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Heroin ist wohl der gefährlichste Weg, um deine Kreativität zu erhöhen

Die Sache mit Heroin ist, dass man eigentlich nichts Gutes darüber sagen kann—jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Aber kann Heroin Menschen wirklich kreativer machen?

Die Sache mit Heroin ist, dass man eigentlich nichts Gutes darüber sagen kann—jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Das musste jedenfalls der schlacksige Britpopsänger Damon Albarn erfahren, als er kürzlich in einem Interview gestand, dass seine Begegnung mit dem braunen Gold „unglaublich kreativ" und „extrem angenehm" war. Das führte in den britischen Medien zu einem mittleren Sturm der Entrüstung. Die Kommentarspalten waren voll von Menschen, die es nicht fassen konnten, wie jemand überhaupt daran denken kann, dass Heroin etwas anderes ist als die schlimmste aller Plagen, die die Menschheit jemals heimgesucht hat.

Es ist die gleiche Art öffentlicher Entrüstung, die sich jedes Mal erbricht, wenn es um die Etablierung von kontrollierten Konsumräumen oder die Abgabe von medizinischem Heroin durch Ärzte an Süchtige geht, damit diese ihr Leben wieder bewältigen können. Heroin = schlecht, verstanden? Viele der Einwände kann ich auch gut nachvollziehen—Heroinabhängigkeit ist eine furchtbare Sache. Heroin ist eine Droge, die schnell dein ganzes Leben bestimmt und dann zerstören kann, wie auch das der Menschen um dich herum. Dennoch erweckte Albarns erstaunlich ehrliche Beichte bei mir mehr Neugier als Schock und Wut. Kann Heroin Menschen wirklich kreativer machen? Unter allen Drogen schien mir Heroin immer die zu sein, die am wenigsten für Kreativität sorgt. Kokain leuchtet mir in diesem Zusammenhang sofort ein: Du hast plötzlich einen Haufen Ideen, von denen du jede einzelne großartig findest (auch wenn sie das keineswegs sind), und Gras macht einfach alles lustig. LSD wiederum ist quasi die Ausgeburt von Kreativität. Aber Heroin? Aus meinem, zugegebenermaßen beschränktem, Wissen über die Droge (d.h. ich habe Trainspotting gesehen und war mal in Vancouvers Downtown Eastside unterwegs), kann ich nur mit Sicherheit sagen, dass Heroinabhängige extrem müde aussehen und sich die ganze Zeit kratzen müssen. Klingt nicht sehr nach kreativem Genie, oder? Ich wollte mehr wissen, also rief ich Dr. Alain Dagher, einen Neurologen vom Montreal Neurological Institute and Hospital (a.k.a The Neuro) an, um herauszufinden, wie eine Droge in der Art von Heroin helfen kann, die Kreativität zu fördern—falls sie das überhaupt tut. VICE: Was können Sie mir über den Zusammenhang von Drogen und Kreativität sagen?
Dr. Alain Dagher: Schon seit langer Zeit benutzen Menschen Drogen, um ihre Kreativität zu fördern, und unterschiedliche Drogen haben unterschiedliche Wirkungen. Das offensichtlichste Beispiel dafür, wie Drogen Kreativität fördern können, ist die Tatsache, dass die meisten von uns auf viele Arten gehemmt sind. Viele Drogen, vor allem in kleinen Dosen, können diese Hemmungen lösen. Das beste Beispiel ist Alkohol. Kleine Dosen bestimmter Drogen wie Alkohol können gerade genug dieser Hemmungen lösen, so dass man auf eine gewisse Art und Weise kreativer wird. Und was ist mit Heroin im Speziellen?
Es gibt noch einen anderen Weg, auf dem dich Drogen kreativer machen können, der über diese enthemmende Wirkung hinausgeht. Dieser besteht darin, in deinem Gehirn Verbindungen zwischen Dingen herzustellen, die sonst nicht da sind. Auf eine gewisse Art und Weise ähnelt das dem Wahnsinn—es gibt nicht wenige Künstler, deren Kreativität schon an Wahnsinn grenzt, diesem aber eben nicht vollständig verfällt. In Zuständen der Schizophrenie bringst du Gedanken zueinander, die nicht unbedingt zusammen gehören—du ziehst sprungartig Schlüsse und die Gedanken gehen in bizarre Richtungen, was vielleicht hilfreich sein kann, um bizarre Ideen zu kreieren. Ein Bestandteil von Kreativität ist es, originell zu sein. Drogen wie Kokain, und vielleicht auch Heroin, haben die Fähigkeit, dir ausgefallene Gedankengänge zu ermöglichen. Heroin kann einen also kreativer machen.
Ich weiß das jetzt nicht über Heroin an sich, aber im 19. Jahrhundert verwendeten die Menschen Drogen, die Heroin sehr ähnlich sind. Die ganzen Romantiker konsumierten Opiate. Drogen wie Laudanum und Morphium waren damals als kreative Hilfsmittel für Poeten und Maler weit verbreitet. Surrealisten wie Andre Breton interessierten sich sehr für den Wahnsinn, aber auch für jeden anderen Geisteszustand, der als nicht normal angesehen wurde. Das erlaubte es dann, kreativ zu sein, im Sinne von anders zu sein. Auf der anderen Seite nehmen viele Menschen Heroin zur Selbstmedikation. In der Medizin wird es in der Form von Morphium als Schmerzmittel eingesetzt. Es hilft aber wahrscheinlich auch Menschen, die unter Depressionen und Angststörungen leiden. Viele Künstler leiden wahrscheinlich gerade wegen dem, was sie machen, unter diesen Dingen. Warum sind manche Menschen wohl von Damon Albarns Geständnis so aufgebracht?
Dafür gibt es viele Gründe. Der offensichtlichste dafür ist wohl, dass Drogen—vor allem Heroin—ziemlich gefährlich sind. Und niemand sollte empfehlen, eine Droge wie Heroin zu nehmen, um ein Künstler zu werden. Insbesondere Heroin—es ist wahrscheinlich eine der schlimmsten Drogen, die es gibt. Es ist extrem gefährlich. Eine einzige Dosis kann dich schon umbringen. Und es ist leicht, zu überdosieren. Ich würde sagen, dass das wahrscheinlich auch der Grund dafür ist, warum die Menschen so aufgebracht sind. Würden Sie sagen, dass Heroin auf eine ähnliche Weise verteufelt wird, wie es in der Vergangenheit auch schon Cannabis und Alkohol widerfahren ist?
Jede Droge, bis auf Alkohol, wurde schon bis zu einem gewissen Grad dämonisiert. Hätte er gesagt, dass er zwei Whiskey getrunken hat, um seinen kreativen Prozess zu fördern, hätte das niemanden interessiert. Ich muss hier aber einwenden, dass Heroin eine derartig gefährliche Droge ist, dass ich niemandem empfehlen würde, sie auch nur ein Mal auszuprobieren. Ich möchte auch hinzufügen, dass zu Kreativität weit mehr gehört, als einfach nur enthemmt zu sein und ausgefallene Assoziationen herzustellen—es muss ein gewisses Talent vorhanden sein. Man braucht nicht nur Ideen, sondern muss auch die guten von den schlechten unterscheiden können. Man kann also sagen, dass Heroin nicht unbedingt super kreativ macht, aber unter Umständen dabei helfen kann.
Ich möchte das jetzt nicht moralisch bewerten; ich bin kein Ethikexperte. Ich kann es aber als Experte in Neurowissenschaften beantworten. Menschen sagen, dass es ihnen bei ihrer Kreativität geholfen hat und es gibt Grund zur Annahme, dass das auch stimmt. Ich glaube aber wirklich nicht, dass es eine gute Idee ist.