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Ich war am ersten PokéWalk in Wien und es war ein bisschen enttäuschend

Es waren nur PokéHardliner anwesend. Und drei TV-Sender.

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Die letzte App, die medial so viel Aufmerksamkeit bekommen hat wie Pokémon Go war Tinder. Daraus lassen sich zwei Hypothesen ableiten. Erstens: Wir Menschen sind Sammler. Wenn wir keine Säbelzahntiger und Stachelbeeren sammeln können, sammeln wir eben am Handy irgendwelche Algorithmen. Zweitens: Am liebsten sammeln wir nicht Feldfrüchte wie bei FarmVille. Viel lieber sammeln wir Beziehungen zu anderen Menschen und personifizierte Monster. Sammel- und Jagdtrieb mit einer Klappe befriedigt. Zurück zum Ursprung quasi. Nur mit weniger Blut.

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Aber es gibt auch noch eine andere Gesetzmäßigkeit, die bei Pokémon Go auffällt: Alles was mediale Aufmerksamkeit bekommt, wird früher oder später gehasst. So auch Pokémon Go. Menschen, die viel zu alt sind, um den Pokémon-Hype zu verstehen, hassen das Spiel. Auch Menschen, die grundsätzlich alles hassen, was gehypet wird, mögen es nicht. Meine liebste Hater-Gruppe sind dabei Menschen, die so tun, als würde die Menschheit erst seit Pokémon Go auf das Smartphone starren und zu wenig Acht auf seine Umgebung geben.

Auch ich bin Pokémon Go verfallen und habe mir lange vor dem offiziellen Release die App (und ein paar Viren) auf mein Handy geholt. Ich war nämlich vor genau zwölf Jahren die Allerbeste. Ich hatte Karten. Ich habe die Serie und die Filme geschaut. Ich besitze noch immer die offizielle Soundtrack-CD. Und ich habe bis heute meinen Gameboy samt allen Pokémon-Spielen in Betrieb. Pokémon is love, Pokémon is life. Entweder man spielte es ganz oder gar nicht. Das war kein Erholungs-Shit. Es war Krieg.

Seit damals hat sich einiges geändert—Pokémon Go wird nicht nur von Nerds gespielt, sondern auch von Mitläufern, ehemaligen Nerds und sogar einigen normalen Menschen. Zumindest kristallisieren sich in meinem Umkreis folgende Spieler-Typen heraus:

1. Die Nerds, die mit einem extra Akku die Stadt durchwandern und noch immer die Allerbesten sein wollen. Es heißt ja auch "gotta catch 'em all" und nicht "gotta catch some of 'em'". Die spielen jeden Tag mehrere Stunden und haben unbesiegbare Pokémon am Start.

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2. Dann so Leute wie mich, denen das Handy-Internet und der Akku viel zu kostbar sind, weil sie anderen Internet-App-Süchten auch frönen möchten. Die spielen ein paar Mal die Woche.

3. Und außerdem die Leute, die sich die App aus nostalgischen Gründen herunterladen, nach fünf Minuten draufkommen, dass das Gameplay irgendwie echt fad ist, eigentlich nur Akku und Internet frisst und die daraufhin die App nie wieder öffnen.

Als ich dann ein Raupy fing, aber der Server mich einfach so rausgehaut hat, war das das purste 2002er-Gefühl, das man haben kann.

Damals beschränkte sich unser Naturerlebnis darauf, dass uns Eltern aus dem Haus jagten und wir draußen den dunkelsten Ort aufgesucht haben, um auf unseren Bildschirmen im hohen Gras Pokémon trainieren können. Wegen Pokémon kann ich zehn Stunden durchgehend auf einen Bildschirm schauen, ohne dass mir der Kopf wehtut. Nicht mal mein Studium hat mich so gut auf die Arbeitswelt vorbereitet. Heute schickt uns zwar das Gameplay raus, lässt uns aber nicht klug taktieren und zwingt uns zur Auseinandersetzung mit der echten Welt, inklusive Herumrennen.

Womit wir auch bei letztem Wochenende wären. Am Samstag ging nämlich der erste PokéWalk in Wien online. 5000 Interessierte und 1000 Zusagen bestätigten den Hype, den die Medien heraufbeschworen haben. Daraufhin gingen weitere Veranstaltungen online: Eine Pokémon Go-Party, ein Pokémon Go-Treff im Rahmen der Nippon Nation und die lustige Veranstaltung "Pokémon Go Spieler mit 16er Blech bewerfen", die so dermaßen von Pokémon Go Spielern geshitstormt wurde, dass der Veranstalter sie wieder abgesagt hat. Ich war sehr gespannt, wer von diesen 6000 Menschen tatsächlich zu dem ersten Treffen kommen würde.

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Wie sehen Menschen aus, die sich am Stephansplatz mit einem externen Akku treffen, um Pokémon zu fangen? Um das herauszufinden musste ich hin. Außerdem wollte ich endlich mal coole Pokémon fangen.

Die Veranstaltung stand schon im Vorhinein unter keinem guten Stern. Eigentlich war sie für 18:00 Uhr angesetzt und hieß "NightWalk". Nur leider waren für dieselbe Zeit irgendwelche Demos angemeldet und der gemeine Poké-Trainer hat mit Systemkritik wenig am Hut. Pokémon zu fangen, während irgendwelche Menschen auf irgendetwas wütend sind, ist auch wirklich doof. Somit wurde der Walk auf 14:30 Uhr vorverlegt. An einem Samstag. Damit fallen schon mal sämtliche Mitläufer-Spieler aus, die an Freitagen ein Leben haben und sich am Wochenende generell gerne betrinken.

Dann war auch noch das Wetter nicht so schön—als ich außer Haus bin, hat es bereits getröpfelt. Jedem wahren Poké-Trainer, der schon sein Dasein in Höhlen mit Zubats gefristet hat, macht so ein bisschen Wetter natürlich nichts aus. Aber es gibt nicht nur uns. Am Stephansplatz angekommen, habe ich echt lange und sehr genau schauen müssen, um zu erkennen, wer Poké-Trainer und wer nur Tourist ist und deshalb auf sein Handy starrt. Falls ihr es noch nicht mitbekommen habt: Die ganze Menschheit starrt aufs Smartphone und es ist gar nicht so leicht zu erkennen, wer jetzt tindert, whatsappt, instagramt, googlemapt oder eben Pokémon Go spielt.

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Wegen Pokémon kann ich zehn Stunden durchgehend auf einen Bildschirm schauen, ohne dass mir der Kopf wehtut. Nicht mal mein Studium hat mich so gut auf die Arbeitswelt vorbereitet.

Ich habe die Grüppchen dann doch relativ schnell gefunden—auch dank der drei Videokameras von TV-Sendern, die um sie herumstanden. Es waren schon auch Frauen da, aber die Männer waren in der Überzahl. Das Alter belief sich auf 14 bis 50—ich habe Mütter mit ihrem Kind und zwei Smartphones in der Hand gesehen. Ich habe Pärchen und Freundschaftsgruppen gesehen. Zwei Menschen waren wie Pikachu angezogen—es gab sogar einen eigenen Pikachu-Stand.

Leider kann ich echt nicht sagen, wie viele Menschen im Endeffekt da waren, da sich ja Poké-Spieler nicht kategorisch vom gemeinen Fußvolk unterscheiden. Als ich ins Spiel einsteigen wollte, gab es die erste echte Überraschung: Es ging nicht. Ich habe es mehrmals versucht, aber der Server ließ mich nicht durch. Also bin ich zu der nächstbesten Gruppe und habe sie gefragt, was los ist.

Die App ist am selben Tag offiziell im App- und Google Play Store online gegangen. Niemand konnte ins Spiel einsteigen. Heißt: Am Samstag waren mindestens 300 Menschen am Stephansplatz und konnten keine Pokémon fangen, obwohl sie genau deshalb gekommen waren. Heißt auch: Ich habe mich mit allen Spielern super unterhalten können.

Zum Beispiel habe ich dadurch den Tipp bekommen, in Schönbrunn und im Stadtpark auf Fang zu gehen, weil dort die besten Pokémon sind. Oder meine Wien-Karte herunterzuladen, um Akku zu sparen. Ein Typ hatte eine Seite offen, die den Status der Server anzeigte und hat sie den anderen laut vorgelesen. Wir haben uns über Arenen und Teams unterhalten—kurz gesagt: Die Pokémon Go Spieler vor Ort waren extrem nett, offen und hilfsbereit. Ja, sie waren auch ein bisschen Hardliner—ich war mit Abstand der schlechteste Spieler dort—, aber es hat mich ganz stark an meine Kindheit mit dem Link-Kabel erinnert.

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Kurz ließ mich der Server dann doch durch und ich habe tatsächlich gleich ein Tauboga gefangen, was mich ehrlich gefreut hat. Das gemurmelte "Hab ich schon" von der Nebengruppe hat sich wie ein Messerstich angefühlt, aber OK. Sie wollen eben die Allerbesten sein. Als ich dann ein Raupy fing, aber der Server mich einfach so rausgehaut hat, war das das purste 2002er-Gefühl, das man haben kann. Die größten Sorgen eines PokéTrainers waren eben schon immer die Batterien und der verdammte Spielstand.

Sexualpartner hätte man dort schon kennenlernen können—allerdings habe ich bessere Erfahrungen mit dem Resselpark als mit Hardliner-Treffen. Dort geht's halt echt um Pokémon und ein potenzieller Sexualpartner ist weniger wert als ein funktionierender Server. Nach einer Stunde Smalltalk mit anderen Spielern bin ich dann nachhause gegangen. Es ist nicht viel passiert, außer produktiver und netter Austausch.

Pokémon Go und Tinder sind sich eben nicht so unähnlich. Alle sind am Sammeln, es gibt einen Hype und in ein paar Monaten bleiben nur die Spieler übrig, die es wirklich ernst meinen. Den inneren Hippie wecken beide Apps in uns: Während Tinder das Bedürfnis nach der freien Liebe nährt, ist bei Pokémon Go das Alter, die Ethnie und das Geschlecht wirklich egal. Was zählt, ist der WP-Wert deiner Pokémon. Und das finde ich—in Anbetracht der Tatsache, dass Gamer an die frische Luft gehen müssen—ziemlich cool.

Fredi auf Twitter: @Schla_Wienerin