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Ich bin zu schwul fürs Plasmaspenden

Mein Plasma zu spenden erschien mir als eine gute Möglichkeit, die Welt und mein Konto zu verbessern. Leider ist mein Plasma nicht hetero.
Collage von VICE Media

Das Leben als Student ist hart. Es ist abgefuckt, traurig, paradox, quietschfidel und vor allem ist es Nudeln mit Ketchup. Grundsätzlich hat man immer zu wenig Zigaretten und Geld, also muss man sich notgedrungen irgendwie durchhangeln—manche gehen ganz klassisch kellnern, andere verteilen Flyer für die Rettung der Erde und wieder andere sind Hostessen (aber keine Huren). Und wer sich was dazuverdienen möchte, indem er eigentlich nichts anderes tut, als daliegen, geht sein Plasma spenden.

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Plasma wird zur Herstellung vieler wichtiger Medikamente herangezogen, was einen als Spender automatisch auch ein bisschen zum Lebensretter macht. Die Spende dauert rund 40 Minuten, als Entschädigung für die aufgewendete Zeit bekommt man einen Zwanziger vom Plasmazentrum. Klingt nicht nur nach einfachem Geld, sondern auch auch noch ziemlich ehrenhaft. Viel mehr Anstoß brauchte ich gar nicht, um mich von der Spende zu überzeugen, obwohl ich nicht die leiseste Ahnung vom ganzen Prozess hatte.

Zuerst mal war Plasma in meiner Vorstellung eigentlich ein glibberig leuchtendes Gelee mit violetten Farb-Reflexen, das Anemonen-ähnlich durch meinen Körper wobbelt—ungefähr so wie in diesen kugelförmigen Plasmalampen (daher auch meine Assoziation), die einem bei jeder Berührung zum Herrscher über Blitz und Donner machten. Ich vermisse diese Lampen. Die haben gefetzt.

So schaut Plasma leider doch nicht aus. Foto: Wikimedia | CC BY SA 3.0

Ich marschierte also höchstmotiviert ins Wiener Plasmazentrum, mit der Absicht, die Welt und mein Konto zu verbessern. „Guten Morgen—ein wunderschöner Tag, um Leben zu retten!" Wie sich herausstellen sollte, ist Plasma ganz einfach der flüssige Teil unseres Blutes und schaut aus wie Pisse. Und ich meine besorgniserregend dunkel gefärbte Pisse. So, wie wenn man krank ist und pisst. Bei der Spende wird das gefilterte Plasma in einem Beutel gesammelt, während die Blutzellen wieder zurück in den eigenen Körper wandern. So weit wurde mir das von der blonden personifizierten Freundlichkeit erklärt und gezeigt. Ich fühlte mich direkt aufgenommen und sah das Leuchten in ihren Augen, als sie noch mal die 20 Euro Aufwandsentschädigung erwähnte, als würde sie mir damit den größten Gefallen meines Lebens tun.

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Weil ich das erste Mal dort war, musste ich erst noch ein paar Formulare ausfüllen und mich einer ärztlichen Voruntersuchung unterziehen, nur um sicher zu gehen, dass ich auch wirklich pumperlgesund bin. Spätestens beim Lesen des Infoblatts war ich dann aber ein bisschen baff, als mir klar wurde, dass das mit dem Leben retten und dem Zwanziger wohl nichts wird. Ich hatte zwar schon mal gehört, dass schwule Männer pauschal vom Blutspenden ausgeschlossen werden, dass das aber 2015 noch immer der Fall und keine urbane Legende ist—und dass es genauso die Plasmaspende betrifft—, schien mir einfach zu absurd.

Zuerst musste ich unterschreiben, dass ich mir über die Bedeutung von gesundheitsbewusstem Leben und Risikoverhalten bewusst bin. Bin ich meiner Meinung nach total, ich bin mir so hart darüber bewusst! Ich war mir allerdings nicht darüber bewusst, dass schwuler Sex offenbar prinzipiell als „nicht gesundheitsbewusst" definiert wird. Vielleicht reagiere ich auch über, aber das ist das erste Mal, dass ich als homosexueller Mann mit sowas wie Diskriminierung in Berührung gerate—allein deshalb sollte ich mich wahrscheinlich irgendwie glücklich schätzen.

Das Infoblatt listet einige Risikogruppen auf, die als besonders infektionsgefährdet für HIV und Hepatitis gelten. Dazu zählen unter anderem Personen, die Prostitution ausüben, schon einmal Drogen gespritzt haben oder eben blutkrank beziehungsweise HIV-positiv sind. Auch, wenn man in den letzten 12 Monaten einsitzen musste, darf man nicht spenden.

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Es geht aber noch weiter: „Ausgeschlossen von der Spende sind Personen, die als Mann mit einem anderen Mann Geschlechtsverkehr haben oder hatten". Nicht homosexuelle Männer werden ausgeschlossen, sondern nur Männer, die auch wirklich Sex mit Männern haben—kurz MSM. Das heißt, auch wenn man sich als heterosexueller Mann definiert und vielleicht vor 20 Jahren mal mit seinem Kumpel rumexperimentiert hat, wäre man rein theoretisch immer noch auf Lebenszeit von der Spende ausgeschlossen.

Hast du einmal schwulen Sex, gibt es kein Zurück mehr in eine Welt, in der du mit deinem Plasma Leben retten kannst.

Für mich war der Zug also schon abgefahren. Trotzdem machte ich weiter mit dem Durchlesen und Ausfüllen—einfach, um bei der anschließenden ärztlichen Untersuchung ein paar Antworten zu bekommen.

Als nächstes las ich: „Ausgeschlossen sind Personen, die häufig ihre Sexualpartner wechseln." Ja, das macht sogar Sinn. Blöd nur, dass dieser Satz eben nur im Infoblatt steht. Im anschließenden Fragebogen werden häufig wechselnde Sexualpartner wieder völlig ignoriert. Anders übrigens als die Frage mit der Homosexualität—die kommt nämlich sehr wohl vor.

Ein Beutel Plasma. Foto: Steven Cateris | Flickr | CC BY 2.0

Die Frage: „Hatten sie jemals gleichgeschlechtlichen Geschlechtsverkehr?" wird nicht mal explizit an Männer gestellt, obwohl sie eben ausschließlich auf Männer—und nur auf Männer—abzielt. Lesben würden das de facto umsonst beantworten. Andere geschlechtsspezifische Fragen, wie zum Beispiel bezüglich des Wehrdiensts oder der Antibabypille, richten sich im Gegensatz dazu in der Formulierung deutlich an Frauen oder Männer („Bei Frauen:", „Bei Männern:").

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Später werde ich zur Ärztin gerufen. Eigentlich soll dort Blut abgenommen und ein Rundumcheck gemacht werden—mir ist ziemlich schnell klar, dass es soweit gar nicht erst kommen wird, da auf meinem Fragebogen neben der Homo-Sex-Frage fett „ja" angekreuzt ist. Trotzdem bin ich direkt verliebt in die Ärztin, die erst mal wissen will, ob ich irgendwelche Fragen hätte. Die habe ich.

Während wir uns unterhalten, merke ich schnell, dass wir ziemlich auf der selben Wellenlänge sind, was das Thema angeht. Es geht um Vorgaben, Gesetzestexte und Statistiken, nach denen die HIV-Rate unter schwulen Männern schlichtweg höher ist als unter Heterosexuellen, und sie somit vorsorglich von der Spende ausgeschlossen werden, um die Gesundheit der Plasma-Empfänger zu sichern. Sie mache die Gesetze nicht, müsse sich aber daran halten.

Foto: Mark Crossfield | Flickr | CC BY SA 2.0

Es sind also Statistiken, aus denen sich die Vorschriften ergeben. Laut Statistik Austria gab es 2012 insgesamt 19 AIDS-Sterbefälle. Sieben davon waren heterosexueller Übertragung zu verschulden, nur zwei homo- oder bisexueller. Die AIDS-Sterberate durch heterosexuelle Übertragung war bereits 1999 zum ersten Mal höher als die durch homo- und bisexuelle. Innerhalb der Bevölkerungsgruppe der schwulen Männer ist HIV zwar weiter verbreitet als unter Heterosexuellen; auf dem neuesten Stand sind diese Vorschriften aber trotzdem nicht.

Die Ärztin und ich bonden. Wir reden über schwule Männer, die seit Jahren in Beziehungen leben oder eben nur genau eine homosexuelle Erfahrung in ihrem Leben hatten. Darüber, dass die Thematik nach der Promiskuität, unabhängig von der sexuellen Orientierung, in den Fragebogen aufgenommen werden müsste und die Frage nach dem gleichgeschlechtlichen Sex nicht mehr zeitgemäß ist. Dass es immer wieder zur Sprache kommt und eine Aktualisierung zwar notwendig, aber nicht in Aussicht ist. (Nachtrag: Erst kürzlich wurde ein Entschließungsantrag für diskriminierungsfreie Blutspende vom Parlament abgelehnt.)

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Noisey kennt kubanische Punks, die sich absichtlich mit HIV infizierten.

„Die Liebsten muss ich immer wieder wegschicken", sagt die Ärztin zu mir. Ich habe viele Fragen. Zum Beispiel, warum man, um spenden zu können, versichern muss, zwischen 1980 und 1996 nicht nicht länger als sechs Monate im Vereinigten Königreich verbracht zu haben—Creutzfeldt-Jakob, eine tödliche, vermutlich durch den Verzehr von BSE-verseuchtem Rindfleisch hervorgerufene Gehirnkrankheit, galt in besagtem Zeitraum dort als besonders verbreitet.

Eine andere Frage, die sich aufdrängt: Was ist mit Transgender-Frauen und -Männern? Den Vorgaben entsprechend dürfen sie natürlich spenden, solange sie als Mann keinen Sex mit Männern hatten. So sind die Vorschriften. Rein hypothetisch. Wenn eine Person als Mann Sex mit einer Frau hatte, sich danach einer vollwertigen Geschlechtsumwandlung unterzieht und dann als Frau Sex mit einem Mann hat—was de facto ja wieder heterosexueller Verkehr ist—, stellt das also kein Problem dar. Riskant sei aufgrund der Schleimhautrisse hauptsächlich der Analverkehr—dass das aber halt nichts exklusiv Schwules ist, muss ich hoffentlich niemandem erklären.

Dann fällt mir noch etwas ein: Was, wenn ich einfach lüge und behaupte, ich hatte noch nie gleichgeschlechtlichen Sex? Wenn ich sagen würde, dass ich hetero wäre? Da mein schwules Blut im Zuge der Untersuchung sowieso noch mal eigens getestet wird, würde man im Falle einer HIV- oder Hepatitis-Infizierung diese auch ohne mein Ja neben der Homo-Frage identifizieren. Würde man trotzdem, wissentlich infiziert, irgendwie zur Spende kommen, wäre das ein vorsätzliches Verletzungs- oder Tötungsdelikt.

Meine Daten (inklusive Foto, auf dem ich aussehe, als würde mir irgendwas klemmen) sind jetzt jedenfalls im Plasmazentrum-Archiv gespeichert. Würde ich irgendwann mein Glück in einem der anderen Standorte versuchen wollen, würde man dort sofort einsehen können, dass ich bereits von der Spende ausgeschlossen wurde. Den Grund dafür würde man jedoch nicht sehen können, also würde man mich wohl damit konfrontieren, so die Ärztin. Dieses Szenario wird natürlich nicht eintreten, die Vorstellung alleine ist allerdings unbehaglich genug.

Ich wollte einen Zwanziger, ich wollte Leben retten. Alles, was ich bekommen habe, ist ein gestohlener Kuli und ein komisches Gefühl der Ausgrenzung. Die Gesundheit der Empfänger steht an allererster Stelle, und wenn eine Ausschließung von bestimmten Gruppen das Risiko einer Infektion möglichst gering halten kann, ist das natürlich sinnvoll—aber das hier sind nicht mehr die 80er.

Newsflash: Heterosexualität schützt weder vor HIV noch vor Hepatitis. Analsex ist nichts, das sich auf Schwule begrenzt. Die Ausschlusskriterien für eine Plasma- oder Blutspende sollten nicht mehr nach sexueller Orientierung erfolgen, sondern nach Häufigkeit der abwechselnden Sexualpartner, nach Promiskuität, nach unvorsichtigem Verhalten. Nichts anderes wird schwulen Männern mit dieser Ausschließung nämlich angemessen.

Franz macht geschützten MSM und twittert hier: @FranzLicht