Grinds, Flips und Raketen – Ein Einblick in Tel Avivs Skateboard-Szene

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Grinds, Flips und Raketen – Ein Einblick in Tel Avivs Skateboard-Szene

In einem Land, das von politischen Spannungen geprägt ist, hat man es als Skateboard-Fotograf wahrlich nicht einfach. Guy Pitchon versucht trotzdem, das Beste aus der Situation rauszuholen.

Als ich den Auftrag bekam, den in Tel Aviv lebenden Fotografen Guy Pitchon zu interviewen, war meine Neugier sofort geweckt, denn ich hatte keine Ahnung von der dortigen Skate-Szene. Nachdem ich mir anschließend seine Website angesehen hatte, war ich gleich noch mehr Feuer und Flamme, mit meinem Fotografen-Kollegen zu fachsimpeln. Wenn Pitchon nicht gerade irgendetwas entwirft oder seine Kumpels tätowiert, schießt er unglaublich gute Skate-Fotos in Tel Avivs Szene oder hält die Nachwirkungen eines bösen Sturzes mit seiner Kamera fest. Allerdings sind für Pitchon nicht nur die eigentlichen Tricks wichtig, sondern auch das ganze Drumherum, wenn es heißt: „Lass uns Skaten gehen!" Ich habe mich mit Pitchon per Skype unterhalten und dabei mit ihm über sein neues Buch Love Child gesprochen, das mit schönen und natürlichen Momenten aus seinem alltäglichen Leben vollgepackt wurde.

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Alle Fotos: Guy Pitchon

VICE: Hey Guy! Wo befindest du dich gerade?
Guy Pitchon: In Tel Aviv. Ich bin eben vom Strand nach Hause gekommen.

Stark! Ich wünschte, ich könnte das auch von mir behaupten. Warum gerade Tel Aviv?
Mann, ich liebe es hier einfach. Das Essen ist lecker, die Leute sind nett, meine Familie ist hier, die Größe passt und ich komme mit dem Fahrrad überall hin. Manchmal kann es aber schon recht hart sein, wenn man keinen „ordentlichen" Job hat, aber aus diesem Grund verkaufe ich auch meine Artworks, arbeite als Grafikdesigner, mache auch noch ein bisschen Graffiti, tätowiere meine Kumpels, organisiere Foto-Lehrgänge und so weiter. Es ist nicht leicht, hier als Vollzeit-Skateboard-Fotograf über die Runden zu kommen, denn wenn ich hier zum Beispiel für Vans Bilder schieße, dann ist das nichts im Vergleich zu dem Typen, der in Kalifornien von Vans beauftragt wird. Ich arbeite einfach mit dem, was ich hier habe.

Erzähl mir doch ein bisschen von Love Child. Wie kam das Ganze zustande?
Love Child hat eigentlich als Ausstellung angefangen. Vor zwei Jahren war ich in der Kunstszene noch ein ziemlicher Neuling und es war für mich nicht einfach, eine Galerie zu finden. Die Galerien, auf die ich Bock hatte, verlangten von mir, dass ich ganz genau erkläre, was ich ausstellen will. In meinem Kopf hatte ich mir schon alles ausgemalt, nur die Arbeiten waren noch nicht alle fertig. Schließlich gab mir eine Galerie eine Chance und stellte dabei nicht zu viele Fragen—sie war Teil einer Schule, auf die ich mal gegangen bin. Dort hatte ich viel Platz, aber den habe ich mit kleinen und großen Abzügen meiner Fotos und dazu noch mit handgefertigten Skateboards ausgefüllt.

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Veröffentlichst du das Buch selbst?
Ja. Ich habe nur ein wenig Hilfe von einer örtlichen Künstlerresidenz namens Art Port bekommen, zu der ich mal gehört habe. Die stellten mir aber nur das Budget. Ansonsten habe ich alles alleine organisiert und jede Entscheidung selbst getroffen.

Welches Foto aus Love Child gefällt dir am besten?
Ich habe eine Lieblings-Doppelseite. Da zeigt mir zum einen ein Jugendlicher eine Tätowierung auf seinem Unterarm. Ich glaube, das ist irgendwie die chemische Zusammensetzung von LSD oder so. [Lacht] Zum anderen besteht die Seite dann noch aus einem Foto von einem Skater, der auf einen Luftschutzbunker klettert.

Was kam bei dir zuerst, die Fotografie oder das Skateboarden?
Auf jeden Fall das Skateboarden. Das habe ich zusammen mit meinem Bruder angefangen, als ich 12 war. Mein erstes Board habe ich von meinem Großvater geschenkt bekommen und ich bin den ganzen Tag einfach nur um den Block geskatet. Ich glaube, da habe ich mich dann auch einfach hoffnungslos in die ganze Sache verliebt. Über die Fotografie habe ich eigentlich nie wirklich nachgedacht, bis ich irgendwann mal ein paar Magazine in die Finger bekam. Natürlich wollte ich dann sofort Skate-Fotos machen und kaufte mir zu dem Zweck eine einfache Kamera. Das Ganze entwickelte sich allerdings nur ziemlich langsam, weil ich mir ja alles selber beibringen musste. Das ganze Zeug mit verschiedenen Objektiven, Kameras und Blitzen. Apropos: In Israel gab es lange Zeit keine Funkblitze, weil die die gleiche Frequenz wie das Militär benutzen. Das machte alles nur noch schwerer. Inzwischen ist solches Equipment hier aber schon erhältlich.

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Wie ist es so, in Israel zu skateboarden, und wie kommt das Ganze in der Öffentlichkeit an?
Es ist echt abgefahren, Mann! Tel Aviv ist eine ziemlich kleine Stadt und von daher ist es auch möglich, von A nach B zu skaten. Vielleicht machen dann ab und an mal irgendwelche Security-Angestellte oder Fußgänger Stress, aber der Polizei ist das alles relativ egal. Deshalb kommt es auch nur ganz selten vor, dass man ein Bußgeld zahlen muss. Es gibt einen Haufen coole Spots und meiner Meinung eignet sich hier alles sehr gut für Fotos. Ich glaube auch, dass die Öffentlichkeit die Skateboarder positiv aufnimmt. In letzter Zeit werden hier überall Skateparks gebaut. Infolgedessen sind in den Straßen immer weniger Leute auf Skateboards unterwegs, was wiederum die Passanten glücklich macht, weil es nicht mehr so laut ist und sie besser damit zurechtkommen.

Wie sieht es mit der Skate-Szene im Rest von Israel und dem Nahen Osten aus, wo es ja doch viele politische und soziale Spannungen gibt? Wird die Szene von einem solchen Umfeld irgendwie beeinflusst?
Nun ja, die Szene wird schon von der Politik beeinflusst, aber mehr auf einer Makro-Ebene. Es ist zum Beispiel nicht so einfach, mit einem israelischen Pass zu reisen. Man kann schnell abgewiesen werden, wenn die Situation für Reisende vielleicht nicht so sicher erscheint. Irgendwie fühlt man sich dann isoliert, was nicht gut ist. Auf der Mikro-Ebene ist das Thema Politik in der Skateboard-Szene jedoch nicht wirklich präsent. Die Kunstwelt ist aber definitiv davon betroffen: kultureller Boykott, wegbleibende Bands und Künstler sowie die Tatsache, dass israelische Künstler nicht so oft ins Ausland eingeladen werden.

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Hatte das Ganze auch schon Auswirkungen auf dich oder dein Skaten?
Ja. Letztes Jahr fand in Tel Aviv die Eröffnung einer Ausstellung statt, an der ich ein Jahr lang gearbeitet hatte. Plötzlich ertönten Sirenen und Raketen flogen über mich hinweg. Dann sind natürlich auch nur wenige Leute aufgetaucht. Die ganze Sache hatte ich eigentlich schon völlig vergessen. Es ist verrückt, dass man sich irgendwann an so etwas gewöhnt und es total normal erscheint. Was das Skaten betrifft, hat das alles jedoch keine wirklichen Auswirkungen auf mich. Ich könnte es vielleicht als Ausrede benutzen, warum ich so schlecht bin. [Lacht]

Was steht als nächstes für dich an?
In drei Tagen fliege ich zum ersten Mal in meinem Leben nach Panama, wo ich zwei Wochen lang surfen werde. Ich bin schon total aufgeregt! Ich bin noch nicht oft surfen gewesen. Letztes Jahr habe ich mal für ein Surfcamp Fotos gemacht und in dem Zug das Ganze auch ein bisschen gelernt. Das hat mir richtig viel Spaß gemacht. Ich werde ja auch nicht jünger und das Skateboarden setzt meinem Körper doch schon ordentlich zu. Surfen ist nicht so anstrengend und deshalb hoffe ich, damit die vielleicht bald aufkommende Lücke schließen zu können.

Hier findest du mehr Infos zu Love Child und hier kannst du dir noch mehr von Guys Arbeiten ansehen.