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Ich arbeite bei indischen Hochzeiten als menschlicher Tisch, weil ich weiß bin

Blasse Westlerinnen dafür zu bezahlen, dass sie sich entwürdigen, ist das neue Ding der indischen Mittelschicht.

„Wissen Sie, ich habe einen Abschluss", erzähle ich den schnurrbärtigen Männern, die im Halbkreis um mich stehen, aber es scheint sie nicht groß zu kümmern. „Und hierfür bekomme ich 10.000 Rupien." Jetzt verändert sich ihr Gesichtsausdruck und ihr Interesse scheint geweckt zu sein. „Aber das ist viel Geld", sagen sie. In der Tat. Warum sonst sollte ich das hier auch tun? Wenige Jobs sind so schlecht, dass man selbst Stangentänzerinnen beneidet. Sieh dir an, wie sie über den riesigen Cocktailgläsern schwebt, überflutet von grünem Laserlicht, Trockeneis und den penetranten Blicken einer Gruppe glotzender Sechzigjähriger, und herumwirbelt, als würde ihr das Lokal gehören.

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Das Miststück hat Glück.

Ich wünschte, ich hätte ihren Job. Stattdessen werde ich den Abend als lebloses Objekt verbringen. Nicht in dem Sinne von „eine Frau ist nur ein Stück Fleisch". Nein, ich meine es im wahrsten Sinne des Wortes. Heute Nacht werde ich ein Tisch sein. Ein menschlicher Tisch, der einen Feuerwehrhut trägt, der im Dunkeln leuchtet.

Willkommen in der bizarren und wundervollen Welt der Jobs für weiße Frauen in Indien. Jeder Backpacker, der einmal durch Mumbai gewandert ist, ist den extrem freundlichen jungen Männer begegnet, die vor dem Leopold Café herumlungern und versuchen, Reisende für „Hauptrollen" in neuen Bollywood-Blockbustern aufzugabeln. Doch das ist mittlerweile nichts Neues mehr. Nimm irgendeinen neueren Bollywood-Film und du wirst in fast jeder Tanz-, Club- oder Partyszene inmitten der Profis eine verloren und perplex wirkende Gruppe weißer Männer oder Frauen entdecken.

Gerade entwickelt sich im indischen Bürgertum jedoch ein neuer Trend: weiße Mädchen aus dem Westen dafür zu bezahlen, auf Hochzeitsfeiern rumzuhängen und verschiedene bizarre Dinge zu tun, und das aus dem einzigen Grund, weil sie—wir—weiß und westlich sind. Diese Jobs können alle möglichen Aufgaben umfassen: Gäste in der Verkleidung eines Londoner Leibgardisten zu begrüßen, die Hochzeitsprozession des Brautpaars auf einem Pferd anzuführen oder eine menschliche Statue darzustellen.

Oder, wie in meinem Fall, sich als Tisch zu verkleiden und Getränke auszugeben und darauf zu warten, dass die leeren Gläser wieder auf mir abgestellt werden.

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Wie auch immer, die Arbeit wird gut bezahlt, und das ist in den meisten Fällen die Hauptsache. Viele wohlhabende Inder scheinen blasse Haut besonders zu schätzen. Jeder, der reich genug ist, Weiße dafür zu bezahlen, bei ihren Hochzeiten als lebendes Mobiliar aufzutreten, wird als ziemlich hohes Tier betrachtet.

Zu Zeiten des Britischen Weltreichs hätte kein kolonialer Indienliebhaber, der etwas auf sich hielt, auf einen Harem indischer Unterhaltungskünstler verzichtet. Seien es Schlangenbeschwörer oder Sitarspieler—die Imperialisten liebten es, sich mit dem zu umgeben, was sie für exotisch hielten. Heute sind die Weißen hier exotisch. Diese ironische Wendung ging mir durch den Kopf, während ich mit Getränken beladen im Raum herumstand.

Die Unternehmung war vom Anfang bis zum Ende ein totales Chaos. Ich bekam einen Anruf von einer verbittert klingenden Osteuropäerin, deren Job es ist, Bilder und Körpermaße für gut genug zu befinden und dann einen Ort und eine Zeit für ein Treffen festzulegen. In meinem Fall war dies eine Haltestelle an den Ausläufern der Stadt, in einem Villenviertel. „Sieh zu, dass du um fünf Uhr da bist, sonst gibt es kein Geld!" Ich war gewarnt. „Ich mein das ernst, Mädels, macht keinen Unfug!"

Ich war pünktlich um fünf Uhr da und dann … nichts. Als es dann sechs war, waren ein paar mehr Mädchen eingetrudelt. Gegen sieben tauchte dann einer der Typen auf, die mich in Mumbai angesprochen hatten. Er hatte drei Billighandys bei sich, von denen er zwei simultan benutzte. Sein Name sei Pinky, sagte er. Er habe nur WhatsApp, könne er mich adden?

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Das Nächste, an das ich mich erinnerte, war, dass wir zu zehnt in einen Toyota Innova gequetscht wurden, auf dessen Seite „TOURIST" geschrieben stand—als ob unsere Gruppe nicht so schon auffällig genug aussehen würde. Dann wurden wir irgendwohin gekarrt. Ernsthaft, ich hatte keine Ahnung, wohin die Fahrt gehen sollte. Ich war davon ausgegangen, dass ich zwei, drei Stunden einen Job in irgendeinem Vorort von Delhi machen würde, aber dann landete ich sieben Stunden und 300 Kilometer später in Ludhiana, Punjab.

Nach der Ankunft hing ich für ungewisse Zeit im Backstagebereich ab, während „der Kunde" (dessen Identität nur sehr selten preisgegeben wird) sich dafür entschied, welche von uns das Glück haben würde, heute arbeiten zu dürfen. Währenddessen wurden wir mit der Aufmerksamkeit einiger Punjabi-Rapper beglückt. „Sie leben in Kanada", wurde uns diverse Male versichert. „Sie sind sehr berühmt."

Die meisten Mädchen, die ich kennenlernte, machten entweder Praktika oder studierten in Delhi und hielten sich mit komischen Jobs über Wasser. Eine von ihnen sagte mir, sie „kann es nicht fassen", wo sie hier gelandet ist: „Das hier ist, wohin mich drei Jahre Schufterei in Oxford gebracht haben—mit einem Turban tue ich so, als ob ich Geige spiele, während im Hintergrund Saxophonmusik über die Anlage plärrt."

Einige der Mädchen—meiner Erfahrung nach, vor allem Russinnen—machen das hier Vollzeit und haben Arbeitsverträge. Sie verdienen monatlich ab 80.000 Rupien aufwärts (1.000 Euro—wirklich kein schlechtes Gehalt in Indien) und bekommen außerdem Unterkunft und Lebensunterhalt bezahlt. Diesen Mädchen ist es allerdings so gut wie unmöglich, eine Auftrag abzulehnen, egal wo oder was es ist, oder wie lange es dauert.

Die meisten von ihnen schienen sich darüber nicht zu beklagen, machten auf mich aber einen komischen und irgendwie fertigen Eindruck. Vielleicht arbeiten sie sich so lange nach oben, bis sie eines Tages die furchterregende Stimme am anderen Ende des Telefons sind, die die Mädchen zu den Sammelpunkten ordert.

Letztendlich kann ich mich eigentlich nicht wirklich darüber beschweren, wegen meiner gipsweißen Haut ausgebeutet zu werden. In diesem Land werden täglich Millionen von Menschen dafür ausgebeutet, dass sie die „falsche" Hautfarbe haben. Ich bekam für zwei Stunden Arbeit ungefähr 125 Euro—das ist eine verhältnismäßig hohe Vergütung für diese anspruchslose, wenn auch frustrierende Tätigkeit. Die große Ungerechtigkeit, die ich verspürte, gründete sich nicht auf meiner eigenen Position—oder der Position der irgendwie bemitleidenswerten Typen, die meinten, sie müssten mit Geld um sich werfen, damit ein paar weiße Mädchen mit ihnen zu „Sunny Sunny Yaariyan" auf der Tanzfläche abgehen. Nein, es war die Tatsache, dass ich das Doppelte von dem verdiente, was die einheimischen indischen Mädchen bekamen, die auch auf der Veranstaltung arbeiteten. Und warum? Weil ich westlich und weiß bin.

Ich schätze, das kann man positive Ausbeutung nennen, aber so positiv fühlte ich mich nicht, als ich als menschlicher Tisch in der Gegend rumstand.