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Popkultur

Ein Mittagessen mit Larry Clark

Bei einer Portion Nudeln haben wir uns mit Larry Clark über seinen neuen Film 'Marfa Girl', den er übers Internet streamt, unterhalten.

Larry Clark ist eine Legende. Er fotografierte schon die dunkle Seite der Gesellschaft, als er noch ein Teenager war. Dann hat er sich später dem Kino gewidmet und solche genialen Filme wie Kids, Bully und Wassup Rockers gemacht (um nur drei zu nennen). Die Preise, die seine Arbeiten gewonnen haben, und die Orte, an denen sie gezeigt wurden, sind unzählbar. Außerdem ist er gleichzeitig ein wirklich netter und harter Typ. Sein neuer Film Marfa Girl wurde soeben auf seiner Internetseite veröffentlicht und kann für 5,99 Dollar gestreamt werden. Der Film begleitet eine lose Gruppe von Freunden in ihrem Leben in Marfa, Texas, während sie Sex haben, Drogen nehmen, in Bands spielen und von böswilligen Grenzpolizisten schikaniert werden. Als ich mich mit Larry getroffen habe, feierten wir gemeinsam das Ende seiner Saftdiät, indem wir Pasta aßen.

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VICE: Ich habe mir den Film sofort nach seinem Erscheinen in dem kleinen Vorführraum unseres Büros angeschaut.
Larry Clark: Du hast ihn vom Computer aus projiziert? Das ist cool. So haben sie das in Marfa gemacht. Sie haben ihn in einer Bar mit einem Beamer gezeigt und um die hundert Leute sind gekommen, um ihn zu sehen. Wenn ihn jemand kauft, ist das ok, er kann dann damit machen, was er will. Mir ist das egal.

Wie haben die Leute dort reagiert?
Jemand rief mich an und erzählte mir, als Chachi, der Bassist im Film, das Marfa Girl vögelt, habe seine Familie gejubelt: „Fick das weiße Mädchen!“ Die Mutter von Adam Mediano, dem Hauptdarsteller, schrieb mir in einer SMS, das wäre mein bisher bester Film. Sie sagte: „Los, hol sie dir!“ Das hat mich zu Tränen gerührt. Die Leute reagieren wirklich positiv. Die Kritiker sagen, ich hätte mich weiterentwickelt, was ziemlich lustig ist.

Glaubst du, das stimmt?
Ich denke, ich werde immer freier. Ich habe es mir irgendwie so nebenbei ausgedacht und geschrieben. Ich benutzte nie irgendwelche Hilfsmittel, um die Geschichte voranzutreiben. Wenn da eine Szene ist, in der sich die Leute einfach nur unterhalten, und sich die Handlung dadurch verlangsamt, dann wird sie eben langsamer. Wenn sie schneller wird, wird sie schneller. Ich wollte in diesen Film nur das packen, was mir wichtig ist, und sonst nichts.

Und weil du ihn online veröffentlicht hast, kannst du tun und lassen, was du willst.
Ich kann sowieso alles tun, was ich will. Ich entscheide, wie der Film schlussendlich aussieht. Aber normalerweise musst du dich in allem einschränken, um die Jugendschutzrichtlinien einzuhalten. Also musst du es runterkürzen, und die andere Version kannst du dann auf die DVD packen. Von diesem Film gibt’s keine andere Version mit mehr Nacktheit oder mehr irgendwas. Das Beste daran, Filme online zu stellen, ist, dass du dich nicht mit der Motion Picture Association of America oder irgendwelchen Zertifizierungsbehörden rumschlagen musst. Wer braucht diese Leute überhaupt? Ich jedenfalls nicht. Meine Filme laufen in Europa und Frankreich super und dort gibt’s überhaupt keine Probleme. Die Dinge ändern sich. Die Welt wird immer konservativer, besonders in Amerika. Und jeder unter 35 oder 40 sieht sich seine Medien auf dem Laptop an. Sogar noch Ältere!

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Ich denke, dass du dir gerade der Macht des Films im Internet bewusst wirst, zeigt, wie sehr du wirklich mit der Jugendkultur in Verbindung stehst.
Ich versuche, aufmerksam zu sein. Ich war mal in L.A. und Jonathan Velasquez aus Wassup Rockers kam eines Abends in meinem Motel vorbei, um mich zu besuchen. Er kam rein, setzte sich aufs Sofa und holte sein Handy raus. Dann hat er drei Stunden lang kein Wort mit mir gesprochen. Er hat über sein Handy E-Mails geschrieben und war bei Youtube und hat sich für den Abend verabredet und nachgesehen, wo die nächsten Partys stattfinden, oder sich über seinen Gig unterhalten, er hat eine Band. Ich habe nichts zu ihm gesagt, ich habe ihm nur zugesehen und mir gesagt: „Oh, so läuft das jetzt also.“ Junge Leute sehen sich auf ihren Handys Filme an, was mir völlig fremd ist, aber wenn das eben so läuft, bin ich interessiert.

In meiner Dankesrede, als ich in Rom den Filmpreis gewann, den „Goldenen Marc Aurel“, sagte ich: „An uns alte Säcke und an alle Anderen, die über das Ende vom 35-mm-Film jammern: Entweder sterbt ihr mit ihm oder entwickelt euch weiter.“ Ein alter Freund, der älter ist als ich, hat mir danach in einer E-Mail geschrieben: „Das war eine großartige Rede, aber ich erinnere mich, dass du vor sechs oder sieben Jahren das Gegenteil gesagt hast. Du sagest, du würdest ausschließlich auf 35-mm drehen und auf diesen digitalen Kram scheißen.“ Wie's aussieht, bin ich schlauer geworden.

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Adam und Mercedes, aus Marfa Girl

Wie viel Input liefern deine Schauspieler, wenn du das Drehbuch schreibst? Hast du viel mit Adam über sein Leben geredet?
Adam hat eine besondere Begabung, etwas, das man nicht so leicht lernen kann. Er ist einfach so da. Er ist sehr still und er ist mir unter all seinen Freunden aufgefallen, die alle sehr quirlig waren, während er ganz still blieb. Wenn er seinen Mund aufmacht und etwas sagt, dann ist das ziemlich schlau, und dann kannst du sehen, dass er ein witziger, intelligenter Mensch ist. Beim Dreh tut er also eigentlich gar nicht viel. Da ist er ein bisschen wie Marlon Brando oder James Dean. Wenn du sie beobachtest, hast du das Gefühl, sie würden gar nicht wirklich etwas tun, aber wenn du sie dann im Film siehst, erkennst du, was in ihrem Inneren vor sich ging. Adam hat diese Eigenschaft.

In der Eröffnungsszene wird er von den Streifenpolizisten attackiert, das ist ihm tatsächlich passiert. Er war mit einem anderen Jungen nachts unterwegs, und als sie sich trennten, wurde der andere Junge angegangen und in Handschellen gesteckt. Und das nur, weil sie so spät draußen waren. Adam versuchte, über einen Zaun zu klettern und da hat ihn der Grenztyp runtergezogen, auf den Boden gedrückt und ein paar mal geschlagen. Diese Typen vom Grenzschutz haben einfach nichts zu tun und denken, sie könnten einfach jeden, der etwas dunkler ist, anhalten und auf den Boden werfen und nach seinen Papieren fragen.

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Wie findest du solche Jugendlichen?
Als ich in Austin gecastet habe, haben mir dort beide Seiten—die professionellen Schauspieler und auch die Leute, die mit mir zusammenarbeiten—gesagt, dass sie etwas derartiges noch nie gesehen hätten. Ich erwähne niemals die Rolle, ich frage die Leute nur nach ihnen selbst: „OK, was tust du, wenn du nicht schauspielerst?“ Und sie erzählen mir dann von ihrem Leben. Sie sagen, es wäre fast so, wie zum Psychiater zu gehen. Ich arbeite mit ihnen zusammen und muss sie mögen, und sie müssen mich mögen, und ich muss ihnen komplett vertrauen, und sie müssen mir komplett vertrauen. So bekomme ich diese Leistungen.

Ich glaube, wenn du mit weniger erfahrenen Darstellern arbeitest, kannst du sie zu einer besseren Leistung bringen, wenn sie Menschen spielen, die ihnen selbst ähnlich sind. Adam beispielsweise spielt sich irgendwie auch selbst, richtig?
Eigentlich spielt er die Rolle dieses Naivlings, der so durch die Gegend läuft, und dabei passiert alles Mögliche mit ihm. Diese Dinge, die ihm im Film mit Mädchen passieren, sind, soweit ich weiß, nicht aus seinem echten Leben. Ich bin mir nicht sicher. Es gibt eine Sache, die ich niemals tue, nämlich junge Menschen nach ihrem Sexleben fragen. Ich mache das nie zum Thema, weil ich das seltsam finde, wenn ein alter Mann Jugendliche über ihren Sex befragt. Wenn sie also nicht darüber reden, werde ich es auch nicht tun. Ich weiß nicht, ob ein Typ zehn Mädchen gevögelt hat oder noch Jungfrau ist. Ich habe keine Ahnung.

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Alle Charaktere sind Kompositionen, aber sie basieren auf Menschen, weil alles, was du dir so vorstellen kannst, oder worüber du in der Zeitung liest, alles, was möglicherweise von einem menschlichen Wesen getan werden kann, auch getan wird. Und getan wurde. Es gibt nichts, das nicht schon von Menschen getan wurde. Wir machen alles.

Ich habe Menschen jahrelang beobachtet. Ich treffe mich mit Leo Fitzpatrick und Chloë und Rosario. Ich sehe sie nicht oft, aber wir sind Freunde. Es gibt einige Leute aus Tulsa, die noch leben und mit denen ich in Kontakt stehe. Der langhaarige, indianische Junge aus dem Tulsa-Buch ist jetzt 50, hat 12 Kinder. Mit einem anderen Jungen aus Tulsa, mit dem Blonden mit dem großen Schwanz, rede ich noch. Sein Vater ist mit 30 an einem Herzanfall gestorben. Auch ein anderer Junge ist ziemlich neben der Spur, immer irgendwie völlig sediert. Das passiert, wenn man zu viel Farbe schnüffelt.

Es ist gut, wenn das mal ans Tageslicht kommt und porträtiert wird.
Ich komme aus den 50ern, wo alles sehr konservativ war, Eisenhauer ist Präsident, und wir sollen nett zueinander sein, und so eine Scheiße soll nicht passieren. Aber sie passiert überall um mich herum! Ich sagte: „Warum kannst du das nicht fotografieren? Warum kannst du nicht all das fotografieren?“ Also habe ich angefangen, Fotos von den Dingen um mich herum zu machen, von meinem Leben, und vom Leben der Anderen, und das war etwas, das man bis dahin nicht auf Fotos gesehen hat. Eigentlich sollte es das gar nicht geben. Es sollte geheim sein. Und, zu Hause war die einzige Regel, die einzige Sache, die mir meine Eltern immer und immer wieder sagten: „Was auch immer in diesem Haus passiert, bleibt in diesem Haus. Du wirst es draußen niemals erwähnen.“ Und ich führte ein Geheimleben mit Drogen und Geheimnissen über mich. Also fing ich an, Dinge zu fotografieren. Wenn das jemand anderes getan hätte, hätte ich es nicht getan. Das Gleiche mit den Filmen. Wenn jemand anderes solche Filme produziert hätte, würde ich das nicht tun.

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Niemand macht die, wirklich.
Ja, sicher, ich bin nicht daran interessiert, Filme oder Bilder zu machen, die es schon gibt. So kann mich niemand kopieren. Die Werbebranche und die Modewelt, sie alle sehen sich meine Bilder an, machen ihre Bilder genau so wie meine, um damit irgendeine Scheiße zu verkaufen. Das ist OK, es ist nicht meine Welt, ich habe damit nichts zu tun, sie können verdammt nochmal machen, worauf sie Lust haben, denn ich mache sowieso, was ich will. Aber niemand kann mich wirklich kopieren, denn ich bin euch immer voraus. Ich mache nur das, was ich sehen will.

Wie bist du auf die Idee gekommen, LarryClark.com zu gründen?
Ich wollte das wegen eines 22-minütigen Films mit Jonathan tun, für den sich niemand interessiert hat. Die Leute sagten: „Das kannst du nicht tun, den kannst du nicht rausbringen. Der wird niemals rauskommen.“ Ich sagte: „Dann werde ich eine Internetseite für diesen 23-Minuten-Film machen. Ich werde ihn rausbringen.“ Sie antworteten: „Das kannst du nicht, du wirst Probleme bekommen.“ Aber ich entgegnete ihnen: „Ja, ich kann das, passt bloß auf.“

Kennst du den Komiker Louis CK? Er macht so etwas Ähnliches wie du.
Ja, klar. Als ich gehört habe, dass ein Komiker seine Show selbst online gestellt und damit 8 Millionen Dollar gemacht hat, habe ich gesagt: „Wow! Das ist clever!“ Und natürlich weiß ich auch, dass Radiohead vor einigen Jahren eine Platte rausgebracht und dazu gesagt haben: „Bezahlt, was ihr wollt!“ Und sie haben damit tatsächlich Geld verdient. Ich dachte: „Meine Güte! Das ist die Zukunft, so läuft das!“

Im Januar werde ich 70 und ich habe keine Zeit zu verlieren. Ich werde noch fünf oder sechs Filme machen und die ins Netz stellen. Ich arbeite gerade an einem Film, bei dem es einige Verzögerungen gibt, und ich habe ihnen gesagt: „Jetzt oder nie, Hosenscheißer. Ich hab keine Zeit zu verschwenden.“ Ich lebe vegan, um mehr Kraft zu haben. Ich arbeite am Tag 20 bis 21 Stunden, jeden Tag, also muss ich meinen Körper daran gewöhnen, maximal drei bis vier Stunden pro Nacht zu schlafen. Und ich habe das geschafft. Hier bin ich also und rede mit dir. Wie ist das für ein verdammtes Interview?

Du kannst Larry Clarks neuen Film, Marfa Girl, hier anschauen.