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Popkultur

‚Germany's Next Topmodel‘ fördert nicht Magersucht, sondern profilneurotische Egomanen

Heidi Klums Sendung ist eine Parabel auf die Medienbranche—und es ist verlogen, sich darüber aufzuregen.
Screenshot: YouTube

Es gibt ein paar feste Trash-TV-Events, nach denen sich der engagierte Privatfernseh-Kenner jedes Jahr aufs Neue richten kann—und insbesondere das Frühjahr hat es in sich. Das Dschungelcamp läuft im Jänner, parallel sucht Der Bachelor nach der nächsten Liebe, an der nur Silikonkissen und Schmollmund groß sind, und schließlich scheucht Deutschlands Lieblings-Blondine Heidi Klum (selig gedenken wir der Zeiten, in denen damit nur einer gemeint sein konnte: Thomas Gottschalk) wieder magere Mädchen über dramatisch illuminierte Laufstege.

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Germany's Next Topmodel ist aber nicht nur für die gierigen Trash-Massen da draußen eine feste Bank. Auch die Redaktionen—von Bunte bis Spiegel und, ja, jetzt auch wir—profitieren von der Suche nach dem schönsten Mädchen Deutschlands. Wo sonst kann man sich so schön über die Zurschaustellung Minderjähriger empören, jetzt, wo Deutschland sucht den Superstar nicht mal mehr so tut, als ginge es darum, erfolgreiche Musiker heranzuzüchten? Sind Mädchen, die teilweise noch im Teenager-Alter sind, die richtige Zielgruppe für öffentlich geäußerte Kritik? Wahrscheinlich nicht. Darf man überrascht sein, dass es in einer Model-Castingshow um, nun ja, Äußerlichkeiten geht? Absolut nicht. Und macht das Konzept der Sendung GNTM zur absoluten Speerspitze des frauenverachtenden Sexismus-TV? Nein.

Tatsächlich ist das Format eines der wenigen seiner Art, das die Akteurinnen nicht zu komplett willenlosen Puppen macht—obwohl es vermeintlich genau das ist, worum es im Kern der Sendung gehen soll. Wahrscheinlich gibt es keine andere Casting-Show im deutschen Fernsehen, die ihren Kandidaten mehr Raum zur Selbstdarstellung gibt.

Die betongesichtige Heidi mag noch so angsteinflößend mit den Zähnen knirschen, weil das im Blitzlichtgewitter wie ein echtes Lächeln aussieht, Touchy-Thomas (Hayo) mag noch so begehrlich den unteren Rücken der Kandidatinnen klopfen, während er ihnen zum Weiterkommen gratuliert—die Jury ist eine Farce, die große Konstante und doch nur Beiwerk, deren Entscheidungen zwar über den Finaleinzug der Mädchen, nicht aber über deren Zukunft entscheidet. Deswegen ist Wolfgang Joop die authentischste Figur im Format, die wirklich Freude am visuellen Feuerwerk der Mädchenparade hat. Er umarmt, tröstet, lacht und weint. Er hat Spaß, weil er als einziger zuzugeben scheint, dass es bei der Show gar nicht um die große Modelkarriere geht.

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Der Titel bedeutet nur eine Woche lang exklusive Berichterstattung in sämtlichen Boulevard- und Popkultur-orientierten Medien. Das dürfte mittlerweile jede der Teilnehmerinnen begriffen haben. Was umso wichtiger ist: auffallen, solange die Dreharbeiten noch andauern. Es gibt die makellosen Model-Schönen, die unter die letzten Zehn kommen und dabei vielleicht von einer Agentur entdeckt werden, die tatsächlich das Ticket zu internationalen Catwalks in Händen hält. Es gibt die, die nur für die Quote mitgezogen werden und sich mit ihrer Ehrlichkeit oder dem Zickengehabe einen Platz im Dschungelcamp oder bei Promi Shopping Queen sichern. Und wer es unter die letzten Fünf schafft und dabei die perfekte Balance zwischen spielerfrauschön und angenehm langweilig findet, der darf dann irgendwann mal Taff oder ein anderes ProSieben-Format moderieren.

Die „Mädchen", egal ob 16 oder 24, wissen das. Sie haben, wie Juliane Löffler im Freitag so treffend bemerkt, für den großen Moment trainiert, sich in den vergangenen Jahren schulen lassen. Germany's Next Topmodel ist die perfekte Plattform, um lächeln zu lernen, wenn man sich nach Weinen fühlt. Um die Kamera zu verführen und mit perfekt abgeknickter Hüfte in derselben Event-Fotogalerie wie Scarlett Johansson oder zumindest Micaela Schäfer zu landen. Um sich gegen einen Haufen anderer schöner Menschen durchzusetzen und mehr Kamerazeit zu beanspruchen als die Konkurrentinnen. GNTM ist Kapitalismus, Schönheitswahn, Hollywood meets Bergisch Gladbach und inszenierte Inhaltslosigkeit in Einem. Wenn diese Sendung auf den Charakter und die psychische Konstitution ihrer Teilnehmerinnen einwirkt, dann ist es, sie zu oberflächlichen Egomanen zu erziehen, die ideal vorbereitet in eine Karriere als Blitzlicht-Vampir stolpern.

Entgegen der angeblich so besorgten Töne aus den Feuilletons und Kommentarspalten Deutschlands ist Heidi Klums Modelshow mehr Streichelzoo als Haifischbecken. Die Nachwuchsschönheiten werden von Casting zu Casting gekarrt und abseits der Challenges und des Lauftrainings wartet eine Luxusvilla mit Rund-um-die-Uhr-Versorgung. Die Realität im Modelbusiness sieht deutlich anders—und mitunter tatsächlich erschreckend menschenverachtend—aus. Das hat mittlerweile auch Jana Beller begriffen, die vor vier Jahren zu Deutschlands nächster großer Model-Hoffnung gekrönt wurde und nach Ende der Dreharbeiten ein ganz anderes Bild ihres einstigen Traumjobs bekam.

Vielleicht ist das Einzige, was man ProSiebens Erfolgsformat vorwerfen kann, dass es jungen (teilweise zu jungen) Mädchen einen Einblick auf Zeit in das Leben eines Stars gewährt. Alles, was dem Gros der Teilnehmerinnen dann bleibt, sind ein paar Tausend Follower auf Instagram und Interviews mit der Regionalzeitung. Das ist nicht frauenverachtend, sondern einfach nur eine Parabel auf die Medienbranche. Das Privatfernsehen ist eben doch kein Sozialamt und der Platz vor den Kameras dieser Welt begrenzt.

Die Ursprünge von oberflächlichen Schönheitsidealen und dem unstillbaren Streben nach Geld und Ruhm liegen nicht zwischen zu kleinen High Heels und Mascara-Schleichwerbung, sondern sind ebenso tief in uns verwurzelt wie der scheinbare Drang, sich nach einem harten Arbeitstag mit anspruchsloser Unterhaltung berieseln zu lassen. Der einzige Weg aus diesem Teufelskreis aus Selbstoptimierung und Heidi Klums komplett entmenschlichtem Auftreten? Den Fernseher einfach mal ausmachen.

Lisa entspricht zwar keinem gängigen Schönheitsideal, hat aber trotzdem eine Profilneurose. Folgt ihr bei Twitter.