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Hört auf mit eurer Terrorangst

Man sollte nicht vergessen, dass es die Terroristen sind, die den permanenten Ausnahmezustand, oder zumindest Angstzustand wollen.

Foto: State Farm | Flickr | CC BY 2.0

Montagabend in der U3—ein Mann tippt das Wort „scharf" in sein Handy und löst damit einen Polizeieinsatz mit großräumiger Absperrung aus. Ein anderer Passant hatte den Mann beobachtet, wie er den „verdächtigen" Begriff offenbar per SMS verschickte, ortete Terroralarm und verständigte die Exekutive. Die Gratis-Zeitung Heute hat über den Vorfall berichtet.

Dass jemand beim bloßen Begriff „scharf" derzeit gleich an Bomben und nicht an Naheliegenderes wie Essen oder ein Synonym für „geil" denkt, zeigt schon, wie paranoid derzeit die Stimmung ist. Und auch wenn sich der Fall schnell als falscher Alarm herausstellte und im Nachhinein vielleicht für einen Schmunzler gut ist, sollte uns die damit verbundene Paranoia doch zumindest ein bisschen zu denken geben.

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Derzeit wirkt es so, als würde die Terrorgefahr in Europa immer und überall lauern—vergangenen Dienstag gab es Bombenalarm am Dr.-Karl-Lueger-Ring, einen Tag später schockte ein Kind am Münchner Bahnhof mit einer Spielzeugbombe, am Wochenende brachte ein besoffener Pole mit einer Drohung ein Flugzeug in Bulgarien zur Notlandung, am Sonntag sorgte eine Bombendrohung dafür, dass der Prager Hauptbahnhof einige Stunden stillstand.

Natürlich ist klar, in welchem Kontext das alles passiert—nach den Anschlägen in Paris herrscht in ganz Frankreich der Ausnahmezustand, der am Wochenende auch endgültig Brüssel erfasst hat. Dass diese Schritte in Verbindung der vollständigen Aufklärung der Attentäter gemacht werden, ist natürlich sinnvoll. Dass auch europaweit die Behörden vieler Länder mit erhöhter Aufmerksamkeit agieren, ergibt ebenfalls Sinn.

Wir sollten aber nicht zulassen, dass die Nervosität auch auf uns übergreift. Schon gar nicht dort, wo die Gefahr unbegründet ist. Denn das ist ja das Ziel der Terroristen des IS: dass wir nicht zur Normalität zurückkehren und sich die Angst wie ein Virus in unserem Alltag festsetzt. Sie wollen den permanenten Ausnahmezustand, oder zumindest den permanenten Angstzustand.

Daher ist es schon befremdlich, wenn der FPÖ-Europaabgeordnete Vilimsky in seinem Blog zu Charlie Hebdo und den jüngsten Anschlägen anprangert: „Als der Hype vorbei war wandte man sich wieder anderen Dingen zu. So wird es verlässlich auch diesmal sein." Sollten wir uns nicht wünschen, dass es möglichst bald wieder so wird, wie zuvor? Wie nervös die Stimmung derzeit unter EU-Abgeordneten in Brüssel ist, hat der grüne Abgeordnete Michel Reimon am Dienstag in einem Posting beschrieben. Und die Meldung, dass die USA eine Reisewarnung für die gesamte Welt ausgegeben haben, stammt nicht von der Tagespresse.

Einige Medien tun ihr Übriges, um die Wahrnehmung der akuten Terrorgefahr —jederzeit und überall—aufrecht zu halten. Am Wochenende berichtete zum Beispiel die Österreich über einen „Terroreinsatz mitten in Wien", der sich als „normaler" Polizeieinsatz entpuppte, von terroristischer Gefahr laut Polizei keine Rede. Und im eingangs erwähnten Heute-Bericht über den „scharf"-Vorfall stellt man die interaktive Frage plus Voting „Wie würden Sie reagieren?" Dass es einem einfach egal sein kann, steht dort nicht zur Auswahl.