Warum spricht jeder über den Hitlertourismus, aber niemand über die rechte Szene in Braunau?
Foto: Eric Paradis| Flickr | CC BY 2.0

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Warum spricht jeder über den Hitlertourismus, aber niemand über die rechte Szene in Braunau?

Bei all dem Trubel um das Hitlerhaus und den Nazi-Tourismus wird die heimische Szene oftmals vergessen.

In den letzten Monaten hat das kleine Städtchen Braunau wieder einmal häufiger Platz in den Schlagzeilen gefunden—und das nicht nur in den heimischen Medien, sondern auch international. Es wurde viel darüber diskutiert, wie mit dem Geburtshaus von Hitler umgegangen werden sollte, es wurde über verschiedene Lösungen gesprochen, ein Gesetz zur Enteignung der eigenwilligen Besitzerin soll verabschiedet werden und Innenminister Sobotka war kurz dafür, das Haus abzureißen, obwohl jetzt doch nur eine "tiefgreifende architektonische Umgestaltung" im Raum steht.

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Immer wieder geht es bei der Frage um die Nutzung des Hauses auch um den Neonazi-Tourismus. Denn immer noch reisen Rechte nach Braunau, um sich vor dem gelben Häuschen in der Salzburger Vorstadt 15 fotografieren zu lassen. Ein Beispiel dafür ist der rechte Rapper Makss Damage, der durch sein "Reconquista Mixtape" einschlägig bekannt wurde und erst vor Kurzem mit einem Interview auf Kiss FM für einen Shitstorm gegen den Radiosender gesorgt hat.

Er schreibt unter sein Hitlerhaus-Foto, das er auf seiner Fanpage mit über 10.000 Fans gepostet hat: "Vor seinem Geburtshaus! Besucht es, solange es noch steht! Das Gefühl ist unvergleichbar …" Einer seiner Fans kommentiert unter das Bild: "Dieses Haus einmal live zu sehen, das ist fast schon Pflicht für jeden aufrechten Menschen!"

Im Eifer dieser bereits seit Jahren andauernden polarisierenden Debatte vergessen viele, dass Rechte—wie zum Beispiel ungarische Neonazis des berüchtigten Blood & Honour-Netzwerks—nicht nur gerne nach Braunau reisen, um vor der Geburtsstätte ihres Führers ein Foto für die Ewigkeit zu schießen. Viele davon sind auch in Braunau zu Hause—und stolz darauf. Bei all dem Trubel um das Geburtshaus und den Hitlerhaus-Tourismus wird die heimische Szene in Braunau und dem Innviertel als Ganzes oftmals vergessen oder einfach außen vor gelassen. Dass man in Braunau nicht gerne vor der eigenen Türe kehrt, sollte zwar eigentlich niemanden mehr verwundern; lange sah man hier beispielsweise nicht die Hitlerhaus-Touristen als Problem, sondern die Linken, die an Hitlers Geburtstag am 20. April jährlich gegen diese demonstrieren. Dennoch muss man die heimische Szene auch endlich als Teil des Problems erkennen.

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In Braunau gibt es eine für Kleinstadt-Verhältnisse wahrscheinlich nicht gerade kleine Gruppe an Rechten und teilweise auch verurteilten Neonazis. Erst kürzlich wurde der 23-jährige Thomas O. schuldig gesprochen, weil er auf der Polizeiinspektion Braunau den Hitlergruß gezeigt haben soll, nachdem die Beamten ihn mitgenommen hatten, weil er zwei Personen verletzt hatte. Außerdem droht ihm ein Prozess wegen Verleumdung, da er darauf beharrt, die Polizei hätte den Hitlergruß frei erfunden. Thomas O. ist generell kein unbeschriebenes Blatt: Sieht man sich seine Facebook-Page an, teilt er fast ausschließlich Rechtsrock, seinen Handrücken zierte bis vor kurzem eine SS-Rune, weil er das "früher klasse fand", wie er laut den Oberösterreichischen Nachrichten bei seiner Gerichtsverhandlung erklärt haben soll.

Außerdem soll O. beim Dritten Weg aktiv gewesen sein, einer rechtsextremen Partei aus Deutschland, die im Wesentlichen eine Fortsetzung des Freien Netzes Süd unter dem Deckmantel des Parteienprivilegs darstellt. Laut einem Kenner der rechten Szene im Innviertel, der anonym bleiben möchte, ist gegen den Dritten Weg "die Pegida links". Das Freie Netz Süd war der größte neonazistische Dachverband in Bayern und wurde 2014 verboten.

Heute will O. laut eigener Aussage schon seit Jahren nichts mehr mit rechtem Gedankengut zu tun haben. Bei einer Hausdurchsuchung Ende 2015 wurden in seiner Wohnung jedoch Fotos mit NS-Bezug an den Wänden gefunden; und im Mai 2015 war er in einen Vorfall verwickelt, bei dem er und ein anderer Rechter namens Patrick S. den Hitlergruß gezeigt und "Sieg Heil" gerufen haben sollen. Ein weiteres Mitglied der Rechten in Braunau, Michael B., soll in der Nacht, in der er seine Entlassung aus der Haft wegen Wiederbetätigung feierte, in einen Angriff auf einen Kebapstand verwickelt gewesen sein. B. ist ehemaliges Mitglied des Objekt 21.

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Sieht man sich die Facebook-Profile der teils amtsbekannten Rechten in Braunau an, wird einem schnell klar, dass sie keinen Hehl aus ihrer Gesinnung machen. Sie teilen einschlägige Musik, Selfies, auf denen sie einschlägige Kleidung tragen—sowohl Identitären- als auch Landser-Shirts—, Fotos ihrer einschlägigen Tattoos, liken auf Facebook neben Strache, Norbert Hofer und Felix Baumgartner auch Pages wie die von Makss Damage oder "Wehrmacht/Waffen SS/Luftwaffe". Den Artikel über einen Neonazi, der in Berlin auf ausländische Kinder uriniert hat, kommentiert einer von ihnen mit lachenden Smileys.

Titelbild eines Braunauer Rechten.

Diesen Beitrag der Page "Wehrmacht/Waffen SS/Luftwaffe" liket ein Rechter aus Braunau.

Ob sich die rechte Szene in Braunau derzeit vergrößert oder neu organisiert, ist nicht klar. Bis zu den in Braunau ansässigen Stellen wäre eine derartige Entwicklung jedenfalls noch nicht durchgedrungen, wir wir auf Nachfrage von Braunauer Streetworkern erfahren: "Zu den Entwicklungen in Braunau können wir sagen, dass uns bei der Arbeit mit unseren Zielgruppen kein derartiges Erstarken der rechten Szene aufgefallen wäre, wobei es immer auch eine Definitionssache ist, was jemand mit rechter Szene meint", heißt es gegenüber VICE. "Dass das soziale Klima rauer wird und die Zuwanderungsthematik auch sogenanntes 'rechtes' Gedankengut aufflackern lässt, ist evident, aber nicht nur auf Braunau beschränkt." Fest steht jedoch, dass es in der Braunauer Szene einen gefestigten, inneren Kern gibt.

Früher wurde die rechte Szene in Braunau durch verschiedene, große Netzwerke zusammengehalten. Wichtig waren in Braunau zum einen vor allem das Objekt 21, das nach seinem Verbot 2011 noch bis 2013 im Untergrund weiter existierte; und außerdem die Nationale Volkspartei, die bis 2012 aktiv war. Seitdem suchen die Rechten wohl vergeblich nach jemandem, dem sie sich anschließen können.

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Ein Anknüpfungspunkt wäre hierbei die oberösterreichische Fraktion der selbsternannten Identitären, denen beispielsweise Erwin S., früheres Mitglied des "schwer mafiösen" Objekt 21 und begeisterter Kampfsportler, beigetreten ist. Sein Bruder wurde bei den Prozessen rund um das Objekt als eine der Führungspersonen rechtskräftig zu vier Jahren Haft verurteilt. Nun posiert S. auf Facebook mit passendem Identitären-Shirt und liket zahlreiche Beiträge verschiedener Ortsgruppen.

Ebenfalls einschlägig bekannt ist Robert F. Er war maßgeblich an der Nationalen Volkspartei beteiligt, was ihm 20 Monate bedingte Haft wegen Wiederbetätigung einbrachte. Ihm und dem Zweitangeklagten wurde vorgeworfen, das Parteiprogramm würde Parallelen zum Programm der NSDAP aufweisen. Heute ist Robert F. Autor bei der Plattform fisch+fleisch, wo er unter anderem erklärt, wie er zum Rechten wurde: "Aus einem Weltverbesserer war ein Rechtsextremist geworden. Ich suchte nach Antworten, fand sie aber nicht. Das hinderte mich keineswegs daran, immer aktiver und umtriebiger in der 'rechten Szene' zu werden."

Heute distanziert sich F. klar von der rechtsextremen Szene. Das hindert ihn dennoch nicht daran, auf seiner Facebook-Seite öffentlich fremdenfeindliche Inhalte und Botschaften zu teilen. Auch wenn man sich die Facebook-Gruppe "Politkollegium" ansieht, findet man dort viele Einträge von ihm. "Politkollegium" ist die Gruppe zu Roland Düringers Partei, von der niemand eigentlich so genau weiß, was sie ist und will. Auch wird in der Gruppe darüber diskutiert, ob man jemanden wie F. überhaupt dabei haben wolle. Als Begründung für diese Frage wurde unter anderem ein älteres Bild von F. mit Udo Pastörs von der NPD gepostet. "Düringers Partei ist ein klassischer Fall für den F.", meint der Kenner der Szene gegenüber VICE. "Der sucht nur nach einem neuen Anknüpfungspunkt, bisher sind so gut wie alle seine Projekte gescheitert."

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Thomas O., Michael B., Erwin S. und Robert F. sind nur wenige, besonders plakative Musterbeispiele aus einer langen Liste, die VICE vorliegt. Es wird wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis sie sich wieder organisieren und durch die Verbindungen ins angrenzende Bayern dort einen Verband mit zahlreichen deutschen Kameraden finden werden. Bis es soweit ist, schließen sie sich teilweise den sogenannten Identitären an oder finden Anschluss bei der "Road Crew", einer "neuen Form rechtsextremer Männerbündelei", wie der stellvertretende Vorsitzende der Welser Initiative gegen Faschismus Thomas Rammerstorfer auf seinem Blog festhält. Einige der Braunauer Rechten posieren in "Road Crew"-Shirts auf Facebook.

Die Braunauer Szene wird in der Debatte um das Geburtshaus von Hitler größtenteils totgeschwiegen—nur wenige lokale und überregionale Medien berichten überhaupt darüber. Vielleicht hat man sich mittlerweile auch damit abgefunden, dass es Rechte in Braunau gibt, die ihre Gesinnung recht offen ausleben. Dabei wäre es auch im Sinne der Geschichtsaufarbeitung, sich die Szene im Bezirk anzusehen und nicht nur die Hitlertouristen, die ein schlechtes Bild auf die Stadt werfen, zu thematisieren.

Denn die Geschichte von Braunau und dem Haus in der Salzburger Vorstadt bietet immer noch einen Nährboden für Rechte—sowohl für heimische als auch zugereiste, wobei aktuell zweitere das noch größere Problem zu sein scheinen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Braunauer Szene nicht bald zu einem noch größeren wird. Vielleicht ist es auch deswegen gut, wenn das Hitlerhaus durch einen Abriss oder eine Umgestaltung und eine gut durchdachte Nutzung kein Magnet mehr für Hitler-Fans ist. Dann kann man sich zumindest besser auf die heimische Szene konzentrieren—oder hat zumindest weniger Ausreden, es nicht zu tun.

Verena auf Twitter: @verenabgnr


Titelfoto: Eric Paradis| Flickr | CC BY 2.0