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Messerattacken und kaltblütige Exekutionen: Hinter den Kulissen des kontroversesten Videospiels von 2015

Das Spiel ‚Hatred' wurde zwar noch nicht veröffentlicht, aber seine Brutalität hat trotzdem schon für mächtig Wirbel gesorgt.

Destructive Creations ist jetzt nicht die erste Videospielschmiede, die weiß, dass es keine schlechte Presse gibt. Sie gehört aber mit Sicherheit zu denen, die diesen Umstand schamlos ausnutzen. „Bring it everywhere and let the haters hate!" heißt es in der Ankündigung des bezaubernden Shooters Hatred, in dem man als kräftig gebauter Typ mit langen Haaren Zivilisten und Polizisten abknallt.

Der Werbetext auf der Spiele-Website ist ebenfalls totale Provokation. Darin wird den Spielern der „pure Nervenkitzel" versprochen, den anscheinend nur in die Länge gezogene Messerattacken liefern. Auch wird sich über die „Höflichkeit" und die „Political Correctness" anderer Indie-Spieleentwickler lustig gemacht. Das Ganze erscheint wie ein dreister Versuch, vom kulturellen Krieg zwischen liberalen Kritikern und den Reaktionären der Gamer-Community zu profitieren. Wenn das wirklich der Plan war, dann ging er voll und ganz auf. Hatred wurde über Weihnachten nach heftiger Kritik in der Presse und Gerüchten über Verwicklungen mit der rechtsextremen Szene wieder von der Online-Voting-Plattform Steam Greenlight entfernt. Einen Tag später tauchte es jedoch wieder auf und wurde auch sehr schnell wieder freigegeben—eine perfekt ausgeführte Feedback-Schleife aus Angst und Abscheu.

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Ich bin kein Fan von Hatred, zumindest was den schrecklichen Trailer angeht. Ich bin jedoch auch keiner der „Hater" und will auch nicht, dass der Verkauf verboten wird (so wie es manche Fans von einigen Kritikern behaupten). Die Brutalität erscheint mir zwar wie ein offensichtlicher Schrei nach Aufmerksamkeit, aber ich finde auch, dass man das Spiel etwas genauer betrachten sollte—jetzt nicht unbedingt für das, was es ist oder was es macht, sondern für das, was es über vergleichbare Gemetzel in gefeierten Mainstream-Titeln wie Grand Theft Auto V aussagt. Zwar wird genau dieses Spiel als Satire bezeichnet und das Abschlachten wird durch die Handlung gerechtfertigt, aber wie viel davon ist dabei nur Augenwischerei? Ist Hatred wirklich etwas Außergewöhnliches oder spielt es bezüglich seiner Mordlust einfach nur mit offenen Karten?

Ich habe mich mit Przemysław Szczepaniak, dem Business-Development-Manager von Destructive Creations, unterhalten und eingehend über dieses Thema geredet.

VICE: Hey Przemysław. Habt ihr schon beim Programmieren von Hatred damit gerechnet, dass es für Kontroversen sorgen wird? Hat diese Erwartung irgendeinen Einfluss auf die Spielgestaltung gehabt?
Przemysław Szczepaniak: Wir haben uns Hatred von Anfang an so vorgestellt, wie es jetzt ist. Natürlich war uns da schon klar, dass die Medien und manche Leute vom Spiel schockiert sein würden. Unserer Meinung nach braucht die Community aber auch so etwas wie Hatred, denn der Markt ist überschwemmt mit sterilen und viel zu anbiedernden Spielen. Ein bisschen Schmutz und düstere Atmosphäre hat noch niemandem geschadet. Man konnte in letzter Zeit ja auch sehen, wie unglaublich viele Spieler dieses Projekt unterstützen und bei Greenlight dafür abstimmen. Wenn also ein Bedarf an solchen Spielen besteht, dann haben wir unserer Meinung nach einen guten Job gemacht.

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Hat der Protagonist irgendeine Hintergrundgeschichte? Warum ist er so wütend?
Nein, zu ihm gibt es keine Geschichte, er ist einfach nur verrückt und hasst die Welt. Er will für Tod und Verderben sorgen—so wie jeder andere Psychopath auch.

Wen genau tötet der Hauptcharakter von Hatred? Gab es eine Vorlage für die nicht spielbaren Charaktere?
Nein, wir haben einfach nur so viele allgemeine Klamotten, Gesichter und Frisuren wie möglich verwendet. Wen genau er umbringt? Wenn wir das wirklich auf eine computergenerierte Figur beziehen wollen, dann würde ich sagen, dass er „jeden" tötet.

Auf eurer Website steht, dass „viele Spiele eine höfliche, fröhliche und politisch korrekte Richtung einschlagen und dabei versuchen, sich als eine Art höhere Kunst darzustellen." Auf welche Spiele bezieht ihr euch da genau?
Es ist jetzt nicht allzu schwer, dieses Statement richtig zu verstehen—gerade, wenn man sich die derzeitige Szene der Indie-Spieleentwickler ansieht.

Die Mitarbeiter von Destructive Creations

Klar willst du hier jetzt keine Namen nennen, aber ich finde es schon schwierig, den Sinn hinter der Behauptung zu sehen, wenn keine Beispiele gebracht werden. Kannst du mir zumindest ein paar Genres aufzählen, die du als zu politisch korrekt ansiehst? Gilt euer Statement deiner Meinung nach für alle Genres gleichermaßen?
Es geht hier nicht um bestimmte Spiele, ich rede wirklich gleichermaßen von allen Genres. Es gibt natürlich auch aktuelle Titel, die wir respektieren. Wir hatten einfach nur die Nase voll von Spielen, in denen jede Handlung des Protagonisten gerechtfertigt wird und alles erklärt werden muss. Dadurch kommt sich der Spieler manchmal richtig dumm vor.

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Wir hatten Spiele satt, die dich immer bei der Hand nehmen und dadurch so lächerlich einfach werden, dass das Ganze keinen Spaß mehr macht und man sich nicht mehr in die Action einbringen kann. Die meisten aktuellen Spiele haben mit denen von damals nichts mehr gemeinsam. Früher hat das eigentliche Spielen—das Erforschen, das Denken, das Kombinieren und das Suchen—für den Spaß gesorgt. Heutzutage geht es nur noch um eine hervorragende Grafik, die packenden und unterhaltsamen Elemente rücken dabei in den Hintergrund.

Ist es dann etwas Schlechtes, wenn Spieleentwickler versuchen, etwas Kunstvolles zu erschaffen?
Erstmal muss ich eins klarstellen: Ich finde, dass Spieleentwickler wirklich etwas Kunstvolles erschaffen und das nicht nur versuchen. Videospiele sind eine tolle Alternative zu Filmen, TV-Serien und Musik. Die wunderschöne Grafik, die Story oder das komplexe Gameplay vieler Spiele verursachen oft Gänsehaut.

Glaubst du, dass andere Videospiele aus Angst vor dem Medienecho zurückgehalten wurden?
Ja, das halte ich für möglich. Ich meine, schau dir nur mal unseren Fall an—nachdem unser Trailer rauskam, wurden wir von allen Seiten aufs Heftigste attackiert. Außerdem haben sie unser Spiel verboten und uns von der Steam-Plattform genommen. Doch am Ende schoss unser Spiel dann auf Platz eins der Greenlight-Charts. Hätten wir aus Angst vor den Reaktionen Hatred erst gar nicht entwickelt, hätten wir auch nie erfahren, was aus unserem Projekt geworden wäre.

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Du hast gesagt, dass sich jeder Spieler selber fragen muss: „Was kann einen Menschen zum Massenmörder machen?" Und mit dem Gameplay und der Grafik des Spiels willst du genau diese Frage auslösen. Wie soll das genau geschehen? Drängt sich einem diese Frage nicht auch durch die Story auf?
Bei Hatred erwarten dich eine verstörende Atmosphäre und ein undurchsichtiges Gameplay. Indem du es spielst, setzt du dich selbst einer ganz neuen Erfahrung aus. Du schlüpfst in die Rolle—und die Denke—eines Verrückten. Als gesunde und ausgeglichene Person weißt du natürlich, dass Hatred nur ein Spiel mit fiktiven Charakteren ist. Du weißt, dass von ihm für dich und die Personen um dich herum keinerlei Gefahr ausgeht. Es ist deine freie Wahl, Hatred zu spielen. Und du allein musst deine Schlussfolgerungen aus dem Spiel ziehen.

Würde Hatred als Shooter nicht genauso funktionieren, wenn du zum Beispiel Außerirdische oder Dämonen abknallen müsstest? Warum müssen unbedingt unschuldige Menschen dran glauben?
Unter Gameplay-Gesichtspunkten hätten wir ohne Weiteres auch auf Marsmenschen oder Zombies schießen lassen können. Aber hey, zeig mir mal einen Twin-Stick-Shooter, wo du gegen Menschen kämpfen musst. Zombies und Dämonen tauchen heutzutage doch in fast allen Shootern auf, was die Leute zunehmend langweilt. Außerdem ist das Töten von virtuellen Menschen einfach fesselnder. Zombies würden doch eh nur weglaufen.

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Das hier ist der Protagonist.

Das Spiel ist also auch deswegen besonders, weil unschuldige Menschen—im Gegensatz zu Zombies—eine interessantere Reaktion zeigen, wenn auf sie geschossen wird?
Ja, auch deswegen, weil bei uns die virtuellen Menschen nicht immer auf vorhersehbare Weise agieren und reagieren—sie können dich im Spiel noch echt überraschen. Würde dich ein Zombie groß überraschen? Nicht wirklich. Sie rennen stöhnend und schreiend auf dich zu. Mehr nicht.

Hast du keine Angst, dass Hatred als Paradebeispiel für gewaltverherrlichende Spiele herhalten muss?
Nein, wir machen uns keine Sorge, denn es gibt keinen Beweis dafür, dass Spiele für Gewalt verantwortlich sind. Computerspiele sind in kommerzieller Form erst seit rund 30 Jahren auf dem Markt. Wie viel Gewalt wurde aber schon in Filmen gezeigt oder auch in Büchern beschrieben? Gewalt unter Menschen gab es doch schon immer, und immer war sie sozialen, psychologischen, politischen oder religiösen Ursprungs. Mit Computerspielen hat sie nichts zu tun. Gleichzeitig fordern wir die Eltern auf, dass sie auf die Altersbeschränkung achten.

Euer Creative Director hat gesagt, dass Hatred „ehrlicher" als andere Action-Games ist, weil es nicht abstreitet, dass es ums Töten geht. Aber besteht der eigentliche Unterschied nicht darin, dass sich euer Spiel ausschließlich um wahlloses Gemetzel dreht? Denn in anderen Action-Games tritt man blinder Gewalt zumindest ansatzweise entgegen? So kannst du zwar auch in Assassin's Creed Zivilisten töten, ein solches Verhalten wird dann aber betraft.
Bei jedem Killerspiel geht es doch um Gewalt. Dabei spielt es dann auch keine Rolle, ob du das Töten durch den Plot zu rechtfertigen versuchst. Denn du musst töten, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Töten ist aber immer falsch. Wir zeigen mit Hatred, wie grausam es sein kann. Wir wollen es aber gleichzeitig in keiner Weise rechtfertigen. In diesem Sinne meinen wir, dass wir ein ehrliches Produkt anbieten.

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Warum hat Valve wohl euer Spiel von Steam runtergenommen? Und warum haben sie ihre Entscheidung dann wieder revidiert?
Ehrlich gesagt haben wir keine Ahnung, warum sie es runtergenommen haben. Ihre Erklärung lautete in etwa „Darum". Aber anscheinend hat der mächtige Gabe Newell auf den Tisch gehauen und seine Mitarbeiter daran erinnert, worum es bei Steam im Grunde eigentlich geht. Er hat sich also gegen ihre Entscheidung gewehrt. Hatred, so wie jedes andere Spiel auch, hat das Recht zu existieren. Am Ende müssen die Kunden selbst entscheiden, ob sie es kaufen wollen oder nicht.

Mit Ausnahme der Exekutionsszenen tötest du bei Hatred aus der isometrischen Perspektive.

Siehst du es als Sieg der kreativen Kräfte, dass euch Steam am Ende wieder ins Programm aufgenommen hat?
Ja, aber es ist nicht nur ein Sieg der Kreativität oder der Meinungsfreiheit. Es ist vor allem auch ein toller Sieg für unsere Fans und Unterstützer. Wie man an der Anzahl der Votes erkennen kann, verlangen Gamer nach Spielen wie Hatred—was auch dadurch deutlich wurde, dass sie sich für die Wiederaufnahme auf Steam stark gemacht haben.

Was hättet ihr gemacht, wenn sich Valve geweigert hätte, euch wieder bei Steam zu führen?
Ohne die Unterstützung von Steam wäre es auf jeden Fall komplizierter geworden, aber wir hatten schon noch einen Back-up-Plan in der Hinterhand. Wir hätten das Spiel mithilfe von anderen Partner über andere Kanäle vertrieben. Es wäre für uns also nicht das Ende der Welt gewesen.

Hat sich euer Verhältnis zu Epic Games verändert, seitdem sie euch darum gebeten haben, ihr Unreal-Engine-Logo aus dem Trailer von Hatred zu entfernen?
Wir haben ihre Spiel-Engine wie jeder normale Entwickler gekauft, und sie haben uns ganz höflich gefragt, ob wir ihr Logo aus dem Trailer nehmen könnten. Mehr ist nicht passiert. Wir haben noch mehr Respekt vor ihnen als vorher, da sie ziemlich bescheiden—und nicht wie ein großes Unternehmen—aufgetreten sind.

Habt ihr irgendetwas aus Hatred rausgeschnitten, weil ihr es für zu anstößig hielt?
Wir haben rein gar nichts rausgeschnitten, weil wir das Spiel in der Form geplant und entwickelt haben, die man auch schon im Trailer sehen konnte. Wir gehen keine Kompromisse ein!

Werdet ihr das Spiel angesichts der Aufmerksamkeit, die der Trailer auf sich gezogen hat, noch gewalttätiger machen?
Nicht wirklich. Wie gesagt, wir werden am Grundkonzept des Spiels nichts ändern. Und ehrlich gesagt ist es auch nicht so furchtbar gewalttätig, wie manche Leute glauben. Es gibt durchaus schlimmere Titel, auch unter den Mainstream-Spielen.