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Der Westbahnhof war heute noch einmal Beweis dafür, wie verdammt fähig Österreich sein kann

Was sich heute abgespielt hat, macht klar, dass dieses Land noch viel größeres bewältigen kann, als 10.000 Flüchtlingen beim Durchreisen zu helfen.
Foto: Grüne Österreich

Irgendwie jagt gerade ein historischer Tag den nächsten. Was sich aktuell in der Flüchtlingssituation abspielt, lässt sich eigentlich kaum in Worte fassen. Heute Morgen wache ich also bereits mit der Annahme auf, dass sich die Ereignisse wieder überschlagen könnten, und schalte ein verlängertes ZIB-Spezial ein.

Und ich sollte recht behalten: Die Flüchtlinge, die seit Tagen in Ungarn festgehalten und schikaniert wurden, und von denen sich ein Teil gestern zu Fuß nach Österreich aufgemacht hatte, würden nun mit Bussen an die Grenze gebracht. Österreich lasse sie einreisen und wolle ihnen ermöglichen, möglichst einfach nach Deutschland weiterzureisen. Vom Burgenland aus sollen die Flüchtlinge an die großen Bahnhöfe nach Wien gebracht werden. Der burgenländische Polizeidirektor Doskozil—dessen Job in diesen Tagen wohl zu den stressigsten des Landes gehört—erklärt, man rechne mit etwa 10.000 Flüchtlingen, die alleine heute die österreichisch Grenze passieren würden.

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Hätte es vor ein paar Tagen plötzlich geheißen, 10.000 Flüchtlinge kommen an einem Tag nach Österreich—selbst, wenn 99 Prozent davon nach Deutschland weiterreisen wollten—, hätte ein großer (und vor allem lauter) Teil der Österreicher vermutlich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und beklagt, dass all das völlig unmöglich zu bewältigen sei; dass heilloses Chaos die Folge sein würde.

Aber diese Woche ist sowieso alles irgendwie anders. Spätestens, seitdem am Montag das erste Mal Sonderzüge aus Budapest nach Wien fuhren und eine Welle der Hilfsbereitschaft die Folge waren, während gleichzeitig 20.000 Menschen in der Innenstadt für die Rechte von Flüchtlingen demonstrierten, scheinen zum ersten Mal seit Monaten nicht Angst und Hetze, sondern Menschen, die zu Hilfe bereit sind, das Sagen zu haben.

Ich schalte den Fernseher aus und beschließe, zum Westbahnhof zu fahren, um auch irgendwie zu helfen. Auf der Fahrt dorthin scrolle ich durch meinen Facebook-Feed und sehe, dass sogar Leute, bei denen ich nicht einmal im Ansatz damit gerechnet hätte, auf dem Weg an die ungarische Grenze sind, um Flüchtlinge mit dem Auto nach Wien zu bringen. Absolut alles scheint sich darum zu drehen, wie man diesen Leuten am besten helfen kann.

Als ich am Westbahnhof ankomme, sind dort unfassbar viele Menschen—mehr, als ich hier jemals zuvor gesehen habe. In der großen Hallen sitzen und stehen überall Gruppen von Flüchtlingen. Einige wärmen sich mit Decken. Manche von ihnen schauen todmüde, andere ziemlich glücklich aus. An allen freien Steckdosen hängen Smartphones, die während des Zwischenaufenthaltes geladen werden. Die Bahnsteige sind ein einziges Menschenmeer.

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Foto vom Autor

Und trotzdem ist hier nichts auch nur annähernd chaotisch. Im Gegenteil: Überall sind Helfer, die rote Caritas-T-Shirts übergestreift haben, Dolmetscher mit Zetteln auf der Brust, auf denen steht, welche Sprachen sie sprechen, Menschen, die Suppe verteilen oder Flüchtlingen erklären, wohin sie müssen, wenn sie weiterfahren wollen. All diese freiwilligen Helfer scheinen so derartig kompetent und fähig zu sein, dass es mich wirklich ein bisschen baff macht. Es wirkt fast, als wären hier nur Profis am Werk.

Ich frage einen Mann mit rotem Shirt, der zuvor Anweisungen an weitere Helfer gegeben hatte, ob noch irgendwo eine helfende Hand benötigt werde. Er muss grinsen. „Es sind gerade wirklich fast zu viele Helfer da. Aber im Untergeschoss wird die Kleidung sortiert, probier es dort mal." Ich steige also mit einem knappen dutzend weiteren Helfern in den Lift und fahre nach unten.

Was sich dort abspielt, stellt die Szene oben noch einmal ziemlich in den Schatten. Türme an Sachspenden werden von Helfern sortiert. Ich frage noch einmal, ob man vielleicht irgendwo anpacken und helfen könne. Aber auch hier wird dankend abgelehnt. „Wir haben einfach schon so viele Leute, die helfen. Vielleicht ja in ein paar Stunden wieder." Mir wird bewusst, dass meine Hilfe hier zumindest im Moment wirklich nicht gebraucht wird, und gehe hinaus auf den Vorplatz. Ab diesem Zeitpunk staune ich einfach nur noch darüber, wie verdammt strukturiert und liebevoll hier gearbeitet wird. Ich bestaune den Stand, an dem sich die Flüchtlinge dringend benötigte Schuhe, fein säuberlich sortiert nach Größen, holen können. Nebenbei schaue ich auf mein Handy und lese von Passanten, die Flüchtlingen mit Kindern einfach 100 Euro in die Hand drücken. Hier funktioniert alles so verdammt gut, dass es schon fast ein bisschen kitschig ist.

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Foto vom Autor

Dutzende Rettungswagen und Sanitäter stehen bereit. Türme an sortierten Klamotten warten in einem Eck. Ein Mann vor der Sammelstelle für alle Sachspenden erklärt laut, dass man momentan von absolut allem ausreichend hätte. Sogar von den Bergen an Trinkwasserflaschen (und wenn ich Berge sage, dann meine ich Berge) bin ich irgendwie beeindruckt.

Wer gesehen hat, was sich heute am Westbahnhof abgespielt hat, dem muss eigentlich klar werden, dass dieses Land noch viel mehr bewältigen kann, als 10.000 Flüchtlingen am Tag beim Durchreisen zu helfen—selbst wenn er noch so "asylkritisch" sein mag. Österreich und seine Leute sind ganz offensichtlich um einiges fähiger, als viele sich und einander zugestehen wollen. Es war jedenfalls noch nie so schön für mich, nicht gebraucht zu werden.

Folgt Tori auf Twitter: @TorisNest


Titelbild mit freundlicher Genehmigung der Grünen Österreich