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Ich habe ein Glücksfestival besucht, damit ihr es nicht müsst

Für ein paar hundert Euro kann euch in Österreich das Glück beigebracht werden. Inklusive sind: ein Baumguru, ein "großer deutscher Philosoph", ein Humanenergetiker und eine Geomantin.

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Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, das Glück ausgerechnet in Tirol zu suchen. In meinem Ideal vom Glück kommen Palmen und Meer vor, oder wenigstens mein Bett. Und nicht Berge und kleine Dörfer.

Als die Einladung vom Touristikverband Kufstein ins Haus flatterte, war ich trotzdem schnell dabei: bei den ersten "glück.tagen", ein Festival, bei dem die Teilnehmer das Glück finden sollten. Vier Tage im Doppelzimmer, mit Workshops, Vorträgen und Exkursionen, die Teilnehmer zahlten zwischen 255 und 435 Euro, mich hatten sie eingeladen. Angekündigt waren ein "großer deutscher Philosoph", ein "achtsamer Reformer", ein Humanenergetiker, ein Baumguru und eine Geomantin—eine Art Fengshui-Beraterin. Allerdings stand in der Einladung, dass "die Thematik nicht ansatzweise in esoterische Ebenen abkippt". Vielleicht, dachte ich, würde ich danach mehr von Glück verstehen—oder wenigstens könnte ich irritierende Fragen stellen.

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So kam es aber nicht.

Glück ist, was man dafür hält

Tatsächlich waren es vor allem Einheimische, die mit mir in der Abendsonne darauf warteten, zur Eröffnung eingelassen zu werden. Hinter uns wand sich das Kaisergebirge in die Höhe, vor uns schlängelte sich der Inn durchs Tal, die sichere Grenze nach Bayern. Die tausend Plätze im Passionsspielhaus in Erl waren fast ausgebucht, von Leuten, wie ich sie mir bei einer Vernissage Sonntagmittag in Salzburg vorstelle: pastellfarbene Sommerblusen, pastellfarbene Stoffhosen, die ergrauten Haare rosa oder blau gefärbt. Sie bezahlten ihre Weißweinschorle schon mal mit einem Hunderter, ich suchte vergeblich eine Raucherecke vor dem Einlass, und alle sagten "Du" zueinander. Glücklich waren sie wohl trotzdem nicht—Hilfe suchten sie jetzt von Glücksprofis.

Wenigstens gab es Glückskekse

Gleich zu Beginn hielt Richard David Precht den Auftaktvortrag, der Philosoph, der für sein Buch Wer bin ich, und wenn ja wie viele bekannt ist—und für sein schönes Haar. Seltsamerweise erzählte er dann kaum vom Glück, überhaupt mochte Precht den Begriff ungern verwenden. Stattdessen machte er sich über Frauen lustig, die immer an ihrem Partner herummeckern. Das sorgte für viel Haha im Publikum, verschaffte mir aber mehrere Ihh-Momente. Könnte es sein, dass Precht denselben Vortrag woanders in weniger altmodischer Mario-Barth-Manier hält? In Wien zum Beispiel mit Hipster-Färbung, oder eben in Salzburg auf schnöselig? Ich war jedenfalls nicht besonders glücklich, und auch Prechts Fazit des Tages änderte nichts daran: Glück ist, was man dafür hält. Ach nein.

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Dein Glücksgefäß darf nicht leer sein

Für den nächsten Tag hatte Sabine Mair vom Touristikverband Kufstein eine Wanderung arrangiert. Sie wirkte sehr korrekt und hatte mir am Abend zuvor schon einige Einsichten in die Kufsteiner Mentalität gewährt. Zum Beispiel, dass die Leute hier sehr nach dem Äußeren und dem Ansehen gingen. Dass also innen drin was fehlt, auch wenn nach außen alles schick aussieht. Daher auch das Interesse an der Glückssuche, sagte Mair.

Als "Helmut, unseren Humanenergetiker" hatte sie unseren Wanderführer angekündigt. Wenn Helmut Payr nicht Touristen an Kraftorte führt, berät er seine Kunden zu ihrem Energiehaushalt, und damit ist nicht die Wärmedämmung im Eigenheim gemeint. Früher war Payr Drucker, heute fährt er mit seinem Kombi in die Berge.

Als Erstes verteilte er Ketten mit Plastikanhängern. Sie trugen verschiedene Symbole, für Heilung, gegen Fremdenergien, für Glück oder Kraft. Ich wollte Kraft, aber dann entschied ich mich aus dem Bauch heraus doch für Heilung. Für Helmut war das wahrscheinlich ein Ritual zum Eingrooven, um zu sehen, wie seine Kunden so ticken.

Unsere Wanderung startete am Thiersee: blaues Wasser vor blauem Himmel, eingerahmt von Buchen, Kiefern und den schroffen Felsen des Pendling. Zuerst führte uns Helmut Payr in einen Bach. Da standen wir wackelig auf Steinen im Wasser und stellten uns vor, wie alles Überflüssige vom Wasserlauf weggespült wird. Im Bachbett rumzuhüpfen, war spaßig und nichts, was ich nicht auch ohne Humanenergetiker tun würde.

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Bei den nächsten Stationen wunderte ich mich über mich selbst. Bei einer Übung schrie ich mir im Wald die Seele aus dem Leib. Bei den nächsten Übungen schloss ich auf Kommando die Augen und murmelte nach, was Helmut Payr vorsagte. Sätze wie "Ich erbitte die ganzheitliche Heilung meines Körpers nach der Schöpfernorm" und "Ich bin rein wie ein Diamantkristall". Wahrscheinlich war mein massiver Kater daran schuld, dass ich mich so devot in die Submission begab (am Abend davor hatte ich mit der Glücksfestival-Band, einem ukrainischen Streicherquartett, die Kufsteiner Ginbar neben unserem Hotel ausprobiert). Nicht mal Helmut Payrs "Darf ich dich berühren?" vor den Übungen war mir unangenehm, so sanft fragte er.

Was uns Helmut Payr uns am Ende mit auf den Weg gegeben hat: Achte darauf, dass dein Glücksgefäß nie leer ist. Nur konnte ich den Zahlen und Berechnungen der Humangenetik, äh, -energetik beim besten Willen nicht mehr folgen. Bei 70 zu 30 im Glücksgefäß sollte man was tun. Oder bei 60 zu 40 oder so.

Glück ist viral

Der nächste Dozent war Veit Lindau. Ich hatte bis kurz vor seinem Vortrag keine Ahnung, wer das ist. Im Programm stand: Bestsellerautor, Coach, Speaker, achtsamer Reformer, Business Punk und moderner Mystiker. Ich blätterte am Stand vor dem Vortragsraum in seinen Büchern herum. In einem hatte er das gesamte erste Kapitel mit Sätzen vollgeschrieben wie "Du bist schön.", "Du wirst geliebt.", "Deine Anwesenheit wird geschätzt, und deine Mitmenschen erkennen dich an, so wie du bist".

Sein Vortrag tat dann erstmal genau das Gegenteil: Er bediente nicht die narzisstischen Gelüste seiner Zuhörer, sondern ließ sie sich mies fühlen. Lindau ist ein Bild von einem Mann, wie Brad Pitt in Fightclub, oder Rendezvous mit Joe Black. Er erzählte uns, wie "superglücklich seine Beziehung" sei und was für eine "superschöne Tochter" er habe und wie super sein Leben ganz allgemein war.

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Dann sagte er: "Wir sind alles Brüder und Schwestern. Alles, was ich habe, ist der Moment hier mit euch. Lass dich bewegen und berühren." Ich ahnte Schlimmes. "Mich turnt an, rauszukriegen, was im Leben alles möglich ist", sagte er.

Wir sollten mit unserem Sitznachbarn über Glück sprechen. Meiner hieß Harald und sah überhaupt nicht glücklich aus. Wie ein Lehrer in den 50ern nach dem dritten Burnout. Tatsächlich sei er das letzte Mal vor einem Jahr glücklich gewesen, als er allein an einem See saß. Auch die Veranstaltung sagte ihm nicht zu. Sein Urteil als Kufsteiner: 50 Prozent der Leute seien interessiert, aber ahnungslos, und die andere Hälfte bestünde aus Lebensratgeber-Lesern, sei also per se oberflächlich.

Zu meiner Überraschung war Lindaus Vortrag dann aber doch der beste, den ich während der "glück.tage" zu hören bekam. Systematisch ordnete er Glück in Hedonismus, Erleichterung, Altruismus und andere Zustände ein, was wirklich Überblick in das ganze Glücksgedusel brachte.

Glück ist ein Kraut

Das "Glück im Gehen" sollten wir am nächsten Tag kennenlernen. Astrid Süßmuth war als Geomantin (Geomantie kann eine Form des Hellsehens sein oder eine Art Feng-Shui) im Programm vorgestellt worden, aber wahrsagte während ihrer Wanderung überhaupt nichts. Stattdessen liefen wir mit vielen Frauen mittleren Alters und ein paar Herren durch Wald und Wiesen des Kaisergebirges. Dabei erklärte Süßmuth uns, welche Pflanze was kann. Salomonsiegel ist zum Beispiel eine Glückspflanze. Und hilft bei Vorhautverengung. Über weite Teile der Wanderung war aber kein Gespräch möglich, weil einer hinter dem anderen durch den Hagel stapfte. Als er aufhörte, sagte eine Teilnehmerin zu mir: "Ja, da habn's wieder gesprüht."

Was meinte sie damit? Sprach sie von Chemtrails? Gab es doch Aluhutträger in Kufstein? Die Dame sah anders aus als die Erfurter und Schwabinger Frauen, die mit unglücklich blickenden Ehemännern und Teenagern angereist waren. Ihre Haare waren nicht sportlich kurz und frisch frisiert, sondern hingen lang und grau über ihre Schultern. Ihre Jacke trug auch nicht das Label von Jack Wolfskin, so wie die der anderen. "Ja früher haben's einfach die Kirchturmglocken geläutet, um die Wolken zu vertreiben. Heute gehen halt die Flieger in die Luft." Mehr wollte sie leider nicht über die Kräfte erzählen, die hier Wettermanipulation oder Gedankenkontrolle betreiben. Außerdem setzten meine Schuhe gefühlt schon Schimmel an vor Feuchtigkeit. Not happy.

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Glück ist Holz

Erwin Thoma ist ein Baum. Er spricht über Holz, verkauft Holz und Häuser aus Holz und sieht aus wie eine hohe, knorrige Buche. Seine Bücher über Holz schreibt er auf Papier, also auch auf Holz, das, wie er sagt, "Materie gewordene Luft" ist.

Thoma hielt den Abschlussvortrag des Glücksfestivals und war meine letzte Chance, doch noch das Glück zu finden. Auch hier das Publikum im Sonntagsstaat, aber mit weitaus mehr grauhaarigen Köpfen in den Reihen. Poetisch war Thomas Begrüßung: "Inniger könnten wir nicht umfasst sein als von diesem lieben Raum." Poetisch auch die Geschichten vom Opa, dem Thoma all sein Holz-Wissen verdankt. Es wunderte mich nicht, dass die Gäste wie verzaubert an seinen Lippen hingen—und nicht mitbekamen, dass ihr Shakespeare sehr wahrscheinlich vor allem daran interessiert ist, seine Holzhäuser zu verkaufen. Und das auch schafft, bis nach Kanada und Japan.

In meinen Ohren klangen Thomas Geschichten bald wie ein Theaterstück, vorgetragen in breitem Dialekt, von dem nur noch Fetzen durchdringen: "Där Opa! Ja, das Läbn! Alle todt." Die Hölzer dieser Welt … Mut zur unbehandelten Oberfläche … die tiefe Heimat in uns selbst … das gewachsene Material … Jahresringe, die Landkarten des Lebens … das rohe, das wahrhaftige Holz … "Es schwingt so tief in uns hinein, das Holz der Bäume."

Mir schwirrte der Kopf nach dieser Tirade. War ich müde? Benommen von Thomas Holz-Porn? Nach vier Tagen Glückssuche hatte ich mehr Fragen als vorher. Den anderen Teilnehmern schien das nicht so zu gehen: Sehr viele ließen sich ein Buch von Thoma signieren, schüttelten ihm die Hand, machten ein Selfie, aber Nachfragen hatten sie nicht. Ich dagegen traue seitdem meinem Gefühl nicht mehr ganz über den Weg. Was soll das überhaupt sein, Glück? Und wieso suchen es alle so verbissen? Ich denke: Jedenfalls ist es kein Kraut, kein Gefäß, und ganz sicher kein Holz.