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George Lois

George Lois war einer der wichtigsten Architekten der kreativen Revolution in der amerikanischen Werbebranche der 60er-Jahre—ja, ganz genau, wie bei Mad Men.

George Lois war einer der wichtigsten Architekten der kreativen Revolution in der amerikanischen Werbebranche der 60er-Jahre—ja, ganz genau, wie bei Mad Men. Er war die führende Persönlichkeit der ersten Kreativagentur der Welt und Mitbegründer der zweiten. Das war die Zeit, als das Wort „kreativ“ verwendet wurde, um jemand zu beschreiben, der originelle Ideen hatte, und nicht, wie es im Oxford American Thesaurus heißt: „Ein Schlagwort der Werbebranche … das einfach so viel heißt wie neu oder anders. Lois hat allein oder zusammen mit anderen ein paar der außergewöhnlichsten und eindrucksvollsten Werbeanzeigen und -spots aller Zeiten geschaffen. Kommerzriesen wie Tommy Hilfiger, Jiffy Lube, der Sportsender ESPN, MTV und viele andere haben es ausschließlich seinen unvergesslichen Kampagnen zu verdanken, dass sie heute derart tief in der amerikanischen Kultur verwoben sind. Die Qualitäten, die Lois’ Arbeiten von denen der heutigen Werbeindustrie unterscheiden, haben vor allem damit zu tun, dass a) seine Sachen nicht zu verleugnen oder zu rechtfertigen versuchten, dass damit Dinge verkauft werden sollen, und b) seine Ideen dazu dienten, Produkte zu verkaufen, statt andersherum. Wenn man sich die Bandbreite und Qualität seiner Werbekampagnen vor Augen führt, erscheint es umso beeindruckender, dass Lois vor allem mit seinen Arbeiten für das Esquire-Magazin bekannt geworden ist, für die er sage und schreibe 92 der ikonischsten Zeitschriftencover schuf, die je für eine Mainstreampublikation entstanden sind. Sie waren visuelle Bahnbrecher und Katalysatoren für Gespräche über Themen, die die Leute zu vermeiden versuchten. Mit der vollen Rückendeckung des Chefredakteurs des Magazins, Harold Hayes, hatte Lois die absolute kreative Kontrolle. Hayes wusste manchmal nicht, was ihn erwartete, bis er das fertige Cover vor sich hatte. Es ist die Art Arrangement, die in der unterwürfigen und blassen Medienindustrie von heute undenkbar geworden ist. Lois wurde von einigen vorgeworfen, dass er das Ausmaß seines Einflusses überschätze und die Ideen anderer als seine eigenen ausgäbe. Aber wenn man diese Einzelheiten außer Acht lässt, ist es sicher unbestritten, dass seine Arbeit einen nachhaltigen Einfluss auf die Medienwelt ausgeübt hat—und das auch weiterhin tun wird, bis wir alle tot sind. Die meisten Journalisten und Fernsehproduzenten wollen mit Lois über seinen kreativen Prozess sprechen, oder darüber, wie er es geschafft hat, sich so viele einprägsame Konzepte einfallen zu lassen. Ich hatte einen anderen Plan. Ich besuchte ihn in seinem prächtigen, sich über ein ganzes Stockwerk erstreckenden Apartment in der West 12th Street in Manhattan, um ihn nach seiner Meinung dazu zu fragen, warum die Werbeindustrie, und, wenn man ehrlich ist, die gesamte Medienmaschine, seit 20 Jahren immer tiefer in einer bodenlosen Grube der Mittelmäßigkeit versinkt. Vice: Ärgerst du dich manchmal, dass deine Werbearbeiten oft außen vor bleiben, wenn Leute dich nur wegen deiner Esquire-Cover kennen?
George Lois: Ich bin wirklich jemand, der Zeitschriften liebt. Zeitschriften sind großartig. Ich liebe es, mir eine zu schnappen, durchzublättern und mir die Werbeanzeigen anzusehen. Manchmal hauen sie dich um und manchmal denkst du nur: „Was für ein Stück Scheiße“, und haust sie einfach weg. Wenn man eine gute erwischt und sie auf dem Schoß liegen hat, ist es wie ein Lapdance. Ich habe es mit dem iPad probiert und es ist ungefähr ein ebenso großer Unterschied wie zwischen Porno und Sex. Aber es stimmt, manchmal vergessen Autoren oder Filmemacher, dass meine Hauptbeschäftigung etwas anderes war. Sie erwähnen die Werbesachen überhaupt nicht und bezeichnen mich als „den Art Director von Esquire während der 60er“. Andere stellen es aber auch komplett falsch dar … Hast du Art & Copy gesehen? Ja, dieser PBS-Dokumentarfilm über Kreativagenturen.
Ja, ich fand ihn nicht besonders toll. Er war ein bisschen wirr. Ich meine, er war schon OK, aber er wurde von jemand gemacht, der das Ganze nicht versteht. Ein netter Typ. Ein guter Dokumentarfilmer, aber er hat die Kreative Revolution in der Werbebranche überhaupt kein bisschen verstanden—was in den 60ern los war und wie es alles angefangen hat. Als sie das Material schnitten, sagte der Typ: „Wir haben 40 Minuten nur von dir. Das können wir nicht machen. Wir müssen es kürzen.“ Mit dem ganzen Ding stimmte irgendwie etwas nicht, aber es wird andauernd gezeigt. Jeden verdammten Tag kriege ich Anrufe von Leuten, die den Film gesehen haben. Ich habe Hunderte E-Mails von jungen Leuten bekommen, die mich überhaupt nicht als Werber kannten. Sie kannten mich nur als der Typ, der die Esquire-Cover gemacht hat. Dabei war ich nie bei Esquire! Ich war ein Werbetyp, der zufällig ein paar gute Cover für sie gemacht hat. Sind sie enttäuscht, wenn sie herausfinden, dass du großteils für die böse Werbeindustrie gearbeitet hast?
Vor vier oder fünf Jahren gab es einen Gedenkgottesdienst für einen großartigen Designer namens Saul Bass in der Aula der Cooper Union, wo Lincoln mal gesprochen hat. Saul hat fantastische Titelsequenzen für Filme wie Psycho und Der Mann mit dem goldenen Arm gemacht. Na, jedenfalls hielt ich eine Rede über ihn und Martin Scorcese hielt dann einen 30-minütigen Vortrag über die Bedeutung von Sauls Filmtiteln. Danach fragte mich jemand so was wie: „Georgie, hast du Marty eigentlich schon kennengelernt?“, und ich sagte: „Nein, ich habe Marty noch nicht kennengelernt.“ Also brachte der Typ mich zum anderen Ende des Raums, wo sich an die 200 Werbetypen um Scorcese drängten. Wir bahnten uns irgendwie einen Weg durch die Menge und dann stellte man uns einander vor. Scorcese flippte völlig aus und sagte so was wie: „Mein Gott! Ich wusste noch nicht mal, dass es dich wirklich gibt.“ Er fing dann an, über die Esquire-Cover zu reden und wie sehr er sie liebe. Nach circa zehn Minuten dieser Lobhudelei fragte er mich schließlich: „Und, was ist dann mit dir passiert? Warum hast du damit aufgehört?“ Und ich sagte: „Was meinst du damit? Ich habe damit aufgehört, weil man weniger Geld dafür kriegt als für … Du verstehst anscheinend nicht. Ich habe die ganze Zeit schon in der Werbebranche gearbeitet. Diese Cover habe ich an meinen freien Wochenenden gemacht, um Harold Hayes einen Gefallen zu tun.“ Scorcese sagte einfach nur: „Oh.“ Es war, als hätte man die Luft aus einem Luftballon gelassen—pffft—als wäre ich ein Verräter oder so etwas. Hast du eine Ahnung, wie die Auswahl der Covermotive bei Esquire lief, bevor du dort angefangen hast?
Ich nenne es Gruppenfummelei. Das ist ein guter Name dafür. Wie gelang es dir, ihren Schlechte-Ideen-Orgien ein Ende zu machen?
Hayes rief mich eines Tages an—er muss über mich gelesen haben, oder so, weil meine Agentur damals viel in der Presse war. Er stellte sich als der Herausgeber von Esquire vor und ich sagte: „Was zum Teufel wollen Sie von mir?“ Es konnte ja nicht um Werbung gehen, denn die Herausgeber zogen nicht los, um um Werbung zu betteln. Ein paar Tage später traf ich mich im Four Seasons, deren gesamtes Design ich zu der Zeit machte, mit ihm zum Lunch. Er beschrieb, wie sie ein Cover auswählen: „Ich hole meine Designer und die anderen Redakteure …“, er nannte mindestens zwölf Leute. „Einmal im Monat setzen sie sich alle gemeinsam hin und diskutieren die neue Ausgabe eine Stunde lang oder so—worum es darin gehen sollte, das Thema, usw. Dann, zwei Tage später, kommen sie alle mit Ideen für das Cover zurück. Wir diskutieren und streiten uns und wählen dann vier bis fünf aus, von denen Probedrucke gemacht werden.“ Ich sagte: „Heilige Scheiße. Eine verdammte Gruppenfummelei! Dann habt ihr anscheinend keinen, der es richtig kann, denn wenn ihr das hättet, würde derjenige hereinkommen und sagen: ‚Das ist das Cover, ihr Säcke!‘ Und ihr würdet einfach nur sagen: ‚Wow!‘ Ihr werdet jemand von außerhalb finden müssen.“

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