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In der Spielhölle

Gerd im Glück: (Noch) eine Geschichte von Spielautomaten und Jägermeister

Vor kurzem hat uns ein anonymer Automatenabhängiger von seiner Spielsucht erzählt.

Foto von Stratosphere Hotel & Casino

Vor kurzem hat uns ein anonymer Automatenabhängiger von seiner Sucht erzählt. Noch bevor sein Erfahrungsbericht hier und in unserer aktuellen Printausgabe erschienen ist, fanden wir zufällig auch den nachfolgenden Artikel in unserem Postfach. Wir würden jetzt gerne fragen, wie hoch wohl die Quote für so einen Zufall steht, aber das wäre ziemlich rücksichtslos. Stattdessen haben wir beschlossen, ihn einfach unkommentiert als alternativen Blick auf die Spielhöllenwelt zu veröffentlichen.

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Wenn man in das kleine Lokal am Gürtel einkehrt, erwartet einen gleich eine freundliche Begrüßung. Gerd, ein netter Deutscher mit kurdischem Einschlag und Ex-Unternehmer (laut eigenen Angaben besaß er mal die größte Werbeagentur in Deutschland, wurde aber übel über den Tisch gezogen), schenkt gerne ein paar Jägermeister aus, vor allem wenn keine Gäste da sind und er sich langweilt.

Eigentlich ist Gerd nur Stammkunde hier, aber als der Chef einen Monat auf Urlaub fahren wollte, drückte er den Schlüssel demjenigen in die Hand, auf den die Bezeichnung „arbeitsloser Alkoholiker“ am wenigsten zutraf und das war dann eben Gerd. Abstinenzler ist er aber deshalb noch lange keiner. Gerd mag mich, da er nicht wirklich eine Ahnung von dem hat, was er tut und für meine Ratschläge als Barkeeper dankbar ist. Antworten auf die Fragen, ob der seltsame Geruch vom Bier am Zustand der Zapfanlage liegt oder bei Ottakringer „normal“ ist („leider normal“ sag ich dem Gerd) oder wie viel Klopapier in den Kabinen bereitstehen sollte, werden von ihm artig mit Jägermeister belohnt. Am ersten Abend hat er mich sogar gefragt, wie viel das Bier eigentlich kostet, weil ihm das gerade entfallen war. Ich durfte mir dann einen „normalen“ Preis ausdenken. Der Gerd ist ein Guter.

Foto von Julia Manzerova

Heute sind nicht viele Leute in der Bar, aber die Aufmerksamkeit der paar Anwesenden muss der Automat mit niemandem teilen. Während ein älterer espressotrinkender Herr gerade auf dem bequemen Ledersessel platzgenommen hat, schauen die restlichen drei Gestalten (die noch mal wollen oder noch nicht hatten) verstohlen zur Maschine. Wie viel wird er wohl einwerfen? 10? 100? Am Ende sind es 50 und quer durch das gebannte Publikum wird ein wenig genickt, in leiser Anerkennung. Man könnte fast meinen, sie würden einer Partie Schach oder Snooker beiwohnen, wo man auch immer artig nickt, wenn man sich als Kenner der Materie präsentieren will. Sie werden ihren Kopf für die nächsten 25 Minuten nicht mehr bewegen.

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Je öfter ich einkehre und zusehe (was tatsächlich recht oft ist), desto mehr komme ich nicht drum herum, mich zu fragen, woher die ganze Kohle eigentlich kommt. Die meisten sind zweifelsohne arbeitende Menschen aber an jenem Abend bin ich besoffen und stelle mir vor, es wären ein paar Kriminelle dabei. Man müsste wohl zwischen Beschaffungskriminalität und naja, allem anderen, unterscheiden, denke ich mir. Warum denke ich über so was nach, denke ich mir.

Foto von Saschaaa

Für Beschaffungskriminalität gilt: der Großteil der Spieler finanziert die Sucht natürlich nicht so, ein ansehnlicher Prozentsatz allerdings schon. Laut Studien sind es rund 20% die früher oder später Straftaten begehen, um die Sucht zu befriedigen. Leute ausrauben, Handys klauen, usw. Wenn dann noch die Margaretener Bezirksvorsteherin Susanne Schaefer-Wiery (SPÖ) dem ORF erzählt, sie habe von „Frauen, die sich für 10 Euro in ihrem Stammlokal prostituieren wollten" gehört, wird’s langsam skurril und leider zu traurig, als dass man (öffentlich) darüber lachen sollte.

Was den Rest der Spieler angeht, lässt sich schwer sagen, ob sie ihr Geld mit Kokain verdienen oder einfach ihre Rente verzocken—aber immerhin, who cares? Die Politik, zumindest bis vor kurzem, sicher nicht. 2011 konnte sich die Wiener SPÖ nach langem Nichtstun zumindest durchringen, ein Verbot für die Stadt zu beschließen. Es tritt allerdings erst 2015 wirklich in Kraft. Es ist wohl keine leichte Entscheidung, auf 55 Millionen Euro Steuereinnahmen pro Jahr zu verzichten. Aber zurück zu den Spielern und woher ihr Geld kommt: Dass allzu viel davon aus kriminellen Machenschaften herrührt, glaube ich selber nicht. Viel eher glaube ich an die Renten-Theorie. Allerdings halte ich das für die ethisch bedenklichere Möglichkeit.

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Foto von Vinnie Bezoomny

Wie viel Umsatz der Automat tatsächlich macht, zeigt mir Gerd mit einem Durchzug seiner Chipkarte. Knappe viertausend Euro. In nicht mal einem Monat. Und der Laden ist annähernd leer. Der Chef behält zwar nur knapp die Hälfte, sagt Gerd. Aber immerhin, soviel Geld muss man erst mal machen, ohne einen Finger zu rühren. Kein Wunder, dass er die Bar nie abgeben wird. Wo sonst verdient er ohne viel Arbeit ein wirklich ansehnliches Einkommen und kann sich nebenbei noch am Klo von slowenischen Nutten einen blasen lassen? (Gerds Worte, nicht meine.)

In der Bar geht es mittlerweile wieder munter zu. Die Hälfte der Gäste ist genervt, die andere Hälfte lacht wie verrückt, da ein Besoffener gerade auf seinen Sitz geschissen hat und das ist natürlich kein schönes Bild. Danach ist er einfach abgehauen. „Die Rechnung ist nicht das Problem, war ein Stammgast, kommt eh wieder“, sagt Gerd, der natürlich zu den Genervten gehört („Ich muss den Scheiß ja wegräumen“, sagt er). Ich muss wegen seiner Wortwahl lachen und kriege an diesem Abend keine Jägermeister mehr.

Foto von mkorsakov

Die Spielautomaten verschwinden 2015 aus Wien—zumindest die, die nicht über die Casinos Austria dem Bund gehören. Darüber könnte man sich auch aufregen. Überhaupt könnte ich mich noch über viel aufregen: die Rolle der Politik (und zwar aller Parteien), die Verschandelung ganzer Landstriche durch Wettcafés, die Wettbewerbsverzerrung im Gastro-Bereich wegen der Mehreinnahmen dieser Banditen, den ewigen Vergleich mancher Menschen von Automatenspiel mit Alkohol und anderen Suchtmitteln (die aber zumindest noch ein paar positive soziale Komponenten hätten) und so weiter. Aber da man nicht wegen ein paar Automaten zum Choleriker werden soll und es nicht mehr so lange hin bis zum Verbot ist, lasse ich das hier lieber bleiben.

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Dieser Beitrag sollte ja auch nur eine Anekdote werden, ein kleiner Exkurs. Eine Bestandsaufnahme, bevor die Dinger von jeder Straßenecke verschwinden und mit ihnen auch Gerd, die Versifftheit seiner Bar und ein Teil der Wiener Einbruchstatistik (wobei letzteres wohl eher zu begrüßen ist). Wenn dieser Artikel irgendetwas sein soll, dann vielleicht am ehesten Gerds Denkmal. Zeugnis einer Aussterbenden Art. Natürlich weiß keiner genau, wie sich das Gesicht vieler Bezirke mit dem Verbot verändern wird und natürlich werden uns viele Gerds erhalten bleiben. Manche werden aber weichen müssen. Vielleicht schreibe ich ja in ein paar Jahren eine Fortsetzung, um zu sehen, ob wirklich alles „besser" wurde. Gute Nacht allerseits.

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