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Popkultur

The Act of Abgrund: Doku-Highlights mit Joshua Oppenheimer und Barbara Eder

Wir haben Karten für den umwerfenden The Act of Killing im Gartenbaukino und Konfrontationen mit dem Bösen in Blick in den Abgrund.

Wer einen Film sucht, der so noch nie vorher gedreht wurde, ein Film, der tatsächlich einzigartig ist und eine Geschichte so erzählt, dass sie als beispiellos in die Geschichte eingehen wird, der hat ihn mit The Act of Killing gefunden. Es handelt sich um einen Dokumentarfilm, der dich ohrfeigt, und die brennende Wange wird so schnell nicht wieder abschwellen. Selbst Werner Herzog prophezeit, dass in den nächsten zwei Dekaden kein Film wie The Act Of Killing nachkommen wird.

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Regisseur Joshua Oppenheimer erzählt von einem Ereignis, dessen Vorkenntnis mehr oder weniger vorausgesetzt wird, man dann aber doch nicht unbedingt kennen muss. 1965 gab es in Indonesien einen Putschversuch von Teilen des Militärs, der vom rechtsgerichteten General Suharto vereitelt wurde. Der Kommunistischen Partei Indonesiens wurde die Schuld in die Schuhe geschoben (ob als Vorwand oder nicht, ist hier irrelevant). In Folge wurden Kommunisten und angebliche Kommunisten verfolgt und brutalst beseitigt. Eine Million Menschen wurden einfach verschleppt, terrorisiert und massakriert. Suharto wurde selber zum Führer Indonesiens und die grausigen Vollstrecker des Genozids werden als Helden im patriotischen Sinnbild des Landes gehandelt. Eine Aufarbeitung—wie sie zum Beispiel in Bosnien nach den Massakern im Jugoslawienkrieg passierte—gab es nie.

Joshua Oppenheimer

The Act of Killing erzählt nun die Geschichte jener Leute, die im Auftrag Suhartos die sogenannte Drecksarbeit erledigten, das Morden. Oppenheimer begleitet eine Handvoll dieser Gangster, eine selbstaufgetragene Berufsbezeichnung—„Gangster means free man“.

Solche Doku-Prämissen sind meistens Verteidigungen, Relativierungen und Entschuldigungen wie: „Es war ja unser Job. Wir sind gar nicht so schlechte Menschen, und es tut uns auch irre Leid.“ Doch nicht hier. Die Schergen und Protagonisten, Anwar, Herman und Syamsul, sind absolut unreflektiert und nahezu kindlich-naiv stolz auf ihre Kommunisten-jagenden Taten. Sie wollen nichts verbergen oder herunterspielen. Warum denn auch? Sie wissen: "War crimes are defined by the winners. We are the winners". Sie treten in Fernsehshows auf, werden auf der Straße bejubelt.

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Das ist der Startschuss für die schrecklichste und realste Horrorshow, die je auf einer Leinwand umgesetzt wurde. Einzigartig, wie die Täter unberührt von ihren Morden berichten, und das nicht in einer Gefängniszelle sondern Kokosmilch trinkend in einer Bar in Sumatra. Wenn man sich nur kurz ins Bewusstsein ruft, dass dieser Film in irgendeinem Paralleluniversum spielen und von Österreichern handeln könnte, weil 1945 jemand anderer gewonnen hat, sträuben sich die Haare.

Und genau diese Vorstellung bringt The Act Of Killing aus dem entfernten Indonesien so unmittelbar nah in den Kinosaal, unweit des Dr.-Karl-Lueger-Denkmals, gepaart mit der Erkenntnis, dass sich die eigentliche Vorstellung in Indonesiens Realität abspielt. Dort gab es keine Historikerkommission, kein Den Haag, kein Yad Vashem und keine nennenswerte Aufarbeitung. Joshua Oppenheimer gelingt dahingehend noch etwas Einzigartiges, er bringt diese Täter in Ansätzen zur Selbstreflektion. Vermutlich tun sie das—den flüchtigen Erzählungen von nächtlichen Albträumen nach zu schließen—nicht das erste Mal in ihrem Leben. In diesem Fall aber vor einer Kamera, die mit der Rolle der Öffentlichkeit gleichgestellt werden darf.

Und da passiert auch ein Wendepunkt im Film. Ich denke, dass nicht einmal Oppenheimer mit diesen Reaktionen gerechnet hat, und wenn, dann beweist er ein psychologisches Naturtalent. Er fragt salopp, ob sie nicht ihre Geschichte episodisch für einen Film im Film nachspielen möchten. Ein Tropic Thunder für Massenmörder. Das ist ein für die Protagonisten noch nie da gewesener Live-Stream-Of-Consciousness und sie willigen freudig ein. Wie in einem Kindergartenhort bekommen sie eine Aufgabenstellung, der sie sich mit vollem Eifer und Elan hingeben. Und Oppenheimer hält mit der Kamera einfach drauf. Ein Husarenakt und geniales Stilmittel, der The Act of Killing in eine teils surreale Ebene katapultiert. Man möge mir die unumgängliche Wortwiederholung verzeihen, aber das ist EINZIGARTIG!

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Man erwischt sich bei The Act of Killing plötzlich, wie man laut auflacht. Anwar entledigte die Opfer auch ihres Hab und Guts um danach Party zu machen: „Relax and Rolex“.  YOLO, true Gangster Style. Dieser Film im Film katapultiert sich auf eine komplett surreale Ebene.

Wer sich The Act of Killing anschauen möchte, wird sich wahrscheinlich denken können, dass das ziemlich heftig wird. Ich bin sehr froh, diesem Film die Chance gegeben zu haben, mich sprachlos zu machen. Man taumelt stumm aus dem Kino. Die Gala-Premiere wird eher ruhig ausfallen.

The Act Of Killing bricht mit vielen Regeln, weshalb er auch von allen so bejubelt wird. Zu keiner Zeit identifiziert man sich mit den handelnden Personen oder findet sie irgendwie sympathisch—und doch urteilt der Film in keinster Weise. Das bleibt alles dem Zuseher überlassen. Auch das bricht mit Regeln und manch billigen Methoden der Dokumentarfilmer. The Act of Killing ist nicht mehr wegzukriegen und die Wange wird noch länger brennen.

Wir verlosen 2x2 Karten für die Premiere von Act of Killing im Gartenbaukino am 19.2., Mittwoch. Schnell noch eine Mail an win@vice.at um zu gewinnen!

Mehrere Blicke in den Abgrund

Ein weiterer Dokumentarfilm, der wie Act of Killing aufgrund seiner filmischen Stilmittel erwähnenswert ist, ist Blick in den Abgrund, wenn auch auf eher negative Weise. Barbara Eders Dokumentarfilm über die forensische und psychologische Detektivarbeit bei Serienmord- und Vergewaltigungsfällen, hat nämlich die Angewohnheit Drama ins Dokumentieren zu pressen. Diese Art von Storytelling finde ich in Dokus sehr problematisch.

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Barbara Eder besucht PolizistInnen und Profiler im öffentlichen wie auch im privaten Dienst aus den USA, Finnland, Deutschland und Südafrika. Sie knüpft damit in einer Linie an jene anglosächsische Krimiszene an, die wir aus CSI, Schweigen der Lämmer und meinetwegen auch vom Tatort kennen. Der Film ist also sowas wie ein Behind-The-Scenes Featurette und tatsächlich liefert Blick in den Abgrund Ausschnitte von Jodie Fosters Chianti-Klassiker aus 1991, mit Running Commentary direkt von der Wohnzimmercouch der beiden Ex-FBI-Profiler Roger Depue und Robert Hazelwood. Sie waren damals Berater für den Film und untersuchen immer noch mit einer privaten Firma sogenannte Cold Cases aus vergangenen Jahren.

Eder verpasst mit der Auswahl ihrer in der westlichen Rechts- und Popkultur angesiedelten ProtagonistInnen leider die Chance, eine vielleicht andere kriminalistische Zugangsweise zum Gewaltmord zu zeigen. Ich habe zum Beispiel noch nie einen Special Agent aus Indien gesehen. Oder in Japan. Oder in Chile. Vielleicht gibt es im buddhistischen Bhutan auch keine Vergewaltigungen und keine Psychos, die sich aus einer Frust heraus schnell mal eine Joggerin schnappen. Weißt du die Antwort?

Der Film stößt somit schnell an seine sich selbst auferlegten Grenzen. Das Hauptaugenmerk wird auf nur eine Frage gelegt: Wie hält man aus, wenn man in der Polizeiarbeit täglich mit dem „Bösen“ (Untertitelzitat) konfrontiert wird. Die Antwort kann sich aber ohnehin jeder von uns denken, dazu braucht es keinen filmisch in Szene gesetzten Dokumentarfilm.

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Die finnische, forensische Psychologin kann nicht mal beim Sonntagsfischen mit ihrem völlig entnervten Gatten abschalten. Er hat es aufgegeben, mit seiner Frau über Sochi, Edathy oder gemeinsame Kinder plaudern zu wollen. Ja, das ist tragisch. Sie quittierte kurz nach Fertigstellung des Films auch ihren Dienst, weil sie’s einfach nicht mehr aushielt. Das wird niemanden auch nur im Geringsten überraschen.

Inszenierte Szenen—wie eben jene beim Fischen—sind exemplarisch für die fragwürdige, szenische Darstellungsweise, mit der Eder versucht, innere Gedankenprozesse der armen Profiler für einen Dokumentarfilm abzulichten. Das ist zugegebenermaßen schwierig und Eder löst es wie im Tatort, mit zwei Kameras, Gegenblende, Tiefenschärfe. Ist das dann aber noch ein Dokumentarfilm Einblicke in die Polizeiarbeit anderer Kulturkreise wären interessanter gewesen, eine vorausschauende Einschätzung eines Anthropologen oder einfach Statistiken über Aufklärungsraten. Alles, was ich von Blick in den Abgrund mitnehme, ist die Angst, dass an jeder Ecke, in jedem Park, vor jedem Aufzug ein Gewalttäter lauert—nicht lauern könnte, sondern sicherlich LAUERT. Der geneigte Zuseher wird auch den einen oder anderen Tipp mitnehmen können, denn es dürfte echt einfach sein, so ein Vergewaltigungsmord. Ein fragwürdiges Fazit.

Während The Act of Killing eine Dokumentation über einen Film im Film darstellt, ist Blick in den Abgrund wie ein als Dokumentarfilm getarntes Drama mit Agenda. So haben alle ihre Meta-Ebene erreicht und ich verabschiede mich.

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Bilder von Thimfilm und Alphaville