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​Fragen, die der Molotow-Angriff auf eine Flüchtlingsfamilie in Deutschland aufwirft

Was für ein Mensch wirft eine Brandbombe in eine Wohnung, in der eine Mutter mit drei Kindern lebt?

Nachdem wir erst am Mittwoch miterlebt haben, wie die Gewalt gegen Flüchtlinge eine neue Qualität annahm, als zwei Männer mit einem Messer in eine Unterkunft in Mecklenburg-Vorpommern eindrangen, wurde jetzt schon wieder eine Grenze überschritten. In Salzhemmendorf in Niedersachsen wurde ein Molotow-Cocktail in eine von einer Flüchtlingsfamilie bewohnte Wohnung geworfen.

Brandanschläge auf Flüchtlingsheime hat es in diesem Jahr schon so viele gegeben, dass man die Meldungen kaum noch wahrnimmt. Aber bis jetzt wurden immer nur leere oder kurz vor dem Bezug stehende Unterkünfte angegriffen. In der Nacht zum Freitag ist das passiert, wovor sich alle Beobachter gefürchtet haben: Ein Angriff auf eine Unterkunft, in der eine Mutter aus Simbabwe mit ihren drei Kindern lebt.

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Die Familie befand sich zur Tatzeit in der Wohnung, allerdings in einem Zimmer neben dem, in dem der Molotow explodierte, und überstand den Angriff körperlich unbeschadet. Die Polizei geht von einer Tat mit fremdenfeindlichem Hintergrund aus—die Wohnung befindet sich in einer ehemaligen Schule, in der nur Flüchtlinge untergebracht sind.

Dass dieser Angriff an Feigheit und Niedertracht nicht zu überbieten ist, ist sowieso klar. Aber er wirft noch ein paar weitere Fragen auf:

Wie geblendet von Hass kann man sein?

Natürlich besteht die Möglichkeit, dass die Täter vorher nachschauten, in welchem Zimmer die Familie sich gerade aufhält und sie die Brandbombe dann absichtlich in das Nachbarzimmer warfen. Genauso gut möglich ist aber, dass es ihnen einfach egal war, ob sie jemanden möglicherweise tödlich verletzen oder nicht.

In jedem Fall muss man sich aber fragen, was in den Köpfen dieser Leute vorgeht. Wie können sie es für gerecht halten, andere Menschen so existentiell zu bedrohen? Menschen, die möglicherweise vor genau so einer Bedrohung nach Deutschland geflüchtet sind und jetzt hier versuchen müssen, ihr Leben neu zusammen zu setzen? Obwohl die Diskussion über „echte" und „unechte" Flüchtlinge müßig ist: Simbabwe hat mit Robert Mugabe einen der brutalsten Diktatoren der Welt an seiner Spitze, der seit fast zehn Jahren faktisch Krieg gegen die ärmsten Schichten seines Landes führt. Wie kann man jemandem wünschen, dass er bei lebendigem Leib verbrennt, nur weil er ein besseres Leben für sich und ihre Kinder sucht?

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2. Müssen wir Flüchtlingsunterkünfte jetzt rund um die Uhr bewachen?

Kann es sein, dass wir bald zugeben müssen, dass Geflüchtete in Deutschland nicht sicher sind? Sind Orte, an denen sie leben, eine solche Provokation, dass man sie rund um die Uhr mit bewaffneten Polizisten vor den Einheimischen schützen muss? Ein größeres Armutszeugnis kann man sich für Deutschland 2015 nicht ausdenken.

3. Ist es noch vertretbar, von „Dunkeldeutschland" zu sprechen?

Im Grunde war „Dunkeldeutschland" schon immer ein dämlicher Begriff. Früher machte man sich damit über Ostdeutsche lustig, und heute wird er benutzt, um sich selbst einzureden, dass es so etwas wie ein gutes und ein schlechtes Deutschland gibt. Das schlechte liegt natürlich immer noch irgendwie im Osten und wird von dummen, hässlichen und arbeitslosen Rassisten bevölkert, und das gute sind halt wir.

Das ist Bullshit. Dieser Angriff fand in Niedersachsen statt, in einer Gemeinde, von der der offenbar wirklich schockierte Bürgermeister glaubhaft beteuerte, er habe noch nie von Rechtsradikalen in seinem Ort gehört. Einer der ersten landesweit bekannt gewordenen Brandanschläge auf ein geplantes Flüchtlingsheim wurde im wohlhabenden Hamburger Vorort Escheburg verübt—von einem bis dato völlig unbescholtenen Bürger. Die Gefahr lebt nicht in Ostdeutschland, die Gefahr ist immer da, wo Arschlöcher leben. Und Arschlöcher gibt es überall.

4. Wie können Menschen so etwas tun?

Ich weiß, das ist dieselbe Frage wie die erste. Aber macht es nicht völlig fassungslos, dass Menschen zu so etwas in der Lage sind? Dass sie in Kauf nehmen, brennendes Benzin über ein Kind zu schütten, weil seine Mutter ihm eine Zukunft in Sicherheit ermöglichen wollte?

Ich kann mich mit etwas Mühe tatsächlich in jemanden hineinversetzen, der sich mit einem anderen Mann verabredet, um gemeinsam dessen Penis zu verspeisen. Aber wie jemand wehrlose Unschuldige auf so heimtückische Art und Weise angreifen und dann am nächsten Tag noch in den Spiegel schauen kann, ist mir absolut unerklärlich.