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Ich habe einen Suizidversuch im Gefängnis überlebt

Ich verbrachte Heiligabend und den ersten Weihnachtsfeiertag damit, in einem speziellen Anti-Suizid-Kittel auf dem Boden einer Betonzelle herumzurollen.
Foto von Lia Kantrowitz

Gewisse Drogenabhängigkeiten sind, als würde man Suizid auf Raten begehen.

Meine Frau hatte mich verlassen und mein bester Freund war gestorben. Obwohl ich immer noch alles hatte, was ich zum Leben brauchte—ein Haus, ein Auto, zwei Hunde—, hatte ich kaum noch Liebe in meinem Leben oder überhaupt ein richtiges Leben. Ich hatte schon immer gekifft, um den Alltag besser zu überstehen, doch als ich eines Tages eine Folge Breaking Bad ansah, fing ich an, über Methamphetamin nachzudenken.

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Ich entschied: "Das ist es, was ich brauche, um mich selbst loszuwerden."

Ich wurde abhängig und verkaufte meine Habseligkeiten, um an Meth zu kommen. Ich hatte einen Siddharta-Plan: Ich würde alles in meinem Leben loswerden und dann entscheiden, was für mich wirklich von Wert war. Es sollte kathartisch sein. Meth stellte sich als mächtiges Abstumpfungsmittel heraus—eine Chemikalie, die in meinem Kopf für Ruhe sorgte.

Stell dir vor, wie es ist, wenn du in eine Bar gehst und Alkohol als soziales Gleitmittel verwendest. Es war so ähnlich, nur zehn Schritte weiter. Ich verwendete Drogen, um Löcher zu verputzen, die ich anders hätte schließen müssen.

In meiner Erinnerung wirkt diese Zeit wie ein Film: kurze Schnappschüsse, getrennt durch Schwarzblenden.

Als sie mich das erste Mal verhafteten, wussten sie nicht, was sie mit mir machen sollten. Ich war ein "gesetzestreuer Bürger"—Mittelschicht, ehemaliger Marine. Sie ließen mich immer wieder gehen. Der Richter sagte nicht: "Sie haben ein Meth-Problem. Wir schicken Sie auf Entzug." Es hieß einfach: "Tun Sie es nicht wieder."

Das letzte Mal, im Dezember 2011, schickte mich der Richter schließlich doch ins Gefängnis, gegen eine Kaution von 200.000 Dollar.

Während ich im Gefängnis war, ging ich auf Entzug. Ich war immer ein kräftiger Kerl gewesen—im Moment wiege ich bei einer Größe von 1,75 Metern 98 Kilo—, aber damals, nach fast zwei Jahren auf Meth, brachte ich nur noch 66 Kilo auf die Waage. Ich halluzinierte viel, wurde paranoid. Ich bat darum, alleine in einer Zelle isoliert zu leben, und schlief dann erst einmal eine Woche. Hin und wieder wachte ich auf und aß ein wenig.

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In meiner Erinnerung wirkt diese Zeit wie ein Film: kurze Schnappschüsse, getrennt durch Schwarzblenden.

Als ich aufwachte und mir meiner Lage so richtig bewusst wurde, ging ich zu einer Ärztin und sagte ihr, dass ich an Depressionen litt. Sie gab mir Celexa, ein Antidepressivum. Das Medikament machte mich apathisch; ich hatte das Gefühl, die Dinge passierten einfach, ohne dass ich Einfluss darauf nahm.

Ich telefonierte mit meinem Vater, und er erzählte mir, jemand sei bei mir zu Hause eingebrochen und habe meine Hunde entführt. Ich hatte die zwei von der Straße geholt, und am Ende war mir außer ihnen nichts mehr geblieben. Sie zu verlieren, war nicht Teil des Siddharta-Plans gewesen, aber irgendwie gehörte es doch dazu: Der Einbrecher kannte überhaupt erst durch Kontakte, die ich wegen meines Meth-Konsums geknüpft hatte, meine Adresse.

Ich legte den Hörer auf, kehrte in meine Zelle zurück und dachte: "Ich setze jetzt allem ein Ende."

Meist sagt an dieser Stelle das Über-Ich: "Halt! Stopp! Das ist keine gute Idee!" Aber mein Über-Ich funktionierte zu dem Zeitpunkt nicht besonders gut, vermutlich aufgrund der Antidepressiva und der davon ausgelösten Apathie. Ich musste aufpassen, dass die Wärter nichts mitkriegten, denn sie kamen jede Viertelstunde vorbei. Ich weiß nicht mehr, ob ich genau abwartete, bis der Wärter weiterlief, oder ob mir auch das schon egal war.

Das Erste, woran ich mich dann erinnere, ist, dass ich eine Taschenlampe durchs Fenster aufleuchten sah. Jemand öffnete die Tür und rief um Hilfe. Sie legten mich auf eine Bahre. Ich weiß noch, dass jemand, einer der Wärter, ganz aufgeregt sagte: "Das hab' ich vorher noch nie gemacht!"

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Ich verbrachte Heiligabend und den ersten Weihnachtsfeiertag damit, in einem speziellen Anti-Suizid-Kittel auf dem Boden einer Betonzelle herumzurollen. Eine Wand bestand komplett aus Spiegeln, durch die man mich observieren konnte. Alle waren respektvoll mir gegenüber. Man ließ mir so viel Würde wie möglich. Ich befand mich zum Glück nicht in der Gewalt irgendeines Hinterwäldler-Sheriffs auf einem Machttrip.

Die Menschenwürde wird in vielen Gefängnissen kaum gewahrt. MOTHERBOARD berichtet über das berüchtigte Stanford-Experiment

Sie verlegten mich in einen Gefängnisblock für Menschen mit ernsten psychischen Krankheiten. Eine Zelle mit gepolsterten Wänden; keine Toilette, nur ein Abflussgitter im Boden. Ich verbrachte ein paar Stunden dort; dann ging es wieder in eine Zelle für Häftlinge, die eine Gefahr für sich selbst darstellen. Ich hatte immer noch den Anti-Suizid-Kittel an: Er sieht fast aus wie ein gestepptes Kleid, ohne Ärmel und ohne jegliches Metall oder Knöpfe. Sie gaben mir auch eine Anti-Suizid-Decke, die groß und dick war, wie so eine Decke, die man beim Umzug zum Schutz der Möbel nimmt. Dank spezieller Stoffe und Nähte soll es unmöglich sein, eine Schlinge daraus zu formen. Außerdem bekam ich ein Bettgestell, aber keine Matratze, und eine Toilette mit Waschbecken. Das war's. Sie brachten unser Essen auf Schaumstofftabletts. Es gab kein Besteck, sondern nur eine Schaumstofftasse, deren Boden dreieckig ausgeschnitten war. Damit musste man dann sein Essen schaufeln.

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Als ich wieder in eine normale Zelle kam, fragte mich ein Vollzugsbeamter indirekt, ob er mir vertrauen könne.

Ich ging wieder in meine Einzelzelle und legte mich zum ersten Mal seit einer Woche wieder auf eine Matratze. Es war ein erbärmlicher, entmutigender Moment. Ich verbrachte weitere drei Wochen damit, die Tage zu zählen, bis ich einem Richter gegenübertreten konnte, denn mein Prozess hatte noch nicht stattgefunden. Sie erlaubten mir nicht viel an Lesestoff, aber Das Blaue Buch, den Haupttext der Anonymen Alkoholiker, durfte ich lesen. Ich hatte jede Menge Zeit und keine Lösungen, und die Probleme, um die es in dem Buch ging, unterschieden sich gar nicht mal so sehr von meinen eigenen. Die ersten drei der zwölf Schritte machte ich auf Knien in meiner Gefängniszelle.

Das Gefängnis führte eine Ermittlung durch und ich erhielt ein offizielles Schreiben, in dem bestätigt wurde, dass es sich um einen Suizidversuch gehandelt hatte. Ich verbrachte noch weitere sieben Tage in Isolation.

Der unbeteiligte Beobachter in mir sagte: "Wenn du das hier überlebst, musst du einen Weg finden, das alles für etwas Positives zu nutzen. Sorge dafür, dass es nicht umsonst war."

Anfang Februar 2012 schickte mich ein Richter auf Entzug. Man hätte mich auch weiter ins Gefängnis schicken können, wie es die Staatsanwaltschaft anfangs verlangt hatte, aber es gab ein neues Intensivprogramm für Drogenkriminelle. Die einzige Bedingung war, dass ich mich schuldig bekennen musste. Sie teilten mir einen Überwachungsbeamten zu, der unangekündigt bei mir zu Hause auftauchen sollte, um nach dem Rechten zu sehen und Atemtests durchzuführen. Ich durfte die Stadt ohne Erlaubnis nicht verlassen und musste jeden Tag bei einer Nummer anrufen, um zu erfahren, ob ich einen zufällig zugeteilten Urintest machen musste. Das passierte auch mindestens einmal die Woche, manchmal sogar täglich. So ging das drei Jahre lang, bis ich im November 2014 drei Monate vor dem offiziellen Ende meiner Strafe davon befreit wurde.

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Kurze Zeit später meldete ich mich am Recovery Support Specialist Institute an der University of Arizona an, um mich zum Suchtberater ausbilden zu lassen.

Als ich auf Drogen war, hatte ich immer einen unbeteiligten Beobachter in meinem Kopf, der sich einfach nur das Chaos in meinem Leben ansah. Ich war Projektmanager für Technikfirmen gewesen und meine ganze Karriere drehte sich darum, Dinge akribisch zu planen. Doch die Entropie—dass alles auseinanderfällt und jegliche Ordnung flöten geht—ist der Weg des geringsten Widerstands.

Der unbeteiligte Beobachter in mir sagte: "Wenn du das hier überlebst, musst du einen Weg finden, das alles für etwas Positives zu nutzen. Sorge dafür, dass es nicht umsonst war."

Ich habe meine Mission im Leben neu definiert: Ich will die Dinge, die ich durchgemacht habe, nutzen, um anderen Menschen zu helfen. Es gibt in der Verhaltenstherapie den Ansatz, dass Leute, die das Problem bereits hinter sich haben, anderen Patienten als Berater dienen. Ich kann sehr schnell eine Verbindung zu diesen Menschen aufbauen. Ich erkenne den Ausdruck in ihren Augen. Ich sage dann: "Ich weiß genau, wie es gerade bei dir aussieht."

Ich bin dankbar dafür, dass der Richter mich an diesem Drogenprogramm hat teilnehmen lassen. Wenn er das nicht getan hätte, wäre ich heute entweder eine Häftlingsnummer der Strafvollzugsbehörde, oder ich wäre gar nicht mehr am Leben.

Falls du mit Depressionen oder Selbstmordgedanken zu kämpfen hast, dann findest du hier viele Organisationen und Beratungsstellen, die dir in deiner Situation helfen können.

Diese Geschichte basiert auf Interviews mit einem Mann, der im Pima County Jail in Tucson, Arizona, inhaftiert war. Heute arbeitet er als Experte für Sucht-Rehabilitation und bildet Fachleute aus, die von Süchtigen und anderen psychisch Kranken helfen.