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Fuck Freedom, Let's Play! Eine Review zu 'Beyond: Two Souls'

Auch wenn 'GTA V' gerade erst erschienen und Open World damit der Maßstab aller Dinge ist, sind die filmischen Feinheiten von 'Beyond: Two Souls' eine kleine Gaming-Sensation.

Fotos von gameinformer.com

In der Welt der Videospiele passiert die große Revolution immer als nächstes—außer, wenn gerade ein neuer Teil von GTA erschienen ist. Da die (blinkenden Polizei-)Sterne diesen Herbst aber ganz im Zeichen freiheitsliebender Open-World-Games stehen, drohen andere kleine Sensationen daneben fast unterzugehen. Beyond: Two Souls ist so eine kleine Sensation. Und ich meine nicht „klein" wie in: „maskierte Midgets am Jahrmarkt", sondern eher wie in: „perfekt gepresste Diamanten aus Angstschweiß und Adrenalin".

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Inhaltlich geht es um das Psycho-Mädchen Jodie Holmes, das von klein auf über eine feinstoffliche Nabelschnur mit dem Geist Aiden verbunden ist und dessen Leben deshalb ziemlich genau so abläuft, wie man sich das jetzt vorstellt: Außenseiterdasein, Rebellion, Rekrutierung durch die CIA, mehr Rebellion, ein paar epische Kämpfe gegen das Böse und Navajo-Momenten wie bei Natural Born Killers (okay, letzteres ist vielleicht doch eine kleine Überraschung).

Formal passiert das alles in einer Reihe zeitlich gegeneinander verschobener Episoden, die das Geschehen auf den ersten Blick zwar unnötig verkomplizieren, aber bei genauerer Betrachtung Jodies persönliches Chaos viel besser nachvollziehbar machen als das ein linearer Ablauf je könnte. Im Ladebildschirm werden die non-linearen Kapitel außerdem als Sequenzen in einer Art DNA-Nebel des Schicksals dargestellt, was einem das gar nicht blöd gestrickte Gefühl vermittelt, gleich auch noch den mystischen Bauplan des Lebens irgendwie mit zu entschlüsseln. Spieler mögen ja Kontrolle und so.

Neu ist davon natürlich nur das Wenigste und die Erzählung wirkt auch über weite Strecken wie ein aus den Schnittresten von Carrie, The Conjuring und so ziemlich jedem Horrorfilm mit Geistern und Kindern zusammengenähtes Frankenstein-Monster. Aber die Sensation von Beyond: Two Souls liegt nicht in der Story selbst, sondern darin, wie diesen klassischen Elementen über Gameplay und Dramaturgie ein neuer Lebensfunke eingehaucht wird. Wie schon bei Heavy Rain lebt auch dieser Studio-Nachfolger vom Kontrast aus spielbarer Alltäglichkeit und Button-Mash-Horrorelementen, die einem den Fingerabdruck von den heißgespielten Kuppen rubbeln. Gesehen hat man das alles schon oft, so intensiv erlebt aber selten.

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Sicher—wo aktuell als Maßstab nur Fußfreiheit (GTA V) und Fußballigkeit (Fifa 14) zählen, hat es ein Button-Mash-Movie wie Beyond: Two Souls besonders schwer. Immerhin bietet das Spiel keine antiautoritären Entfaltungsmöglichkeiten wie bei GTAs großem Montessori-mäßigem Mindfuck.Manche Nay-Sayer (oder, aktuell vielleicht passender, Shutdowner) stellen bei so viel filmischer Inszenierung sogar in Frage, ob Beyond: Two Souls das Prädikat Spiel überhaupt verdient hat. Dass die Entwickler das von ihnen kreierte Genre auch noch als, Achtung: „interaktives (!) Action-Drama" bezeichnen, hilft da vermutlich tendenziell wenig.

Auf der anderen Seite könnte man sich freilich die genauso legitime Frage stellen, warum 360-Grad-Bewegungsfreiheit und das komplette Wegfallen von Konsequenzen mehr Spielhaftigkeit geschweige denn Spannung bedeuten sollten (immerhin waren Games immer schon der Inbegriff vom Kampf gegen die Unfreiheit, die sie selbst verkörperten, und selbst GTA lebt in Wahrheit nicht vom offenen Sandkastenprinzip, sondern vom Anecken an der gar nicht sandigen Spielregelwelt.)

Für mich stellen sich diese Fragen aber sowieso nicht, weil mir bei meinen Unterhaltungsmedien grundsätzlich egal ist, in welchem Regal und welcher Abteilung sie im Geschäft verkauft werden. Die Verschmelzung von Medien gehört seit jeher zur Kunst wie das Tragen von schwarzen Rollkragenpullis und ist nicht mal im Gaming-Bereich ohne Vorläufer (ich erinnere mich da unter anderem an einen spielbaren Big Brother-Vorboten Night Trap und den recht interpassiven Adventure-Klassiker Myst).

Wer wissen will, nach welchen Gesetzmäßigkeiten Beyond: Two Souls wirklich funktioniert, muss sich eigentlich nur dem Film eXistenZ zuwenden, in dem Cronenberg bereits 1999 eine ziemlich passende Vision von der Zukunft des Videospielens (und eine Verschmelzung der beiden Kunstformen) entwarf und zeigte, worum es wirklich geht: um eingeschränkte, aber unglaublich realistische, intensive und ein bisschen wahnsinnige Erlebnisse und immer "genau so viel Freiheit, dass es interessant bleibt."

5 von 5 außerkörperlichen, multidimensionalen Knopfdruck-Erfahrungen voll filmischer Rafinesse (und noch mal 4 von 5 virtuelle Himbeeren für Willem Dafoe und Ellen Page, deren Motion-Capture-Auftritte ich hier absichtlich nicht früher erwähnt habe)

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