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DIE LITERATURAUSGABE 2014

Ich muss hier niemanden retten

„Hey, ich hab gehört, dein Buch wird verfilmt, gratuliere!“

Während die meisten Kinobesucher eine beschissene Romanverfilmung mit einem „Das Buch war besser.“ schon bis zur Ausgangstüre wieder weggewischt haben, bleibt irgendwo ein Schriftsteller oder eine Schriftstellerin still im Dunkeln sitzen und kann es noch immer nicht glauben. Die Liste der eher mauen Literaturverfilmungen ist lang und als prominentes Beispiel reihte sich vor nicht allzu langer Zeit Die Vermessung der Welt von Daniel Kehlmann ziemlich weit oben ein. Der Autor wollte dazu in Interviews eher wenig sagen. Im Gegensatz dazu stehen Verfilmungen, die ganz auf sich gestellt erfolgreich sind und überdauern, wie zum Beispiel Mary Poppins. Der Streifen ist dermaßen erfolgreich, dass der Wikipedia-Eintrag zur Verfilmung bei Google über dem der Bücher gereiht wird, und so beliebt, dass Disney nun sogar einen Film über die Entstehung des Filmes herausgebracht hat, der allerdings vor allem davon lebt, wie unglücklich P. L. Travers mit allen Ideen des Disney-Studios war.

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Vom Erfolg des Filmes hängt die Stimmung der Autorin im Hintergrund also wenig ab. Dieser Film über den Film suggeriert, dass Travers große Daddy Issues hatte und der Mr. Banks aus dem Buch für sie stark ihrem Vater entspricht. Erst als Walt Disney ihr zusichert, den Filmvater in seiner Rolle als liebendes und sorgendes Familienoberhaupt zu retten, kann auch Travers durch die Räume der Disney-Studios tanzen und davon singen, wie vergnügt man ist, wenn man einen Drachen steigen lässt, während sie vorher jegliches Gesinge und Getanze und überhaupt zu viel Fröhlichkeit in ihren für sie durchaus ernsten Stoff strikt abgelehnt hatte. Und erst die Zeichentrickelemente!

An dem Tag, als ich in der Vorstellung von Saving Mr. Banks saß, wusste ich schon länger, dass auch eines meiner Bücher verfilmt werden sollte. Als das Duo Ertl/Hiebler, das sich zuletzt mit dem Film Anfang 80 ausgezeichnet hat, sich zum ersten Mal bei mir meldete, um mir von seinen Verfilmungsplänen für meinen Roman Chucks zu erzählen, nun, da fühlte ich mich sehenden Auges in ein Unglück gehen. Zwar habe ich in meinem Buch keine nahen Verwandten zu retten, aber das eigene Geisteskind einem Fremden in die Arme zu legen, das ist grundsätzlich keine einfache Sache. Wir haben uns also getroffen, sehr nett unterhalten, über unsere Vorstellungen gesprochen, und die beiden waren höchst erfreut zu hören, dass ich mich entschieden hatte, wenig bis gar kein Mitspracherecht bei der Verfilmung zu wollen.

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An manchen Tagen, wenn mich jemand nach dem Warum fragt, dann sage ich, dass ich so wenigstens immer behaupten könnte, ich hätte damit nie etwas zu tun gehabt, falls der Film ein großartiger Schwachsinn werden würde. An anderen Tagen, an denen ich ein bisschen überlegter antworte, was ich mir denke, versuche ich auszudrücken, dass für mich die Verfilmung im Grunde nicht mehr mein Buch ist und dass es mich darum nichts angeht: Ich gebe mein Kind nicht her, nur seine DNA, und wenn jemand anders beim Klonen einen Fehler macht und ein paar hässliche Mutationen verursacht, dann hat der andere das Problem. Kann sein, er findet sogar noch ein paar Dinge, die er verbessern kann.

Alle paar Monate höre ich nun von Gerhard und Sabine, was der Stand der Dinge ist und wie es ihnen mit dem Drehbuch geht, von dem es, wenn ich mich nicht verzählt habe, mittlerweile die fünfte Fassung gibt. Denn obwohl man vielleicht nur mit einer Drehbuchautorin arbeitet, mit der man sich gut versteht und mit der man über die Geschichte grundsätzlich einer Meinung ist, hat man es darüber hinaus mit vielen unsichtbaren Einflussnehmenden zu tun, die einem selten namentlich bekannt werden, meist aber irgendwie in das Finanzielle involviert sind, und die grundsätzlich mindestens irgendetwas viel besser wissen als die Person, die das Buch verfasst hat. Somit hat auch das Drehbuch im Vergleich zur Vorlage schon viele Schönheitsoperationen hinter sich: Eine Figur wurde komplett gestrichen, eine andere verändert.

Niemand ist mehr Punk, jeder ist jetzt Sprayer. Weil viele Leute der Meinung sind, dass es sich an AIDS in Kombination mit Lungenentzündung beziehungsweise sogar Tuberkulose nicht so einfach stirbt, mussten andere Arten des Sterbens gefunden werden. Ich habe gelernt, dass ein Handy nicht gleich ein Handy ist und dass manche Leute Probleme damit haben, festzustellen, ob etwas vor dreißig Jahren gespielt hat oder heute. Die Hoffnung lebt, dass der Film nachher nicht zu Tode operiert wirkt, man kennt das ja. Ich glaube immer noch daran, dass dieses Schicksal

erspart bleibt, aber zwischendurch unterdrücke ich manchmal das Gefühl, ich hätte doch jemanden zu retten: nämlich mein Buch.