FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Wir haben uns „Flavor of Love“ nach 10 Jahren noch einmal angesehen

Ghetto Girls und Grills aus Gold: Flavor Flavs Dating-Show war voller Klischees — sie war aber auch verdammt unterhaltsam.

Screenshot via YouTube

Mein exzessiver Use von Anglizismen im alltäglichen Sprachgebrauch ist wohl hauptsächlich auf jugendliche Songtext-Mantras und das beste Englisch-Buch aller Zeiten zurückzuführen. Oft vergesse ich dabei aber meinen dritten Elternteil zu erwähnen—den Fernseher. Ob ich ohne die Celebreality-Formate auf MTV überhaupt je von „ass" als wichtigstes Suffix erfahren hätte? I doubt it.

Früher, als MTV noch MTV war—also trashiges Reality-TV mit vereinzelten Musikvideo-Einwürfen—, war das Programm vollgestopft mit Dating-Shows für ranzige Mittzwanziger, die meistens noch drei bizarre Trivia-Facts über ihre Person herunterbeten mussten, bevor sie in billig inszenierte Picknick-Sets gesetzt wurden, um vorgegebene Antworten auf vorgegebene Fragen vorzutragen.

Anzeige

Diese Shows waren jedoch rein gar nichts im Vergleich zu dem, was in den USA auf dem Schwesternsender VH1, im deutschsprachigen Raum auf MTV, als Celebreality—Reality-TV mit semi-prominenten Darstellern—bekannt wurde und mit Flavor of Love schließlich eine Sendung gebar, die uns nicht nur Sternstunden der Popkultur lieferte, sondern vor allem ein Geschenk machte, dessen wahren Wert wir erst 10 Jahre später zu schätzen wissen würden: Miss New York.

Alles begann, als Flavor Flav, seines Zeichens Hypeman und Mitglied von Public Enemy, in der VH1-Show The Surreal Life—eine Art Promi-Big Brother, nur ohne Container—auf Brigitte Nielsen traf. Flav ging los da rein, die beiden verliebten sich und lösten damit eine Kettenreaktion aus, aus der letztendlich unpackbare 14 indirekte Spin-Off-Shows hervorgehen sollten. Eine historische Begegnung, sozusagen.

Strange Love begleitete zunächst das Leben von Gitte und ihrem Foofy (bereits hier zeichneten sich Spitznamen als Trend ab). Da die Beziehung dann aber doch nicht hielt, wurde Flav vom Sender kurzerhand zum Bachelor ernannt und bekam 20 gecastete Damen an die Seite gestellt, die von nun an um ihn buhlen sollten. Und das würden sie nicht etwa halbherzig machen, sondern unter vollstem Körper- und Speicheleinsatz. Dieses Jahr feiert Flavor of Love sein 10-Jähriges.

Das Beste an diesem ganzen Format war schon mal die anfängliche Gleichgültigkeit, mit der Flav den Kandidatinnen gegenübertrat. Interessiert haben ihn die Mädels zwar schon irgendwie, aber nun mal nicht so sehr, dass er sich gleich ihre Namen merken würde. Er entschied sich ganz einfach dagegen. Die F bekamen also während der ersten Zusammenkunft direkt neue Namen zugeteilt—von Flavor Flav höchstpersönlich aus den Fingern gesogen.

Anzeige

„Du spielst Basketball? Dann heißt du ab jetzt Hoopz. Ich hab gehört, Austern wirken aphrodisierend? Yo, Oyster! Du knutscht schon beim Vorstellen? Geil, ich nenn' dich trotzdem Pumkin. Und du … Nibblz." Flav klebt den Mädchen, die er gerade kennengelernt hat, zärtlich Namenssticker auf ihre Brüste. Nur eine merkt sarkastisch an, dass er ja ein wahrer Gentleman zu sein scheint. Ein bisschen grausig ist das schon alles.

Wie die meisten von uns brüllt auch Flavor Flav gerne seinen eigenen Namen lautstark in die Welt hinaus und eigentlich sieht er die meiste Zeit aus wie ein klischeehafter Zuhälter, der abwechselnd Wikinger-Hut und Krone trägt. Statt wie der Bachelor Rosen verteilt Flavor Flav Uhren an seine Ladys, gefolgt vom Satz „You know what time it is" und einem feuchten Bussi. Bekommt eine Kandidatin keine Uhr, ist ihre time folgerichtig up.

In der ersten Folge der ersten Staffel merkt Kandidatin Goldie an, die ganze Situation erinnere sie ein klein wenig an einen Ghetto-Abschlussball. Und alle sind mit dem selben Typen dort. Goldie scheint über eine außergewöhnlich gute Auffassungsgabe zu verfügen—schließlich war sie es auch, die uns lehrte, wie man bürgerkriegsähnlichen Konflikten ordnungsgemäß aus dem Weg geht—man spricht das Essen an: „I thought the chicken was lovely!"

Unvergessen bleibt die Szene in der zweiten Staffel, in der eine Kandidatin namens Somethin es nach einer Eliminierung einfach nicht mehr aufs Klo schafft und daraufhin beinhart auf die Stufen kackt. Ich kann bis heute noch immer nicht ganz glauben, dass das tatsächlich passiert ist. Man denkt ja immer, man hätte alles gesehen—bis plötzlich eine auf die Stufen scheißt. Reality-Gold.

Anzeige

Der wohl bekannteste Moment der gesamten Show ereignet sich jedoch im Halbfinale der ersten Staffel: Drei Mädels sind während der Uhrenvergabe noch übrig. Pumkins Zeit ist abgelaufen, sie muss das Haus verlassen. Bevor sie geht, nimmt sie aber nochmal all ihren Mut—und ihren Schlatz—zusammen. Ich kann noch förmlich New Yorks Stimme hören: „Do it! Slap me, bitch!" Zeitlupe. Spucke. Sämtliche Aggressionen, die sich während der Staffel in Pumkin angestaut haben, landen plötzlich direkt auf New Yorks Kinn. Und nichts war mehr so wie früher.

Laut Aussagen von New York roch Pumkins Speichel wie eine „nasty ass toilet". Bei der obligatorischen Reunion-Show, die erwartungsgemäß nur aus Schreien bestand, wollte sie sich in Form eines Bitch-Slaps rächen, der ihr jedoch von Big Rick, Flavs Bodyguard, verwehrt wurde. Als wäre New York an diesem Punkt nicht eh schon längst die polarisierendste aller Kandidatinnen gewesen, war sie damit auch noch eine Ikone geworden—und der Augenblick, in dem eine Blondine in ihr Gesicht rotzt, würde noch 10 Jahre später die Handycover von Millennials zieren. Ihr Vermächtnis würde außerdem zahlreiche Memes (New York bedrohlich lächelnd mit Messer, New York rastend auf Bett) und legendäre GIFs einschließen.

Von all den Reibereien, in denen New York einen Rolle spielte—und davon gab es viele—war die mit ihrer nicht minder wahnsinnigen Konkurrentin Hottie wohl eine der berühmtesten. Hottie hatte von Vornherein schon diese verrückten Augen und kam leider konstant so rüber, als wäre sie ein bisschen geistesgestört—auch, weil sie Flav an einem Punkt angetautes Tiefkühl-Huhn zum Abendessen servierte.

Anzeige

Als sie in der Runde verlautbart, alle wären neidisch auf sie, weil sie aussehe wie Beyoncé, ist es New York, die die Initiative ergreift: „Beyoncé? Beyoncé? Beyoncé? You fucking look like Luther Vandross." Miss New York bekam schließlich im Finale der ersten Staffel einen Korb, nur um später während der zweiten Staffel von Flav zurückgeholt und abermals im Finale verschmäht zu werden.

Man kann ihr ja einiges vorwerfen, aber sicherlich nicht Stolz. Letztendlich hat sich ihre Hartnäckigkeit aber sogar ausgezahlt: In I Love New York wurde sie sozusagen zur Flavorette. Weiters gab es mit New York Goes to Hollywood und New York Goes to Work zwei weitere Formate, die sich ausschließlich auf die HBIC konzentrierten. New York war in the motherfucking house, und sie würde fast 10 Jahre warten, bis sie wieder in eines einzog—nur diesmal bei der britischen Version von Promi-Big Brother.

Flavor of Love hat rückblickend betrachtet vor allem eines gemacht: Klischees und Stereotype von Frauen ausgeschlachtet—von White Trash über Ghetto Girl bis zu Stripper Latina war alles dabei. Und wie immer, wenn Klischees im Fernsehen vor uns hergetrieben wurden, hatte es auch hier eine reinigende Wirkung: Danach konnten wir uns endlich von all diesen 08/15-Frauenbildern lösen und zu neuen Ufern aufbrechen (also, vielleicht nicht unbedingt MTV, aber der Rest von uns).

Danach gab es bei I Love New York nämlich so ziemlich dasselbe Programm nochmal, nur mit vertauschten Geschlechterrollen. Trotzdem hat das konsequente Drama leider auch verdammt viel Spaß gemacht. Eben so wie der RTL-Bachelor, nur in arg. Und wenn Flavor of Love auch nur für eine Sache gut war, dann für die Installation von Tiffany „New York" Pollard als Spirit Animal und Fixpunkt in unser aller Internet-Leben.

Flavor Franz ist auf dem motherfucking Twitter: @FranzLicht