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Fragen, die ich mir als Mann mit langen Haaren seit Jahrzehnten anhören muss

Ja, es ist manchmal heiß darunter (genauso wie bei Frauen) und nein, du darfst mir keinen Zopf flechten (genauso wie bei Frauen).

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Momentan sind ja immer noch ausufernde Bärte in Mode, am Kopf aber im Gegensatz dazu radikale Sidecuts und Topfschnitte, wie sie schon der deutschen Propaganda vor einigen Jahrzehnten gefielen. Es gab aber auch eine Zeit, da waren lange Haare und wilde Mähnen extrem angesagt.

Begonnen hat das in den 60er-Jahren als Symbol des Widerstands gegen das Establishment—für die Ewigkeit manifestiert im Musical „Hair". In den 70ern war von Bart- bis Brusthaar eigentlich alles hocherwünscht, Hauptsache Pelz—nicht mehr ganz so Anti, aber trotzdem kein Widerspruch zu Disco.

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Dann folgten die 80er. Say no more. Die 80er waren die Zeit meiner Pubertät und mit dem Aufkommen der ersten Hair-Metal-Bands war deshalb auch ziemlich schnell mein Fahrplan klar: Eines Tages werde ich ebenfalls tätowiert sein, Haare bis zur Arschritze haben und Stripperinnen abschleppen. Sehr zum Entsetzen meiner Eltern, denn lange Haare waren in deren Augen für Rocker, Beatniks und ähnliches Gesindel reserviert.

Trotzdem habe ich es durchgezogen—wenn auch erst nach dem Bundesheer, natürlich. Schnell wucherten die Haare zu einer ansehnlichen Matte heran. Mit vielem hatte ich meine Mühe: Anpöbeleien, Benachteiligung bei Jobangeboten, Verweigerung von Dienstleistungen (und ich meine damit nicht die Stripperinnen). Aber mit einem hatte ich nicht gerechnet—nämlich mit den unzähligen dummen Fragen, die mir immer wieder an den Kopf geworfen werden, nur weil ich als Mann lange Haare trage. Hier meine persönlichen Highlights.

Willst du gegen irgendwas rebellieren?

Diesen Vorwurf hört man vor allem von den Eltern, aber auch immer wieder von besonders spießigen Zeitgenossen Marke kariertes Hemd und Bundfaltenhose. Nein, will ich nicht. Offensichtlich scheinen (auch heute noch!) viele Menschen lange Haare mit Kommunen, Wehrdienstverweigerung und Pflastersteinwerfen zu verbinden.

Dass man aber rein nur aus eitlen, persönlichen und schlicht optischen Gründen seine Haartracht wählt, ist manchen anscheinend fremd. Meine Eltern haben sich übrigens nach anfänglichen Bestechungsversuchen, die mich umstimmen sollten, doch recht schnell damit abgefunden.

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Ist dir da nicht heiß drunter?

Na klar ist mir heiß drunter, was dachtest du denn? Darum trage ich ja meistens Zopf oder auch Dutt. Leiden gehört nun mal dazu. Aber warum fragt man so etwas? Und vor allem: Warum fragt man das nur Männer?

Oder habt ihr schon jemals gehört, dass dasselbe Mitgefühl einem Frauenkopf entgegengebracht wurde, der sich mit langen, heißen Haaren herumschlagen musste? Ich rede doch auch niemanden mit Glanze drauf an, ob ihm nicht doch vielleicht kalt ist.

Das ist doch nicht mehr cool! Wirst du die mal abschneiden?

Noch so eine dumme Frage. Was weiß denn ich? Solange es mir und meiner Partnerin gefällt, sehe ich keinen Grund, was zu ändern. Ich habe mich sowieso nie groß um irgendein Modediktat geschert, also warum sollte ich meine Haartracht von irgendwelchen Trends abhängig machen?

Zugegeben, es gab schon manche Momente, in denen ich mir eine praktische Kurzhaarfrisur gewünscht hätte, aber eben nur kurzfristig. Eines steht jedoch fest: Bevor ich am Ende so aussehe wie Guildo Horn, schere ich mir alles ab. Ganz oder gar nicht. Derweil sieht es aber eher so aus, als würden sie bleiben und lediglich die Farbe Richtung weiß shiften. So Lagerfeld-mäßig, aber ohne Stehkragen.

Ist das nicht ein ziemlicher Pflegeaufwand?

You don't say. Aber—man höre und staune—auch nicht mehr oder weniger als bei Frauen mit langen Haaren. Oder Kindern. Shampoo, Balsam, nie föhnen, immer gut durchfrisieren und regelmäßig Spitzen schneiden. Fertig.

Ein Glück, dass meine Partnerin Haare schneiden kann, denn aus mir unverständlichen Gründen kostet ein Langhaarschnitt (auch wenn es nur die Spitzen sind) für Männer mehr als für Frauen. Hallo Friseur-Innung, Gender-Gleichheit und so? Und ja, es ist mitunter mühsam, wenn man im Winter schwimmen geht und die Haare fast drei Stunden brauchen, um an der Luft zu trocknen. Aber ohne Fleiß kein Preis.

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Spielst du in einer Band?

Eines meiner Lieblingsklischees. Lange Haare = Musiker. Gut, OK, ich hab mal in einer Band gespielt, aber trotzdem. Seht euch doch mal die meisten neuen Bands an—die sehen doch alle aus wie BWL-Studenten, Goldschmiedelehrlinge oder Automechaniker. Lange Mähnen findet man doch nur noch im Metal-Genre, und selbst da machen es die Altvorderen wie Metallica inzwischen anders vor. Was soll der Scheiß also? Es ist ja auch nicht jeder Schnauzbartträger Pornostar.

(Geflüstert:) Brauchst du was?

Seit ich lange Haare habe, bin ich in jeder diffusen Menge von Menschen, die sich in einem Bahnhof oder einer U-Bahnstation dahinwälzt, immer genau derjenige, der von irgendwelchen fertigen Straßendealern zielstrebig als potentieller Kunde anvisiert wird. IMMER. Sogar, wenn ich in förmlicher Kleidung, sprich Anzug, unterwegs zu Businesslunch/Amtsweg/Erstkommunion bin. Dabei habe ich nicht mal entzündete Augen oder Gelbsucht.

Offensichtlich bedienen sich Dealer der gleichen dumpfen Stereotype wie jeder andere: Lange Haare = Musiker = Drogen. Oder: Lange Haare = Hausbesetzer = Drogen. Nicht mal mehr in den plumpsten Soaps werden Konsumenten als Barfußhippies mit Blumen in den Haaren karikiert. Und selbst wenn ich was brauche, kaufe ich sicher nicht bei dir im Resselpark. Seh ich so bescheuert aus?

Noisey hat da auch gleich eine Frage: Wie bescheuert muss man sein, um die Band Isis mit der Terrormiliz IS zu verwechseln?

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(Geflüstert:) Hast du was?

Kaum bin ich nicht im öffentlichen Raum unterwegs, sondern auf einem privaten Festl oder in einem schummrigen Backstage-Bereich, gehen alle wie selbstverständlich davon aus, dass der Langhaarige sicher was dabei hat. Speck? Ein paar Tabs? Aber ganz sicher was zum Kiffen! Komm, sei nicht so! Gib her ein bissl was! Ich zahl es dir auch!

Wisst ihr, wie sehr das nervt—und wie respektlos das eigentlich ist? Zumal die meisten eigentlichen Dealer eigentlich ganz normal aussehen wie—erraten—BWL-Studenten, Goldschmiedelehrlinge oder Automechaniker. Und wenn ich was zum Kiffen dabeihabe, du lästige Wanze: frag mich nicht, ob ich dir was verkaufe oder wen kenne, der wen kennt …

Wirst du da nicht total oft von Männern für eine Frau gehalten?

Du wirst lachen, ja. (OK, du wirst vielleicht nicht lachen, aber die Wahrheit ist eben nicht immer lustig.) In jüngeren Jahren mit entsprechendem Knackarsch und einer eher schmalen Figur ist es nicht nur einmal passiert, dass ich nichtsahnend an der Bar lehnend plötzlich begleitet von schwerem Bierdampf ein von hinten halb in meine Haare genuscheltes „Heasd Hübsche kannichdich aufwaseinladn?" gehört habe. Die nach dem Umdrehen folgende peinliche Stille war meist geradezu ohrenbetäubend. Aber wenn das für dich ein Argument ist, sein Outfit zu ändern, hast du definitiv größere Probleme als ich, wenn mich ein Typ anspricht.

So viele Haare! Darf ich dir einen Zopf flechten?

NEIN DARFST DU NICHT. Geh mit deiner kleinen Schwester spielen.

Also: Wenn ihr also unbedingt ein Gespräch mit einem langhaarigen Typen knüpfen wollt, bitte spart euch einfach platte Sprüche. Eine gute Herangehensweise, die sowieso für alles und jeden gilt, ist wahrscheinlich: Denkt eine Sekunde drüber nach, ob euer Gedanke, eure Frage oder euer Witz wirklich so einzigartig ist, dass ihn die Person, die ihr damit gerade von irgendwas viel Lustigerem abhaltet, noch nicht zirka Tausend Mal gehört hat.

Nein, Witze wie „Mann mit Pferdeschwanz gesucht, Frisur egal" sind nicht originell. Komplimente immer gerne, aber das war's auch schon. Klar bin ich stolz auf schönes Haar und natürlich wedle ich sie dir im Moshpit gerne mal um die Ohren, aber das heißt nicht, dass es automatisch das ideale Konversationsthema ist. Außer natürlich beim Friseur, aber der ist mir wie gesagt sowieso zu teuer.