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Hör auf, deinem Vater die Schuld zu geben, wenn du auf Arschlöcher stehst

Erwachsen ist man dann, wenn man lernt, Verantwortung für sein beschissenes Beziehungsverhalten zu übernehmen.

Die Thematik des Vaterkomplexes begleitet mich nun schon seit Ewigkeiten und ich kann es nicht mehr hören, wenn Leute—in meinem Fall weibliche Freundinnen—behaupten, sie wären davon betroffen. Versteht mich nicht falsch, ich bin auch bis vor kurzem in alter und polemischer Stammtisch-Manier dagesessen und habe meine Fehlentscheidungen mit meinem Vaterkomplex begründet. Aber vor circa einem Monat war ich bei einer Freundin. Wir unterhielten uns—ausnahmsweise—über Männer.

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Ihr neues Objekt der Begierde ist laut ihr ein Arschloch. Sie wusste es eh schon von Anfang an, aber ihr Vaterkomplex sei Schuld, dass sie immer wieder an Arschlöcher gerät. Nun, wo soll ich anfangen. Ich kenne diese Freundin echt gut und auch echt lange—auch ihren Vater. Ihr Vater ist ein total netter Mensch mit mindestens durchschnittlichen Vaterqualitäten. Wahrscheinlich sogar überdurchschnittlichen Qualitäten, aber das Urteil steht mir nicht zu. Ihr steht das Urteil schon zu. Deshalb habe ich nachgefragt, wie sie zu dem Vaterkomplex kommt: „Ach. Mein Papa war ja unter der Woche kaum da. Und am Wochenende hat er versucht, seine Abwesenheit mit besonders viel Liebe wieder gutzumachen. Klar, dass mich das beeinflusst."

Als angehende Soziologin bin ich definitiv der Meinung, dass viele Dinge, die uns in der Kindheit, der Jugend und auch im Erwachsenenleben widerfahren, uns auch später beeinflussen. Und ja, natürlich hat das gesamte Verhalten ihres Vaters sie bis heute beeinflusst. Aber die Tatsache, dass er Vollzeit arbeiten war und am Wochenende versucht hat, die Zeit wiedergutzumachen, werte ich mal vorsichtig als gut.

Ich habe die Thematik des Vaterkomplexes—vor allem, weil sie überzeugt ist, einen zu haben—schnell unter dem Tisch fallen gelassen und mein Gespräch über ihr Gspusi fortgeführt. Aber es hat mich zum nachdenken gebracht: Was, wenn mein Vater eigentlich eh ganz OK ist? Und ich für meine Entscheidungen und mein Verhalten selbst verantwortlich bin?

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Dieses Treffen ist nun über einen Monat her und seit diesem Gespräch passierten viele andere Freundinnen-Gespräche. Und es fing an, mir unangenehm aufzufallen. Der oft erwähnte Vaterkomplex war wie ein Schiefer im ganzen Gespräch. Mein Freundeskreis ist breit gestreut, meine jüngste Freundin 17 und meine älteste 37 Jahre alt. Sie alle gehören verschiedenen sozialen Schichten an. Und vor allem haben sie alle verschiedene Väter. Die Skala geht von „Ich kenne meinen Vater nicht" bis zu „Mein Vater hat seinen Job für mich aufgegeben". Eins haben sie gemeinsam: Sie sind nicht selbst für ihr Liebesunglück verantwortlich. Nur für ihr Liebesglück.

Ich habe mir den Spaß erlaubt, mitzuschreiben, wie ein Vaterkomplex in meinem Freundeskreis definiert ist. Ein Vaterkomplex äußerst sich demnach in: Klammern, Freiheitsdrang, einem Faible für Arschlöcher (also Männer, die einfach nicht so interessiert sind), für ältere aber auch jüngere Männer, so wie auch für Männer, die einem untergestellt oder auch übergestellt sind. Jedes Mal, wenn ich nachgefragt habe, wie der Papa jetzt mit dem neuen Arschloch zusammenhängt, habe ich zwei Antworten bekommen.

Aber ich habe immer mehr das Gefühl, dass ein Vaterkomplex nicht das Ergebnis einer Selbstreflexion ist, sondern einer Rechtfertigung.

Entweder man sucht nach einem Mann, der dem Vater gleicht, oder man sucht nach dem genauen Gegenteil. Klar hat jeder seine eigene Vorstellung davon, was ein „Vaterkomplex" ist—und ich als Außenstehende und Nicht-Tochter habe selbstverständlich keine Ahnung, ob bei anderen Frauen das Fehlen des Vaters bei der Schulaufführung tatsächlich daran Schuld ist, dass sie heute jeden platten Booty-Call von einem bereits entlarvten Arschloch annehmen. Aber ich habe immer mehr das Gefühl, dass ein Vaterkomplex nicht das Ergebnis einer Selbstreflexion ist, sondern einer Rechtfertigung.

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Es ist ja auch viel einfacher zu sagen und zu denken, dass man für sein eigenes Unglück und Verhalten nicht verantwortlich ist. Da kann der Papa schon herhalten. Aber: Eltern sind auch nur Menschen. Und das meine ich nicht nur als Ausrede für die alkoholgebeutelten oder gewaltbereiten Eltern da draußen. Ich meine die graue Durchschnittsmasse—die normale, ab und zu schreiende, ab und zu strenge und ab und zu launische Menge an Durchschnittseltern.

Vielleicht sollten wir kurz weg von der Hausfrauen-Psychologie zu der ernsthaften Frage: Was ist ein Vaterkomplex? Nun, bis heute sind sich Psychologen uneinig, ob es ihn überhaupt gibt. Der Begriff selbst wird in der Psychologie kaum verwendet. Wenn, dann spricht man eher von einem Elektra- und Ödipuskomplex. Von einem Elektrakomplex ist dann die Rede, wenn sich die Frau deutlich ältere Partner sucht, ihren Vater unheimlich liebt und gleichzeitig Konkurrenz-Gefühle zu der Mutter entwickelt. Und wem haben wir die Begriffe Ödipus- und Elektrokomplex zu verdanken? Unseren Lieblingskokser und Fan der fehlenden Penisse—Freud himself. Und Jung, seinem Schüler. Wie gesagt: Die Begriffe sind umstritten und ich bezweifle, dass eine von uns jemals diese lasche Diagnose bekommen würde.

Meine Beziehung zu meinem Vater war in der Jugend schwierig—Na no na. Er hat sicherlich ein paar Erziehungsfehler begangen, ich war auf der anderen Seite sicherlich kein leicht zufrieden zu stellendes Kind. Die Vater-Rolle wurde ihm nicht auf dem Leib geschrieben, aber er hat seine überraschende, neue Rolle eigentlich gut erfüllt. Ich bin in einer liebenden und sicheren Umgebung aufgewachsen, zumindest im Nachhinein betrachtet.

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Er ist sicher nicht Schuld daran, dass ich auf Typen stehe, die nicht auf mich stehen. Daran sind mein Ego und mein äußerst primitiver Jagdinstinkt schuld. Er ist auch nicht Schuld daran, dass ich glaube, einen Typen ändern zu können. Genauso wenig kann er etwas dafür, dass ich einen älteren Mann ansprechender finde als einen jüngeren. Dafür kann meine eigene Logik etwas, die mir sagt, dass ältere Männer klüger und emotional reifer sind. Es wäre nicht fair von mir, trotz seiner kleinen und großen Fehler, von einem Komplex zu sprechen. Und ihn als Rechtfertigung herzunehmen, wenn ich mich bewusst und entgegen jeder Logik, wieder einmal ins Verderben stürze.

Habe ich einen Mutterkomplex? Nein, ich greife nur auf erlernte und abgeschaute Strategien zurück. Ist das schlecht? Vermutlich, da meine Eltern geschieden sind.

Außerdem, und auch das finde ich ist ein wichtiger Punkt, hat er bestimmt nicht mehr Fehler begangen als meine Mutter. Wie ich mit einem Mann umgehe, wie meine Konfliktlösungsstrategien sind und auch wie ich mich im Streit äußere—da sehe ich viel von meiner Mama in mir selbst. Habe ich einen Mutterkomplex? Nein, ich greife nur auf erlernte und abgeschaute Strategien zurück. Ist das schlecht? Vermutlich, da meine Eltern geschieden sind. Kann ich aktiv und selbstbestimmt etwas daran ändern oder bin ich jetzt für immer ein Knecht meiner Kindheit? Richtig, ich kann an mir selbst arbeiten.

Außerdem habe ich Männer noch nie von einem Vater- oder Mutter-Komplex reden gehört. Vielleicht auch nur, weil sie es mir nicht sagen. Vielleicht aber auch, weil sie—sollte es mal scheiße laufen—im besten Fall Verantwortung übernehmen und im schlechtesten Fall die Schuld der Frau zuschieben. Tiefenpsychologie und Kindheitsaufwärmen gehören irgendwie eher selten zu ihrem Repertoire. In meiner Umgebung scheinen nur Frauen ein nachhaltiges Problem mit dem Verhalten ihrer Eltern zu haben.

Viele Frauen reflektieren gerne und suchen stets nach den Hintergründen. Das macht uns ja auch so fucking weise. Aber es gibt nur denjenigen von uns einen Vorteil, die auch etwas daraus machen. Und es nicht nur als Rechtfertigung hernehmen, weil sie mit 30 noch immer den lieben Typen für Mr. Beziehungsunfähig verlassen. Ich weiß schon—Persönlichkeitsveränderungen kommen nicht von heute auf morgen.

Sie brauchen viel Zeit, viel Kontrolle und auch sehr viel ständige Selbstreflexion. Wenn das nächste Mal der beschissene Typ eine Sozialisierungs-Einsicht mit sich bringt—mach etwas draus. Und diskreditiere nicht Menschen, die eine wirklich nicht so gute Vater-Beziehung haben. Oder deinen armen Papa.

Fredi hat früher oft behauptet, einen Vaterkomplex zu haben: @Schla_Wienerin.