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Warum ein bedingungsloses Grundeinkommen notwendig werden könnte

Die Diskussion über die bedarfsorientierte Mindestsicherung für anerkannte Asylwerber ist müßig. Eine Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht.
Foto: Images Money | flickr | CC BY 2.0

Die österreichische Tagespolitik hat ein neues Lieblingsstreitthema: die bedarfsorientierte Mindestsicherung (kurz BMS). Genauer gesagt, wer diese in welcher Höhe wie oft bekommen soll. Schuld an der ganzen Debatte ist die schwarz-blaue Landesregierung in Oberösterreich, die mit ihrem Vorstoß, die BMS für anerkannte Asylwerber um ein Drittel zu kürzen, einen handfesten Koalitionsstreit ausgelöst hat.

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Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) „graust" es etwa vor solchen Vorschlägen. Dem ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka „graut" es wiederum vor einem „handlungsunwilligen" Sozialminister und die Wiener Sozialstadträtin Sonja Wehsely wirft der ÖVP vor, Asylwerber nur als Vorwand zu gebrauchen, um generell Kürzungen im Sozialleistungsbereich zu vollziehen.

Geht es nach ÖVP und FPÖ, sollen anerkannte Asylsuchende in Oberösterreich monatlich künftig nur mehr 440 statt 914 Euro bekommen. In Österreich gilt als armutsgefährdet, wer pro Monat weniger als 1161 Euro zur Verfügung hat (Stand 2014 für Einpersonenhaushalte). Mindestsicherung bekommt, wer sein Vermögen bis auf 4.188,80 Euro verbraucht hat (ausgenommen ist die als Hauptwohnsitz genutzte Eigentumswohnung und die Wohnungseinrichtung), gegebenenfalls sein Auto verkauft hat und bereit ist, zu arbeiten. Geflüchtete mit positivem Asylbescheid, die keine Arbeit finden, würden mit dieser Reform also deutlich unter der Armutsgrenze leben müssen.

Es bedarf keiner sonderlich großen sozioökonomischen Überlegung, um zu erkennen, dass diese Regelung vor allem dem Integrationspotential vieler Refugees schadet—und damit einerseits den Geflüchteten selbst, aberandererseits auch der Gesellschaft als Ganzes. Denn natürlich bedeutet weniger Geld zum Beispiel weniger Möglichkeiten, Deutsch zu lernen (geschweige denn, die Wirtschaft anzukurbeln) und größere soziale Exklusion. Wenn sich Asylsuchende darum Sorgen machen müssen, wie sie die nächste Miete, die nächste Mahlzeit, oder die nächste notwendige Zugfahrt finanzieren sollen, kann das die Integration nur schwer vorantreiben.

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Durch die große Zahl an Refugees, die vergangenes Jahr in Österreich Schutz suchten und auch 2016 Schutz suchen werden, sind neue Parameter für das Gemeinwohl entstanden. So wurde etwa die Versorgung von tausenden Geflüchteten, die täglich an österreichischen Bahnhöfen ankamen oder auf ihre Weiterreise warteten, von freiwilligen, unbezahlten Helfern und privaten Organisationen übernommen—manche kündigten dafür sogar Job oder Studium.

Foto: Kārlis Dambrāns | flickr | CC BY 2.0

Ein Konzept, das den freiwilligen Flüchtlingshelfern—aber auch anerkannten Flüchtlingen selbst und sozial engagierten Personen im Generellen—zu Gute kommen würde, bis jetzt in der Debatte jedoch noch nicht erwähnt wurde, ist das bedingungslose Grundeinkommen (kurz BG). Dass ein solches monatliches Einkommen ohne bestimmte Konditionen und für alle in einem Staat registrierten Menschen keine Utopie mehr ist, beweist die Schweiz. Auch dort ist es zwar noch nicht realisiert, es wird aber am 5. Juni über eine eventuelle Einführung abgestimmt.

Argumente für ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt es viele. Ein globales BG (von dem wir zugegebenermaßen noch weit entfernt sind) könnte sogar dafür sorgen, dass es in Zukunft weniger Fluchtbewegungen auf der Welt gibt. Das BG wäre laut dem deutschen Wirtschaftswissenschaftler Jörn Kruse aber vor allem eine zeitgemäße, sinnvolle Weiterentwicklung des in Österreich (noch) hochgehaltenen Sozialstaates, um mit ökonomischer Rationalisierung—also dem Ersetzen menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen—fertig zu werden. Denn die zunehmende Automatisierung und Flexibilisierung der Produktion führt dazu, dass immer weniger Menschen einen regulären Lohn beziehen, wie etwa der Anstieg von Leiharbeit in den letzten Jahren zeigt.

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Die Mindestsicherung ist, anders als das BG, ein staatliches Kontrollsystem. Bei einer nicht erbrachten Leistung kann die BMS etwa gekürzt werden. Für dieses System ist ein bürokratischer Kontrollapparat notwendig, der mit hohen Kosten verbunden ist. Ein BG wäre hingegen mit wesentlich geringerem bürokratischen Aufwand zu organisieren—und damit auch mit mehr Effizienz.

Das Bruttoeinkommen Österreichs liegt bei ungefähr 345 Milliarden Euro. Angenommen, man würde jedem österreichischen Staatsbürger und anerkannten Flüchtling über 18 in Österreich 1161 Euro monatlich—also genau jene Summe, die die Armutsgrenze markiert—auszahlen, würde das dem Staat zirka 94 Milliarden Euro kosten—also etwas mehr als ein Drittel des BNE—und wäre nach einer umfassenden Steuerreform durchaus finanzierbar.

In der Flüchtlingsdebatte könnte das BG zunehmend eine Rolle spielen. Denn bis 2017 rechnet die EU-Kommission mit weiteren drei Millionen Flüchtlingen, die nach Europa kommen werden. Da eine europaweite Lösung nach wie vor in den Sternen steht und auch schärfere Kontrollen, Zäune, Mauern und dergleichen die Menschen nicht davon abhalten werden, ihr Leben zu retten, wird ein hohes Maß an sozialem Engagement der Bevölkerung auch in Zukunft notwendig sein, wenn Geflüchtete in Österreich nicht verhungern und erfrieren sollen. Wie viele Helferinnen und Helfer sich das aber über längere Zeit finanziell Leisten können, traut sich niemand zu sagen. Aber nicht nur in der Flüchtlingshilfe, sondern auch in der Kinder- und Altenbetreuung hätte ein BG ähnlich positive Effekte.

Die freiwillige Hilfe für Refugees in den letzten Monaten hat auch gezeigt, dass das Argument von Grundeinkommensgegnern, dass nach der Einführung eines BG niemand mehr arbeiten gehen würde, Bullshit ist. Genauso ist es ein Irrglaube, dass manche Arbeiten gar niemand mehr erledigen würde. Das Problem liegt vielmehr darin, dass Arbeiten des Niedriglohnsektors ganz einfach schlecht bezahlt sind. Würden sie besser bezahlt, würden sie vielleicht auch mehr Menschen gerne ausüben—denn was soll an Investmentbanking per se interessanter sein als an Kellnern oder anderen Studentenjobs, die unsere Gesellschaft als weniger wertvoll einstuft? In Sektoren mit niedrigen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen, könnte das BG für Verbesserungen sorgen. Den Arbeitnehmern wird damit jedenfalls ein starkes Druckmittel in die Hand gegeben.

Eine positive Begleiterscheinung einer Diskussion über die Einführung des BG—nicht zuletzt in der Flüchtlingsdebatte—ist jedenfalls die Frage, ob wir bereit sind, anderen eine Existenzgrundlage bedingungslos zu gewähren. Und: Sind wir bereit, andere selbst über ihr Leben bestimmen zu lassen? Zwei zutiefst demokratische Fragen.

Die Einführung des BG wäre nichts anderes als eine Revolution des staatlichen Sozialsystems. Eine Revolution bei der die Mehrheit gewinnt und, wenn überhaupt, nur eine kleine, machtvolle Elite verliert. Diskutieren wir also nicht länger über die Kürzung der Mindestsicherung—diskutieren wir über ihre Abschaffung und die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle.

Diskutiert mit Paul auf Twitter: @gewitterland