Ich habe ausprobiert, wie weit man sich am Frequency von einer Büroklammer hochtauschen kann
Alle Fotos: Christopher Glanzl

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Ich habe ausprobiert, wie weit man sich am Frequency von einer Büroklammer hochtauschen kann

Tauschgeschäfte funktionieren auf Festivals mindestens so gut wie in der echten Welt. Man muss nur daran glauben.

Fotos von Christopher Glanzl. Alle Geschichten zum Frequency 2016 findet ihr hier—und bei unseren Kollegen von Noisey.

Tauschen ist grundsätzlich super. Erfahrungen, Körperflüssigkeiten, Panini-Bilder, alles. RTL II tauscht sogar Frauen. Niemand muss unnötig Geld ausgeben, trotzdem sind alle glücklich und im besten Fall gibts auch noch neue Bekanntschaften obendrauf. Quasi eine Win-Win-Win-Situation. Klassischen Tauschhandel ohne monetäre Zahlungsmittel gibt es heutzutage aber wohl nur noch in Kindergärten und eigenen Facebook-Gruppen—obwohl ein Festival wie das FM4 Frequency eigentlich den idealen Nährboden dafür bietet. Vor allem dann, wenn man sich hochtauschen möchte.

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Hochtauschen funktioniert prinzipiell gleich wie Hochschlafen, nur ohne den Sex. Dafür aber mit Gütern. Hauptsache, das eingetauschte Gut ist immer ein bisschen größer und/oder irgendwie besser als das, was man davor hatte. Der Kanadier Kyle MacDonald hatte 2005 angefangen, sich von einer roten Büroklammer ausgehend nach oben zu tauschen. Nach einem Jahr und vierzehn Tauschgängen hatte er ein Haus. Also, ein richtiges Haus. Mit Fenstern. Nicht mehr und nicht weniger erwarte ich mir von meinem Frequency-Tauschexperiment.

Das Konzept ist mir grundsätzlich nicht fremd—in der Schule mussten wir uns mal mit alternativen Lebensweisen auseinandersetzen und Geld als Zahlungsmittel hinterfragen. Eine Aussteigerin, die Geld gänzlich ablehnt und sich einfach durchs Leben tauscht, hat uns damals erklärt, sie verlasse sich dabei immer auf ihr "Gottvertrauen". Ihre Philosophie: "Wenn ich etwas wirklich brauche, bekomme ich es auch"—wenn ich es Kyle MacDonald also auch nur ansatzweise gleichtun wollte, brauchte ich jetzt wirklich ein Haus. Oder zumindest irgendetwas, das einem Haus auf einem Festival recht nahe kommt, ein Zelt oder so.

Wie auch MacDonald beginne ich also mit einer einfachen Büroklammer. Tatsächlich habe ich im Münzfach meiner Brieftasche immer eine dabei—die brauche ich, um die Fussel aus dem Aufladeschlitz meines Handys rauszupopeln. Der anstehende Verlust setzt mir zu, doch dieses Opfer muss ich bringen. Ich sage leise "Servus" zu meiner treuen Klammer, wissend, dass sie künftig die Handyritzen von anderen reinigen wird, und bin bereit für meinen ersten Tausch. An diesem Punkt stelle ich mir das noch ungefähr so vor: Büroklammer, Zigarette, Bier, Zelt. Gottvertrauen!

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Zumindest für den Anfang sollte ich auch Recht behalten. Mir laufen Freunde über den Weg, die ich wahrscheinlich auch ohne Tauschangebot um eine Tschick anschnorren könnte, aber das ist nun mal der Deal—Büroklammer gegen Zigarette. Sie nehmen widerwillig an, wissen vermutlich nicht um ihr Glück und die Praktikabilität einer einfachen Büroklammer. Die Zigarette ist mein. Nächster Halt: Dosenbier.

Entgegen meiner Erwartung erklärt sich ein Typ dazu bereit, mir eine ungeöffnete Flasche Duschgel für die Zigarette zu geben. Duschdas For Men, mit markant herbem Zitrusduft, Top-Qualität. Sein Bier will er ums Verrecken nicht hergeben, zu kostbar sei es für diesen besonderen Anlass. Lieber stinken als nüchtern werden, ich verstehe ihn nur zu gut und nehme dankend an. Mit dem neu ertauschten Duschgel spiele ich jetzt in einer ganz anderen Liga—vielleicht geht sich am Ende sogar ein Auto aus!

Es bleibt vorerst bei Wein. Die Mädels, die mein Duschgel-Angebot mit fast schon beunruhigender Euphorie akzeptieren, überreichen mir voller Freude und Dankbarkeit eine Flasche angetrunkenen Fusel. Ein guter Liter dürfte wohl noch drin sein—jedenfalls mehr als im Duschgel, und das war ja immerhin mein Leitspruch: Größer, besser, Gottvertrauen. Somit wären alle Kriterien erfüllt, ich ziehe guten Gewissens und ein bisschen angedudelt weiter. Ich trinke übrigens die ganze Zeit schon.

Zugegebenermaßen, Sangria gegen Wein scheint auf den ersten Blick nicht wie der beste Handel meines Lebens. Aber man muss hier auch mal die halbnüchternen Fakten betrachten: Der Sangria ist im Gegensatz zum Wein ungeöffnet, optisch weitaus ansprechender und der Gentleman, der ihn mir andrehen will, haut außerdem noch zwei Kondome oben drauf. Besser? Keine Ahnung. Größer? Auf jede erdenkliche Art und Weise.

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Jetzt liegt es an mir, diesen Sangria wieder loszuwerden. Das Problem: Jeder Mensch mit halbwegs anständigen Manieren weiß, dass man Sangria ausschließlich aus einem Eimer auf Mallorca trinkt. Und der durchschnittliche Frequency-Gast legt bekanntermaßen großen Wert auf gutes Benehmen. Ein öffentlicher Sangria-Umtrunk wäre hier ein ausgemachter Skandal. Jetzt ist Fingerspitzengefühl gefragt—und ein bisschen auch die kaufmännische Unterstützung unseres Fotografen Christopher, denn, ganz ehrlich, an diesem Punkt könnte man mir eine faulige Blumenkrone andrehen, ich würde es lieben.

Ohne Christophers Hilfe wäre ich hier mit einem gelben Strohhut ausgestiegen, der, wie sich herausstellen sollte, an jeder zweiten Ecke gratis verteilt wird. Dank seinem Zureden haben wir es dann doch noch irgendwie geschafft, dieser illustren Runde ein zünftiges Festival-Starterkit abzuluchsen: Bier, Radler, Energy-Drink, Thunfisch und Anti-Mücken-Kerze—im Tausch gegen den Sangria. Manchmal muss man einfach nur an das Gute in den Menschen glauben (und Gottvertrauen haben).

Hot Button zugeschlagen! So viel Zeug wie ich jetzt habe, kann das Zelt nicht mehr weit sein. Innerhalb weniger Minuten scheint sich alles zu multiplizieren, jemand gibt mit Almdudler für den Thunfisch, irgendwoher kommen Kühlakkus angeflogen, die Kondome werden immer mehr und dann geht plötzlich alles ganz schnell und ich rolle mit einer vollen Kühltasche und dem nackten Gerüst eines Oma-Einkaufstrolleys über den Campingplatz. Ohne es zu merken, habe ich mich in einen MQ-Bierverkäufer verwandelt. Jetzt ist mir alles Wurscht. Hauptsache Profit.

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Ich nähere mich vorsichtig einer Gruppe Jugendlicher, die ich für eine gefährliche Gang halte, weil sie so jugendlich wirken. "Die wollen fix die Kondome", denke ich mir. Ich frage die Gang, was sie mir zum Tausch bieten können. Ein Mitglied fragt mich, ob ich denn gerne Lotto spiele, weil auf meinem Shirt "Toto" steht. Schließlich treffen sie meine größte Schwäche, meine Achillesferse: Funkelndes Zeug. Sie sind im Besitz eines Rings, den sie irgendwo am Klo gefunden haben, und würden ihn mir geben. Für den Trolley.

Der Ring ist glänzend silber, ziemlich groß und könnte aus einem Kaugummi-Automaten sein, er könnte aber auch millionenschwer sein. In Wahrheit könnte mir das nicht egaler sein, an diesem Punkt bin ich nämlich bereits zu Gollum geworden und würde mein Leben für diesen Ring geben. Ich überreiche ihnen den Oma-Trolley, der mir ohnehin schon etwas wackelig scheint, und glaube, soeben den besten Deal aller Zeiten abgeschlossen zu haben. Idioten! Ha. Von dem Ring kaufe ich mir die Welt.

Und da ist es: Zwei Zelte weiter, inmitten eines Mädchen-Trios aus Bayern liegt ein Pavillon, verpackt in braunem Karton. Er sieht zwar etwas mitgenommen, aber dennoch funktionstüchtig aus. Ich habe es tatsächlich geschafft, mein Ziel scheint erreicht. Viel näher komme ich meinem Traum vom Haus in diesem Leben nicht mehr. Und dafür hat dieser MacDonald ein ganzes Jahr gebraucht?

In meiner Kühltasche sind Getränke, Kondome, Kühlakkus und Dinge aus der Kategorie "Diverse". Als Sahnehäubchen biete ich den Bayerinnen meinen heiligsten Besitz, meinen Schatz, den Ring an. Es ist ein Angebot, das sie nicht ablehnen können, es aber trotzdem tun. "Wir fahren bald heim und eigentlich gibt es nur noch eine Sache, die wir wirklich brauchen", sagen sie. "Ein Wagerl." Kurz möchte ich weinen, fasse jedoch neuen Mut.

Voller Demut und Wein kehre ich zurück zu der gefährlichen Gang, die mir den Ring ursprünglich vererbt hat, und erbitte höflich die wohl grausamste Form eines Tauschgeschäfts—den Umtausch. Ich erkläre mich bereit, ihnen alles zu geben—den Ring, die Kühltasche, die Getränke, meine Seele. Ich brauche nur den Trolley zurück, um mir letztendlich doch noch das zu holen, was mir rechtmäßig zusteht: Ein verdammter Pavillon.

Wir reden, rauchen, einigen uns. Es ist ein friedlicher Abschied. Ich bekomme den Trolley, teile eine Runde Zigaretten aus und mache mich auf den Weg zu den drei Bayerinnen. Das hier ist das große Tauschfinale, die Übergabe erfolgt sogleich. Ihre Freude über das langersehnte Wagerl scheint nahezu grenzenlos und für einen kurzen Moment, in dem ich ihr Glück beobachte, bin ich fest davon überzeugt, heute die Welt ein kleines Stück besser gemacht zu haben.

Wie ein Maschinengewehr und voller Stolz trage ich meinen Pavillon über den Campingplatz, ehe ich merke, dass ich damit niemals durch den Security Check kommen werde und ihn kurzfristig wieder am Gerüst absetze. Mein Handy ist zwar voller Fussel, aber ich verlasse mich dabei voll und ganz auf mein Gottvertrauen.

Franz auf Twitter: @FranzLicht