sich von Berufs wegen prügeln

„Fight! Palast" ist Fight Club 2014 voll Echtwelt-Gewalt. Rapper Baze war es aber nicht brutal genug.

Alle Fotos zur Verfügung gestellt von Rob Lewis (Fight Palast)

Im Theater gibt es keine Tabus, deshalb ist Theater so saulangweilig. Der Regisseur Volker Lösch sagte mir mal (und sagt es wohl einmal pro Woche zu irgendjemandem), dass auf der Bühne alles erlaubt ist ausser Mord und Sex mit Kindern. Dass diese zwei Dinge auch im echten Leben nicht wirklich toll sind, fügte er gleich selbst an.

Und weil es im Theater keine Tabus gibt, kann ich einen Artikel mit der Headline

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„Das Theater am Neumarkt verteilt Schweineglieder in ganz Zürich" schreiben und kein Schwein wird den lesen. Wenn dort stehen würde, Bon Jovi oder auch nur schon die ZVV-Gewerkschaft verteilten Schweineglieder, wäre das wohl anders.

Und darum drücke ich jetzt hier mal nicht auf Tabus, denn klar könnte man eine „Fight! Palast"-Tabu-Hitlist erstellen:

1. Alle Spieler strippen bis aufs Suspensorium. 2. Wenn sie einzelnen Leuten im Publikum Zettel verteilen, kommen die direkt aus dem Schritt. 3. Eine Spielerin hat ihre Beine schon vor der Premiere voll blauer Flecken. 4. Ein Echtleben-Pärchen schlägt sich auf der Bühne in Echtwelt-Drastik, also echt. (Nina, der weibliche Part, trägt allerdings einen Kickbox-Kopfschutz: „Das Ding trage ich wegen meiner Nase. Ich finde schön, wie sie aussieht.")

Ich bin und bleibe Fight Club-Fan. Mein 15-jähriges Ich hätte gerne jedem Panda, der sich nicht fortpflanzen wollte, eine Kugel verpasst. Und nein: Natürlich wichst bei „Fight! Palast" niemand in eine Morchelsuppe. (Obwohl alle ihren Tiefschutz und das, was darunter ist, zu IKEA-Werbetexten streicheln.) Und zumindest an dem Abend, an dem ich da war, war kein Blut zu sehen, noch nicht mal welches aus Randensaft.

2014 sind eben alle solche Diven, dass niemand mehr „etwas Schönes zerstören" muss wie Edward Norton 1999, drum toben bei „Fight! Palast" keine Tankwarte sondern Künstler (sprich: nebenberufliche Callcenter-Mitarbeiter). Sie haben keine gebrochene Rockstarkarriere, sondern wissen, dass ihre „Kinder Kinder von Popstars sein werden" und niemand findet es richtig geil, Künstler zu sein. Eigentlich will man wieder Kartoffelsalat essen und hat genug von der „immateriellen Scheisse, die man im Theater immer frisst".

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Es wird schnell klar, dass die Kämpfer/Spieler ihre Callcenter-Überwasserhalte-Jobs gerne gegen die Stellen von Premierenbesucher tauschen würden, etwa gegen einen Onlinemarketing-Job beim

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War Fight Club 1999 ein Yuppie-Exzess gegen die Karriere, bleibt davon 2014 die Sehnsucht nach echtem Ruhrpott-Kartoffelsalat. In der Welt von „Fight! Palast" gibt es nur noch Kulturmenschen: Leute, die Rainald Grebe Stoff für immer neue Songtexte und der ZEIT oder der NZZ Anlass für Kulturpessimismus-Rettichmeditationen bieten.

Und „Fight! Palast" wichst dieser Welt in die Morchelsuppe: „Kickboxing habe ich mir so vorgestellt, dass albanische Spinner gewalttätige Jugendliche in irgendwelchen Kellern hochzüchten."

Noch an der Tür zum ersten Besuch beim Echtwelt-Kickbox-Kurs stellten sich die Kämpfer/Spieler Fragen, wie „Wie mache ich das mit dem Blut? Ich habe heute gar kein Handtuch dabei." In der wütigen Verarbeitung auf der Bühne verblasst das wegen der Normalität der aktiven Kickboxer und Kickboxerinnen mit gewachsten Vulvas, die sie im Training getroffen haben. (Auch ein Thema.)

Da im Echtwelt-Kickboxclub alle nett und keine Jugendgewalttäter sind, ist der „Fight! Palast"-Member „ein klein wenig enttäuscht". Denn heute sind alle ausgeglichen und um neue Varianten von Kartoffelsalat-Dressings bemüht, selbst wenn man sich für ein Stück schon mal mit der eigenen Freundin prügeln muss. Am Ende darf dann ein Zuschauer das IKEA-Regal zertrümmern.

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Wer vom „Eltern von Kindern von Popstars"-Leben noch nicht genug hat, darf nach jeder Vorstellung zum Kickbox- oder Kartoffelsalat-Workshop oder—kein Witz—Gipsfäuste zum nach Hause nehmen giessen.

Da der Live-Fight Club in Bern inszeniert wird und Bern unabhängig von den tatsächlichen Einwohnerzahlen ein Nest ist, sieht man an guten Tagen (Vielleicht war das auch einmalig.) hinterher den Rapper Baze unter der Laube, der sich darüber aufregt, dass die Kampfszenen nicht brutal genug gewesen seien.

„Fight! Palast" ist noch bis am 4. Oktober im Schlachthaus Bern zu sehen. Infos und Tickets gibt es hier.

Folge Benj auf Twitter: @biofrontsau