Milonair über das Aufwachsen zwischen Häfn, Cash und Hochhaussiedlung

FYI.

This story is over 5 years old.

Homegrown

Milonair über das Aufwachsen zwischen Häfn, Cash und Hochhaussiedlung

„Den Zeitungsartikel habe ich noch irgendwo zu Hause liegen: 36 Einbrüche in einem Monat. Jüngster Täter 13 Jahre alt, Milad M."

Alle Fotos: Vitali Gelwich

40 Tage war ich auf der Welt, da sind meine Eltern mit mir und meinem Bruder von Teheran nach Deutschland geflohen. Iran, 1. Golfkrieg, kein Ort zum Leben. Zum Glück war mein Onkel schon in Deutschland, wir hatten also eine Anlaufstation. Die ersten zwei Tage mussten wir in Lörrach verbringen, dann durften wir weiter zu ihm. In einer Dreizimmerwohnung direkt am Hamburger Schanzenviertel hat er gewohnt. Nicht er alleine, sondern mit meiner Tante, meinem Cousin und meiner Cousine. Damals war die Schanze noch nicht so ein Szeneviertel, wie sie es heute ist. Vater, Mutter, mein Bruder, ich: Wir teilten uns ein Zimmer. Etwa ein Jahr lang haben wir zu acht in dieser Wohnung gewohnt. Vielleicht auch etwas länger. Ganz genau erinnere ich mich ja nicht, ich war damals noch klein. Meinen ältesten Bruder mussten wir in Tehran zurücklassen. Er hatte kein Visum bekommen.

Anzeige

Zwei Jahre später kam er dann nach. Hustlen war also schon von Anfang an angesagt. Aber verglichen mit anderen politischen Flüchtlingen haben wir natürlich noch Glück gehabt, dass mein Onkel hier in Deutschland so Fuß gefasst hatte—und verglichen erst mit den Flüchtlingen heute. Die Armen sind richtig am Arsch.

Der große Teil meiner übrigen Verwandten lebt noch in Teheran, aber besuchen konnte ich sie noch nie. Ich habe ja diesen blauen Asylantenpass, bin iranischer Staatsbürger, durfte aber noch nie nach Iran reisen, weil ich als politischer Flüchtling gelte. Schon komisch irgendwie.

Nach dem Jahr bei meinem Onkel haben wir dann eine Wohnung vom Sozialamt bekommen. Hamburg-Bergedorf, Korachstraße, Hochhaussiedlung, zehnter Stock, Digga. Das war mein Kiez, da bin ich aufgewachsen, da fangen auch so richtig meine Erinnerungen an. Wir hatten einen Sportplatz direkt vor der Tür. Jeden Tag Fußball, immer wieder gib ihm. Die HSV-Raute habe ich längst tätowiert.

Wenn ich nicht Fußball spielte, hing ich viel mit den Jungs auf der Straße oder in den Wohnblocks ab. Vater und Mutter wollten so schnell wie möglich arbeiten gehen und sich nicht aushalten lassen. Stolze Leute. Mutter fand Arbeit bei Karstadt, Vater ackerte bei unterschiedlichen Restaurants in der Küche. Non-Stop. So waren ich und meine Brüder viel alleine und fingen an, Scheiße zu bauen. Neben unserem Hochhaus standen noch fünf, sechs weitere. Wir wollten den Älteren nacheifern, auch cool sein, aber wo wir aufwuchsen, bedeutete cool sein: Gangster sein, illegal sein. Von der ersten Grundschule bin ich in der zweiten Klasse geflogen. Ich und zwei Freunde—ich kannte sie von kleinauf aus dem Hochhaus—haben die Weste von einem Mitschüler verbrannt. Zum Abschied haben wir ihn noch weggeklatscht. Dann mussten wir drei auf die Grundschule Binnenfeld-Redda wechseln. Als ich nach Hause kam, gab es erst mal Schläge von Vater. Normal, die Eltern war nicht begeistert.

Anzeige

Ich habe mich damals auch viel mit Rechten geschlagen. Überall, wo du angekommen bist, wurdest du als Kanacke schief angeschaut. Du warst nicht so integriert, wie du es heute bist. Heute gibt es sogar Kanacken im Bundestag. Das gab es damals nicht. Wo ich herkam, waren wir gefühlte 80 Prozent Ausländer. Da waren wir immer gut aufgestellt, da waren wir unter uns. Aber sobald man die Straße verlassen hatte, oder in die Innenstadt gefahren war, gab es schon direkt Konfrontation. Ich konnte ihr nicht mal wirklich aus dem Weg gehen. Man selbst war da, die gegnerischen Jungs waren da und dann ging es los.

Mich hat auch die Armut genervt. Ich weiß noch, wie gerne ich die neuen Air Max damals gehabt hätte. Wenn du aber dem Alten Herrn gesagt hättest, die Dinger kosten 180 Mark, war zu befürchten, der haut dir eine rein. Mein ältester Bruder hat es dann mit Ach und Krach geschafft, sich so ein Paar zu geben, und über die Zeit sind die Teile weitergewandert. War ein ganz normaler Gang damals. Überhaupt habe ich viele alte Sachen von meinen großen Brüdern getragen. Beide haben sich gut um mich gekümmert. Vor allem mein älterer Bruder hat mich immer mal wieder mit zu seinen Jungs genommen. Das war noch, bevor er im Häfn war. Ich selbst saß das erste Mal mit 14 Jahren.

Ungefähr ein Jahr zuvor habe ich auf dem Jahrmarkt in Bergedorf einen polnischen Jungen kennengelernt. Der war etwas älter als ich, Baujahr '84 und hatte schon ein paar Einbrüche hinter sich. Zusammen gingen wir dann richtig los. In einem Laden haben wir 280.000 Mark rausgeholt. Wir haben die Läden richtig auseinandergenommen. Mit Gullideckeln die Scheiben eingeworfen, Brecheisen genommen, die Türen aufgehebelt, Fenster aufgerissen, es fand sich immer ein Weg. Wir sind zu einer Gruppe von fünf bis sieben Jungs angewachsen. Manchmal machten wir fünf Einbrüche die Nacht. Irgendwann haben sie uns dann auf frischer Tat gepackt. Den Zeitungsartikel habe ich noch irgendwo zu Hause liegen: „36 Einbrüche in einem Monat. Jüngster Täter 13 Jahre alt, Milad M."

Anzeige

Du bist 13 Jahre alt und weißt überhaupt nicht, was abgeht. Damals hatte ich auch Streit mit meinen Eltern und bin von zu Hause abgehauen. In unserer Truppe gab es auch ein paar Jungs, die schon 18 Jahre alt waren. Die haben dann Hotelzimmer gemietet und wir alle haben Monate lang nur dort gelebt. Der Nervenkitzel bei den Brüchen hatte auch seinen Reiz. Es hat Spaß gemacht. Es kam manchmal vor, dass wir mit 20.000 Mark in der Tasche einbrechen gegangen sind. Einfach so aus Langeweile; und weil keiner sich um uns gekümmert hat. Und nur neue Klamotten gekauft. Nie gewaschen, sondern direkt wieder weggeschmissen. Völlig dumm. Aber mit 13 steigt dir die Welt zu Kopf. Ich hatte damals so viel Geld, die Nike Air Max waren dann kein Problem mehr. Wir hingen gerne am Hotel Alt Lohbrügger Hof oder im Hotel Sachsenturm ab. Das waren unsere Favorites. Da waren nachts immer ausländische Pagen. Bei ihnen hat man immer ganz easy ein Zimmer bekommen. Niemand hat dich vollgelabbert und dir tausend Fragen gestellt.

Doch wie gesagt, dann haben sie uns beim Bruch erwischt. Ich war aber mit meinen 13 Jahren noch gar nicht strafmündig und dachte, dass ich direkt von der U-Haft nach Hause gehen kann. Stattdessen musste ich in eine intensiv betreute Wohngruppe. „U-Haftverschonung" nannte sich das in Hamburg. Für richtige Härtefälle. Da bin ich immer wieder über den Balkon abgehauen, habe Brüche gemacht, Leute abgezogen und mich wieder zurück reingeschlichen. Ein paar Monate später wurde ich 14 und kam gerade von einer Nummer zurück; das haben die Bullen spitzgekriegt. Anhörung und direkt in die Haft.

Anzeige

Draußen hatten wir eine Art Star-Anwalt, der hat uns immer rauszuhauen versucht. So ging das hin und her. Bis zum 18. Lebensalter saß ich sieben Mal im Jugendgefängnis. Immer so für zwei bis sechs Monate. Irgendwann sind wir dann aufs Dealen umgestiegen. Da habe ich mir eine dicke Strafe eingefangen. Mit 18 saß ich für 26 Monate am Stück ein. In der Zeit machte ich auch meinen Abschluss nach. Ich weiß noch, wie früher die Lehrer meinen Eltern sagten: „Es liegt nicht an seinen Noten, sondern an den Fehlzeiten." Lag es auch. Ich war in der Schule auch irgendwie unterfordert. Ich war der Kanacke, der sich im Unterricht langweilte. Im Häfn habe ich dann meine Berufsschulprüfung mit drei Einsen auf dem Zeugnis bestanden. Unter anderem in Deutsch und Mathe. Als ich dann 2009 wieder rauskam, bin ich trotzdem noch einmal dick abgegangen. Ich und die Jungs haben uns so richtig ins Drogengeschäft eingefuchst. Wir haben expandiert sozusagen, es lief gut, bis wir dann mit zehn Kilo Marihuana und einem Kilo Kokain gepackt wurden.

Es war einer unserer Abnehmer aus Kiel, der uns alle komplett verraten hatte. Er hat schlampig gearbeitet, wurde erwischt und hielt sich nicht an die goldene Regel, in solchen Fällen das Maul zu halten. Stattdessen machte er eine 400 Seiten lange Aussage; ein klassischer 31er. Viele von uns sind da eingewandert. Ich allein war—die U-Haft mit eingerechnet—vier Jahre im Bau. Da hat das auch mit dem Rappen angefangen. Nur aus Spaß erst. Ich stand an meinem Zellenfenster und habe spontan über meine Mithäftlinge und ihre Taten gerappt. Ich habe sie verarscht, wir haben gelacht. Ich hörte Savas damals sehr gern, Hafti auch; der kam gerade mit Azzlack Stereotyp um die Ecke. Ich machte mir einen Spaß daraus, ihre Parts umzudichten. Das war alles. Als ich wieder rauskam, nahm mich ein guter Freund zusammen mit Axel von HDF in Empfang. Sie sagten: „Diggi, wir nehmen die heute mit. Wir gehen heute auf ein Hafti-Konzert."

Auf dem Weg dorthin habe ich aus Joke gerappt und da meinte Axel zu mir: „Hör mal, das ist gar nicht mal so schlecht." Beim Konzert dann habe ich mich mit Aykut super verstanden. Plötzlich kam Axel und meinte zu ihm: „Hafti, Milo rappt auch." Aykut hat mich zum Rappen aufgefordert, mir war das peinlich, dann habe ich es dennoch gemacht. Er war überrascht. Einen Tag später bin ich noch auf seinem Konzert in Hannover gewesen. Nach dem Auftritt im Backstage-Bereich hat er mir dann gut zugesprochen. Er sagte: „Ich suche gerade Leute, tu mal was, Junge. Gib mal Gas mit deiner Geschichte, die du da machst."

Und dann ging alles sehr schnell. Mein allererster Text, den ich geschrieben habe, wurde auch gleich zum Video. In vier Wochen 1,5 Millionen Klicks auf YouTube. Unglaublich. Damit hatte niemand gerechnet. Ich am wenigsten. Ein Hamburger Jung'. Dann wurden noch einige Videos hinterhergehauen und plötzlich stand Aykut wieder vor mir und fragte: „Hast du Bock, zu mir zu kommen?" Und ich antwortete: „Digga, ich bin ein loyaler Mensch, wenn wir von A reden, dann bleiben wir bis Z zusammen." So ist das jetzt.

Mir tut es Leid, wenn ich von Leuten höre, die Jahrzehnte lang rappen und weiter Tag für Tag strugglen müssen. Ich hatte Glück, vielleicht hat Gott mir ein Schicksal geben. Wenn Axel, Aykut und Sepo nicht gewesen wären, wenn nur eine Kleinigkeit dazwischen gekommen wäre und die Jungs mich nicht auf das Konzert mitgenommen hätten, würde ich heute vermutlich immer noch eine Brechstange oder die Gitterstäbe an meinem Zellenfenster in den Händen halten. Auch das wäre OK, so war ja mein Leben. Und doch bin ich den Jungs dankbar, dass ich mir mit dem neuen Album und den Features darauf meine Träume erfüllen konnte.