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Warum wir uns für so banale Dinge wie das neue Google-Logo interessieren

​Google hat ein neues Logo. Eigentlich ist das ziemlich egal. Aber unser Interesse für so banale Dinge sagt einiges über unsere Selbstabschaffung aus.

Screenshot via Google

Seit Dienstag hat Google ein neues Logo. Ich denke, wir alle sind uns einig, dass aktuell gerade wichtigere Dinge auf der Welt passieren—viel wichtigere Dinge—und uns so gehaltlose Sachen wie der Wechsel von einer Serifen-Schrift auf eine Sans-Serifen-Schrift allein schon aus programmatischen Gründen nicht interessieren sollte.

Trotzdem ist es jedes Mal dasselbe, wenn Unternehmen, die uns wie unser ganz privates Substi-Programm durch den Alltag begleiten, minimale Neuerungen verkünden. Als Facebook kürzlich sein letztes Logo-Makeover hatte, war die Änderung so winzig, dass man schon ein Vorher-Nachher-GIF vom Direktvergleich brauchte. Es war belanglos, es war minimal—und es war das Einzige, worüber sich einen halben Tag lang alles in meiner Timeline drehte.

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Mit Google ist das recht ähnlich. Genau wie bei der Verkündung, dass Google ab sofort Alphabet heißt, betonte das Unternehmen am Dienstag in sehr konventionellem Marketing-Sprech, dass es „kein konventionelles Unternehmen" ist und mit dem neuen Logo auf unsere veränderte Lebenswelt reagiert.

Konkret heißt das: Ein Logo ohne Schnörkel (Sans-Serif, eben), in einer eigens entwickelten Schriftart (Product Sans), die auf iPhone-Displays und Ultra-HD-TVs gleich gut aussieht und mit einer Größe von 305 Byte statt zuvor 14.000 noch dazu geringe Datenmengen verbraucht (klingt lächerlich, ist es aber nur in der westlichen Welt).

Das ist alles schön und gut, aber immer noch keine Erklärung dafür, warum solche banalen Themen uns jedes Mal wieder so viel beschäftigen. Ich glaube, dass der Grund ein anderer ist und gleichzeitig einiges über uns aussagt: Wir würden gerne gebraucht werden—und wir suchen uns Bereiche, in denen das noch der Fall ist.

Aber von Anfang an. Unternehmen wie Google und Facebook schaffen uns ab. Sie bauen Autos, die uns nicht brauchen, programmieren Apps, die unsere menschlichen Fehler eliminieren und entwickeln Services, die uns überflüssig machen. Ich bin wirklich kein Kulturpessimist, aber das Netz steuert auf ein Stadium zu, in dem der Mensch maschinell nicht mehr gebraucht wird und wie ein weintraubenpflückender Kaiser auf seiner Sänfte (oder die dicken Amis in Wall-E) nur noch bespaßt werden soll, damit er die Maschinen in Ruhe ihre Arbeit erledigen lässt.

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Das ist an sich nichts Schlechtes. Eigentlich befreit es uns sogar von der Arbeit, wie wir sie kennen, was ein bisschen sowas wie der Sieg in einem Arbeitszeitkampf ist, der zirka in den 1860er-Jahren begonnen wurde. Es ist aber nur solange gut, als es Alternativen zur Arbeit gibt.

Damals wurde gleichzeitig mit der Forderung nach einem 8-Stunden-Tag deshalb auch das Konzept der Freizeit eingeführt. Heute reicht Freizeit, von Marx noch als wichtiger Schritt in der „Emanzipation des Menschen" verstanden, längst nicht mehr als Belohnung. Wir wollen Wert. Und das heißt im Netz vor allem Aufmerksamkeit.

Seit die Dinge um uns herum ein bisschen sowas wie zu denken begonnen haben, bekommen wir genau diese aber immer weniger. Stattdessen sind wir die Gehilfen unserer Technologie. Wie schon der verstorbene konservative Netzkritiker und FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher sagte: Wenn ein Programm perfekt funktioniert, braucht es uns Menschen nur, um irgendwo auf „OK" zu drücken. Wenn ein Text oder Video der perfekte Content ist, ergibt sich die Viralität fast von selbst, solange die Menschen halbwegs dem berechneten Algorithmus gehorchen. Der Mensch ist da maximal ein Störelement, das den perfekten Plan mit seinen dummen Launen ruinieren könnte.

Es ist also irgendwie verständlich, dass unsere technologische Umwelt irgendwie gern unsere Abschaffung hätte. Genauso, wie es umgekehrt verständlich ist, dass wir dieser (Selbst-)Abschaffung etwas entgegenhalten wollen.

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Womit wir wieder beim neuen Google-Logo wären. Da wir Menschen aus maschineller Sicht immer egaler werden, wenden wir einen Trick an, den Kunstuni-Abgänger schon seit Ewigkeiten kennen: Wir verlagern uns in den einzigen Bereich, wo Maschinen und Bots und Programme uns so schnell nicht ersetzen werden und machen uns Gedanken über Ästhetik.

Wir brauchen immer noch unseren ,Schuss': Aufmerksamkeit von den anderen und Relevanz für uns selber.

Das Ergebnis sieht dann so aus wie diese unglaublich detaillierte Design-Analyse des Google-Logos und aller drumherum schwirrenden Bedeutungssphären. Wie jeder Künstler, Kunstkritiker und Kunststudent seit dem Bürgertum weiß, gibt es keine effizientere Art, sich der Effizienz zu entziehen, als sich zurückzulehnen und einfach ein bisschen über das Schöne (und weniger Schöne) in der Welt nachzudenken.

Die echte Revolution des Internet-Zeitalters wird nicht die Vernetzung sein und auch nicht die Glasfaserkabel unter dem Atlantik. Genauso, wie die Industrialisierung nicht nur eine Revolution der Dampfmaschinen und Glühbirnen war, sondern der Ideen und neuen Weltkonzepte, Maschinen und Großstädte. Was vom Internet bleibt, ist meiner Meinung nach die Erkenntnis, dass wir trotz aller unserer Substi-Programme am Ende immer noch unseren Schuss brauchen: In der Form von Aufmerksamkeit von anderen und, noch wichtiger, als Relevanz für uns selber.

Markus auf Twitter: @wurstzombie