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Floridsdorf ist der beste Bezirk von Wien

Der 21. Bezirk ist ein eigener Mikrokosmos am anderen Donauufer, in dem es nicht nur Angst, große Entfernungen und ländliche Heurigen-Idylle gibt. Auch, aber nicht nur.
Foto von Stefanie Katzinger, VICE Media

Nach langem Prokrastinieren habe ich es heute endlich geschafft, mich in meiner neuen Wohnung in 1020 Wien zu melden. Beim Herumstöbern in meinen Dokumenten habe ich auch meinen alten Meldezettel gefunden—zwei vergilbte Wische, so alt wie ich selbst, auf denen noch „1210 Wien" steht: Das schöne Floridsdorf, der vergessene Bezirk auf der „anderen" Seite der Donau (wenn man die Stadtwiener fragt). Viele von euch kennen Flodo wahrscheinlich nur als Endstation der U6 oder aus diversen Austropop-Liedern von alten Männern.

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Die wenigsten verschlägt es freiwillig dorthin, und das ist vielleicht auch gut so. Der 21. ist wie ein eigener Mikrokosmos innerhalb von Wien und wer einmal dort ist, kommt schwer wieder weg—im Leben genauso wie mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Unzählige Male habe ich am Wochenende die 42-minütige Straßenbahnfahrt von Stammersdorf bis Schottenring auf mich genommen. Wenn ich die Bim nicht mehr erwischte, war das für mich nicht dieselbe Kleinigkeit wie für Innenbezirk-Bobokinder. Es war „das nächtliche Zittern", das jeder kennt, der in Randbezirken aufgewachsen ist: Erwischt man noch die Nightline oder muss man sein halbes Taschengeld für eine beschissene Taxifahrt ausgeben?

Aber neben Angst, großen Entfernungen und der ländlichen Heurigen-Idylle hatte der 21. noch ziemlich viel mehr in petto. Was man über den Bezirk auch sagen mag, meine Jugend in Flodo war alles außer fad. Und weil „Transdanubien" immer noch etwas ist, das abseits von den Alltagsgeschichten und irgendwelchen Klischeemärchen zwischen Karmeliter-, Nasch- und Brunnenmarkt nicht wirklich Beachtung bekommt, habe ich hier für euch mein Leben aus dem tollsten (und ja, auch irgendwie komischsten) Wiener Bezirk aufgeschrieben.

Kindheit und Landidylle

Zu Volksschultagen war das Leben noch entspannt. Meine Schule war nur ein paar Straßen von meinem Elternhaus entfernt und lag fast schon an der Grenze zu Niederösterreich. Die meisten meiner Schulkollegen waren wohlbehütete Kinder aus der Heurigen-Gemeinde Stammersdorf.

Ihre Eltern waren Winzer und Wirte und ein Pool oder Ponyhof im Garten war keine Seltenheit.Viele Sorgen hatte ich damals noch nicht, außer vielleicht, ob ich mir eine Vanillemilch oder einen Kakao für die große Pause bestellen sollte, oder ob ich schon wieder meinen Hamster im Garten verloren hatte. Verantwortung und/oder Haustiere waren schon damals nicht so mein Ding.

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Diese Idylle hatte aber nach der 4. Klasse ein abruptes Ende. Dann ging es nämlich ab aufs Gymnasium und auch, wenn es kein Real-Gymnasium war, wurde das Leben dort ziemlich schnell ziemlich real.

Mein Pre-Teen Ghetto Wien 21

Meine damalige Schule ist bis heute die größte allgemein bildende höhere Schule Österreichs—damals bis zu 8 Klassen pro Jahrgang, heute 1.300 Schüler pro Schuljahr. Die Bandbreite der Schüler war so groß wie Floridsdorf selbst und deckte die sozialen Schichten von oben bis unten und wieder hinauf ab. Der Schulalttag war also sehr facettenreich und statt Vanillemilch flossen Tränen, Haartönungen und erste Menstruationsblutungen.

An dieser Stelle möchte ich noch mal dem Based God danken, dass nicht ich diejenige war, der während ihres Geschichte-Referats auf einmal Blut aus der beigen Hose tropfte. Die meisten von euch kennen aus der Schulzeit wahrscheinlich eine ziemlich grundlegende Hierarchie: Coole und Uncoole. Bei uns war das Mobbing-Game so hart, dass man teilweise selber nicht mehr genau wusste, zu welcher Seite man gehört. Ich, als damals moppelige Streberin in Esprit-Strickweste und Mitglied der Theathergruppe, war wohl eher auf der Seite der Uncoolen. Aber sogar ich habe damals mit meiner besten Freundin fleißig andere zum Weinen gebracht. Regina George wäre stolz gewesen.

Wie in allen Schulen gab es aber auch bei uns einen unangefochtene König der Unterstufe. Das war ein Punker aus dem 4. Jahrgang. Seine Beliebtheit lag wohl auch daran, dass er schon zirka 18 Jahre alt war und die Klasse zum x-ten Mal wiederholen musste. Sein hoher, blauer Iro war trotzdem die Krone des Schulhofs und die Skaterboys und -girls waren seine Untertanen.

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Und weil wir wie jede anständige Schule unser ganzes Sozialleben brav aus amerikanischen Highschool-Filmen nachgemacht haben, gab es auch bei uns die ganz dunklen Gestalten, die Heather Mooneys des Schulhofs quasi. Da war zum Beispiel ein Mädchen, das mit 13 schon komplett vernarbte Unterarme vom Ritzen hatte. Eine urbane Legende der Schule besagte auch, dass sich ihre Schwester einmal am Schulklo eine Überdosis setzen wollte. Und dann war da auch noch ein Typ, der schon mit 12 am Schulhof Weed verkauft hat. Jahre nach meiner Schulzeit war das Gymnasium in den Schlagzeilen, weil ein Schüler mit einem Amoklauf drohte.

Großwerden mit Gemma Nachtschicht

Weil mir damals alles schon viel zu stressig war, habe ich mich nach der 4. Klasse entschlossen, die Schule zu wechseln. Die Welt stand mir offen, alle berufsbildenden Schulen wurden begutachtet. Mit 14 haben die meisten aber noch andere Prioritäten als höhere Bildung oder Zukunftsplanung— nämlich O. C., California schauen und Seth Cohen lieben. Entsprechend komisch waren wohl auch meine Kriterien bei der Schulauswahl und so fiel meine Entscheidung auf die HAK Floridsdorf (und, neben anderen, auch gegen die Graphische).

Und obwohl ich schulisch in Flodo blieb, startete mein neues Leben bezeichnenderweise zwischen Nachtschicht und Bermuda-Dreieck. In der HAK verkehrte nämlich die Prolo-Disco-Elite des 21. und 22. Bezirks und da ich erstens dazugehören wollte und zweitens die moppelige Streberin hinter mir gelassen und mich über den Sommer in eine schlanke, große Coole verwandelt hatte (bussi Wachstumsschub!), war ich natürlich dabei.

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Mein größtes Schultrauma hatte ich, als ich den SS-Totenkopf-Desktop eines Mitschülers entdeckt habe.

Wie das Leben so spielt, bin ich dort dann den Skaterboys aus der alten Schule begegnet, die nun braungebrannt und weißgekleidet zu Gabry Ponte tanzten. Nach ein paar Monaten an der HAK habe ich glücklicherweise mit den Punk-Rockern aus den höheren Klassen meinesgleichen gefunden und hatte eine relativ entspannte Restschulzeit.

Aber es wäre keine vollständige Schülerkarriere, wenn ich mir nicht zum Ende noch ein kleines Trauma aufgezwickt hätte: Während der Projektvorbereitung für die Matura habe ich nämlich auf dem Computer eines Schulkollegen als Desktop-Hintergrund ein riesiges SS Totenkopf-Emblem entdeckt. Nach ein paar Tagen Schul-Gossip, ob er nun ein Nazi oder ich einfach eine linke Zecke bin, war auch das gegessen.

Fazit

Im Großen und Ganzen ist Floridsdorf super. Man hat Land und irgendwie auch Stadt und wächst sicher behüteter auf, als in manchen Gemeinden am Arsch der Welt, wo die Vorstellungen schnell konservativer und die Jugendbeschäftigungen viel vorprogrammierter sind.

Zumindest bereitet es einen sehr gut auf viele Arten an Menschen vor, die dir in deinem weiteren Leben in Wien vielleicht mal begegnen werden—das heißt, falls du je aus diesem Mikrokosmos rauskommst. Glaubt man den Sagen, die am anderen Donauufer kursieren, haben nämlich sehr viele meiner ehemaligen Schulkollegen bereits Kind und Familie und wurden niemals außerhalb der Bezirksgrenzen gesehen. Mein Vater beschwert sich übrigens immer noch jedes Mal, wenn er „in die Stadt reinfahren" muss.