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Essen

Ich habe mich eine Woche lang nur von Superfood ernährt

Chiapudding hat geschmacklich so wenig mit Pudding zu tun wie Mutterkuchen mit Kuchen. Spirulina riecht wie Fischfutter und ist es im Prinzip auch.

Hier optimiere ich meinen Körper, jedoch nicht meine Laune, mit püriertem Sellerie und Grünkohl | Foto: Grey Hutton

Mein Frühstück sieht aus wie der halbverdaute Inhalt eines Kuhmagens: grasgrün, zähflüssig, mit Klümpchen. Ich hebe das Smoothieglas an die Lippen und versuche, daran zu denken, dass ich nicht nur pürierten Spinat, Hanfprotein und fettarmen griechischen Yoghurt in mich befördere. Sondern Schönheit, Gesundheit, Vitalität, die mich zu einer photogeshoppten Version meiner selbst machen, mit strahlenden Augen und einem entgifteten Gehirn.

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Erstes Superfrühstück. Erster Gedanke: Soylent Green ist Menschenfleisch! | Dieses Foto sowie alle weiteren von der Autorin

Heute ist Dienstag, der erste Tag meiner Superfood-Diät. Ich werde mich eine Woche allein von Essen ernähren, dem besonders gesundheitsfördernde Effekte nachgesagt werden. Nehmt meinen Essensplan auf keinen Fall als Vorbild. Ich habe keine Ernährungsfachkenntnisse, noch nicht mal eine "Essensphilosophie", außer: Ab und zu Gemüse und Obst und keinen Döner zum Frühstück. Manchmal bestehen meine Hauptmahlzeiten aus Eiscreme. Mein Essverhalten minutiös zu konzipieren, kommt mir so abwegig vor, wie nach einem Stundenplan zu atmen. Aber die Redaktion hat 60 Euro Lebensmittelzuschuss für den Freiwilligen versprochen. Und ich dachte: super, gratis Einkaufen und sich dabei verschönern, vergesunden, entschlacken, was auch immer das eigentlich ist.

Bei Amazon.de gibt es mittlerweile 1.114 Bücher zum Thema Superfood. Mehr Menschen kennen inzwischen Açai als die heimische Traubenkirschen. Und nicht nur in Wien-Neubau essen Leute, um sich zu optimieren. Selbst Discounter bieten Chia an. 2013 wurden laut eines Marktforschungsinstituts nur 20 Kilo Chiasamen im Lebensmitteleinzelhandel verkauft, Umsatz: 520 Euro. 2015 gingen schon 663,8 Tonnen (!) für 10,9 Millionen Euro über die Verkaufstheke. Der Umsatz von anderen Supersamen sei nicht so drastisch in die Höhe gegangen, aber immerhin: Die weltweite Nachfrage nach Quinoa ist so gestiegen, dass in Bolivien das Getreide Kokain als Exportschlager verdrängt.

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Mein Chiapudding sieht gut aus, schmeckt leider nach feuchtem Pappkarton mit Obstpüree

Für den gesamten Umsatz gibt es keine Zahlen. Was Superfood ist, ist vor allem eines: superunklar. Es ist nicht richtig definiert, was so ein Lebensmittel eigentlich können muss. Die Menge von Information zum Thema erschlägt mich. Wie das Essenstagebuch dieser Frau, der Hollywoods berühmteste Saftbar gehört. "Um 8 hatte ich ein warmes Chi-Getränk, mit mehr als 25 Gramm pflanzlichem Eiweiß, dank dem vanilligem Pilz-Protein und zwischen Mühlensteinen zerriebener Mandelbutter, […] sowie Brain Dust (Gehirn-Staub?!), Cordyceps, Reishi, Maca und Shilajit-Harz."

Je tiefer ich ins Internet eintauche, desto verwirrter bin ich: gute Kohlenhydrate, schlechte Kohlenhydrate, Glycolipide, Aminosäuren, Probiotica, Nori-Algen, Pu-Erh-Tee. Wo kauft man das, wie isst man das, was ist das überhaupt? Ich müsste mich ungefähr eine Woche einlesen, bevor ich morgen frühstücken darf.

Goldene Lebensmittel

Irgendwann, als der Letzte aus dem Büro geht und ich dort immer noch einen ausgewogenen Einkaufszettel recherchiere, gebe ich auf und schreibe einfach recht wahllos Super-Lebensmittel heraus, die sich einigermaßen essbar anhören. Beim Supermarkt dann die Totalüberforderung. 60 Euro reichen für ungefähr viereinhalb Supermahlzeiten. An Milch- und Weizenersatzprodukten muss ich vorbeigehen, Lebensmittelunverträglichkeiten kann ich mir nicht leisten. Genauso wenig wie Superfleisch. Aber weil ich den ganzen Tag darüber gelesen habe, wie wichtig Eiweiße sind, packe ich Hanfprotein in den Einkaufswagen.

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Das sieht aus wie pulverisiertes Soylent Green aus dem Film, in dem tote Menschen zu einem Nahrungsersatzmittel verarbeitet werden. Außerdem kaufe ich Superobst (Blaubeeren, Kiwis, Granatäpfel) und Supergemüse (Pakchoi, Brokkoli, Avocado—wobei das ja eine Beere ist), Raw Chocolate für 3,99 Euro pro 70 Gramm, Gojibeeren, Bohnen-Nudeln, die nur aus Eiweißen und Ballaststoffen bestehen und etwas namens Beluga-Kaviar-Linsen. (Aufzuschreiben, welche positive Effekte all diesen Sachen angeblich haben sollen, würde die Textlängevorgaben sprengen.)

Nach dem Kuhmagen-Smoothie an meinem ersten Morgen hoffe ich, dass jemandem schon ein positiver Effekt auffällt. Aber als ich mir in der Küche einen "belebenden" Rosenblüten-Rosmarin-Tee statt Kaffee mache, fragt mich mein Mitbewohner, ob ich schlecht geschlafen habe. Schlecht nicht, nur kurz. Ich musste anderthalb Stunden früher aufstehen, um Quinoa und Beluga-Linsen zu kochen, Avocados zu schnippeln und Granatäpfel für einen Salat zu entkernen.

Den bringe ich eingepackt zur Arbeit, was die traumatischen Zeiten wachruft, als meine russisch-deutsche Mutter mir Kohlrouladen in ausgespülten Eiscremeverpackungen für die Schule einpackte und ich keinen Pausensnack beim Hausmeister kaufen durfte wie die coolen Kids. Die Auswirkung ist ähnlich: Die Mittagspause verbringe ich statt mit den Kollegen beim Imbiss mit meiner Tupperware. Als es bei einem Meeting Pizza gibt, darf ich davon nur Superspinat und Brokkoli runterkratzen.

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Statt Kaffee: der Garten in der Tasse

In den nächsten drei Tagen besteht ein großer Teil meiner Freizeit aus Garen, Pürieren und meine Willensstärke Trainieren. Nichts außer Gojibeeren und Bienenpollen versüßt mein Leben. Unter anderem lerne ich "Chia-Pudding" zu machen, der geschmacklich genauso wenig mit Pudding zu tun hat wie Mutterkuchen mit Kuchen. Ich fühle mich nicht unbedingt besser, und das einzige, was schöner geworden ist, ist das Fotoalbum auf meinem Handy. Es sieht aus wie die Instagram-Timeline eines Foodbloggers. Um rauszufinden, was ich alles essen darf, hänge ich jetzt viel auf solchen Instagram-Accounts rum und bin erstaunt, wie viel Liebe man für die Fähigkeit bekommt, eine Körperfunktion wie Essen als Hochglanzbilderstrecke zu inszenieren.

Hat eigentlich ganz gut geschmeckt: Superfoodsalat

Am meisten machen mir die sozialen Auswirkungen meiner Superfooddiät zu schaffen. Viele Sachen, die mich mit meinen Freunden verbinden, sind schwieriger geworden: Essensverabredungen sind zu kompliziert, Alkohol nicht erlaubt. Dafür hält mir bei einer Galerieeröffnung ein Typ, dem ich von meinem Experiment erzähle, ungefragt einen halbstündigen Vortrag über die heilbringenden Auswirkungen einer Zitronensaftkur. Danach schlägt er vor, zusammen in ein Superfood-Restaurant zu gehen. Außerdem habe ich mich eine Dreiviertelstunde lang mit einer Frau bei DM über Weizengras unterhalten und danach eine Einladung zum Kochen bekommen. Ich sehe das als eine Vorschau auf die düstere, hypothetische Zukunft: Statt bei Falafel mit meinen Freunden zu plaudern, würde ich abends mit gutverdienenden Menschen über Weizengras und Zitronensaft debattieren.

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Ich merke, wie meine Nahrung meine geistige Nahrung beeinflusst. Weil so ein großer Teil meiner Gedanken sich darum dreht, was ich alles essen und vor allem nicht essen darf, lese ich immer mehr darüber. Die Meinungen sind gespalten: Den Tausenden Blogeinträgen, Rezepten und Erfahrungsberichten, die Superfood zelebrieren, stehen eher nüchterne Expertenmeinungen gegenüber. "Ein gesundheitlicher Mehrwert im Vergleich mit der Vielzahl heimischer Gemüse und Früchte ist eher nicht gegeben", steht auf der Seite der Verbraucherzentrale. "Die meisten Aussagen zu Superfoods stammen von gewerblichen Anbietern, von einzelnen Beratern oder Interessengruppen. Dabei überwiegen Anekdoten und Erfahrungsberichte. Scharlatanerie ist weit verbreitet."

Bis Donnerstag habe ich ein paar Gerichte hinbekommen, die tatsächlich schmecken. Ich esse, ausgedrückt im Foodblogger-Sprech, "achtsamer, bewusster". Das heißt: nicht mehr direkt aus dem Kühlschrank in den Mund. Aber am Freitag kommt der Supergau. Ich stelle fest, dass ich mich im Datum vertan habe und am Wochenende auf ein Elektrofestival fahre—so ziemlich der schlechteste Ort für Ernährungsexperimente.

Erst nachdem die Redaktion zustimmt, Wodka-Mate zum Superfood zu erklären, beschließe ich, die Diät durchzuziehen.

Eine nicht ganz solide Grundlage für die Festivalnacht

Positiver Nebeneffekt: Mit einer Grundlage aus zwei Äpfeln und einer Avocado brauche ich für einen Vollrausch nur anderthalb Wodka-Mate. Negativer Nebeneffekt: Am nächsten Morgen, während alle um mich herum mit Pfeffi Zähne putzen, und mit Dosenbier und -wurst in den Tag starten, besteht mein Katerfrühstück aus ein paar Blaubeeren und aufgelöstem Hanfprotein, das mich würgen lässt.

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Statt Kaffee muss ich mich nach zwei Stunden Schlaf in einem 40 Grad heißen Zelt immer noch mit Rosmarin und Rosenblättern beleben. Danach versuche ich, Spirulina-Algenpulver runterzukriegen. Spirulina riecht wie Fischfutter und ist es, wie ich später lerne, im Prinzip auch. Mein Körper weigert sich, es zu schlucken. Die protein- und ballaststoffhaltigen Bohnennudeln zerkochen auf dem Campingkocher zur einer schleimigen, schwarzen Pampe. Die halbe Portion, die ich esse, ist so eklig, dass ich beschließe, bis zum Ende des Festivals zu hungern.

Am Samstagabend entdecke ich einen Stand mit Weizengrassäften. Ein Glas kostet fünf Euro, aber bei den 120 Euro, die ich bisher ins Superessen investiert habe, fällt das auch nicht mehr so sehr ins Gewicht. Vor lauter Freude gebe ich dem Verkäufer alle Informationen über Weizengras wieder, die ich von der Frau bei DM gelernt habe, aber er ist wenig enthusiastisch. Neben mir benutzt ein Grüppchen Menschen den Saft, um MDMA runterzuspülen.

Vielleicht ist genau das das größte Problem an Superfood: die Hoffnung, dass man mit ein paar Wunderlebensmitteln den Rest seines ungesunden Lebens ausradiert. Das ist übrigens nicht erst seit Weizengras so. Schon vor Jahrhunderten haben sich Menschen solche Zauberwirkungen versprochen: Die Römer hielten Pfirsiche für Superfood, weil sie unglaublich teuer waren und aus Persien importiert werden mussten. Coca-Cola galt auch mal als Superfood. Selbst Kippen der Marke Camel wurden als "Zigaretten, die Ärzte rauchen" beworben. Letztendlich heißt Superfood kaum etwas anderes als: Food, das als super vermarktet wird.

Am Sonntag wird mein Wille schwach und ich esse ein stinknormales Brötchen, das ich vor meinem Gewissen unter einem Stück Avocado verstecke. Vielleicht war es genau dieses Stück Brot, das meinen Verschönerungssprozess zerstört. Auf jeden Fall ist mein Erscheinungsbild sehr ramponiert.

Eigentlich hoffte ich, nach meiner Kur aus Weizengras und Wodka wie Kate Moss auszusehen: So stelle ich mir ihre Diät vor. Aber als ich mir meinen fünften Weizengrassaft am Stand hole, sagt der Verkäufer, ich hätte wahnsinnige Augen. Darunter habe ich Wahnsinnsaugenringe. Meine Jeans sitzen viel lockerer als noch vor ein paar Tagen. Zusätzlich zu den üblichen Festivalstrapazen muss ich wegen meiner Diät extra viel Zeit in Dixiklos und Dixikloschlangen verbringen. Anstatt die Festivalstrapazen auszugleichen, hat Superfood alles nur noch viel schlimmer gemacht.

Das ist Weizengrassaft-Wodka

Am Dienstagabend, wieder zu Hause, zelebriere ich das Ende der Diät mit Freunden und unsuperer Pizza mit sehr unsuperer Salami. Nach dem zweiten Stück packt mich das schlechte Gewissen und ich koche dazu etwas Pakchoi, das ich noch im Kühlschrank hatte. Das ist die positive Auswirkung der Superfooddiät: Ich mache mir über mein Essen Gedanken. Auf der Minusseite steht: Ich war währenddessen ärmer und einsamer als sonst, fantasierte kurz darüber, eine Katze zu essen, und bin vor Erschöpfung neben einer anderthalb Meter hohen wummernden Box eingeschlafen.