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Ich war am Filmabend des IZRS, wo der IS kritisiert aber der Dschihad gefeiert wurde

Inszenierter Ur-Islam, Koranverse zitierende Kinder und ein Film, der das Töten von Muslimen ebenso falsch findet wie Skinny Jeans.
Foto: Shamiran Stefanos

Vorletzte Woche besuchte ich in Oberwinterthur eine im Vorfeld umstrittene Filmpremiere. Der berühmt berüchtigte Islamische Zentralrat der Schweiz, kurz IZRS, zeigte den Streifen Al-Fajr as-Sâdiq über die Kämpfe in Syrien. 20 Minuten hatte bereits im Vorfeld über den Anlass im Hotel Römerhof berichtet, was Patric Illi, Sprecher des IZRS und Moderator des Abends, mehrmals als Gratis-Werbung verdankte. Ein Witz, den vor allem er lustig zu finden schien.

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Dennoch sträubte sich nach diesem Abend erst einmal etwas in mir, überhaupt darüber zu berichten. Ich frage mich ernsthaft, ob ich—Achtung: persönliche Meinung!—diesem Zirkus, den selbstgefälligen Vorzeigeköpfen und einer Veranstaltung, die sich nur an der Präsenz der Medien anzufeuern schien, überhaupt diese Plattform geben will. Böse Zungen würden ja behaupten, die Zentralrat-Vertreter wollen mit ihrem auffälligen, traditionellen Erscheinungsbild geradezu bewusst kokettieren, um im Gespräch zu bleiben. Um als etwas zu gelten.

Auch sagen jene Zungen, der Islamische Zentralrat sei gar kein Islamischer Zentralrat, sondern eine Splittersekte, die sich einer radikalen Auslegung des Korans bediene und den Titel unrechtmässig an sich gerissen habe. Und da diese böse Zungen mit dieser Einschätzung vermutlich Recht haben, muss man den IZRS beobachten.

In den Augen des IZRS sind diese Einschätzungen alles böse Verschwörung. Ja, alle Kritik sei eine böse Verschwörung der islamophoben Medien. Mit ihrer Selbstinszenierung von urislamischer Traditionskleidung auf käsig-blasser Haut bis hin zu dämlich-extremistischen Weisheiten und europäisch geträumten Arabismus, machten sie es den bösen Zungen aber auch fast zu einfach.

Um das mal klar zu stellen: Der IZRS ist wirklich kein Zentralrat der Schweizer Muslime, sondern ein ultrareligiöser Verein, der sich mit folgenden Hauptakteuren beschmückt: Präsident Nicolas Blancho, der intern auch „Sheikh" genannt wird und dem man beim gelangweilten Zuhören gerne ein Taschentuch für die ewig verstopfte Nase reichen würde. Sprecher Patric Illi heisst neu eigentlich Abdel Aziz Qaasim Illi, aber sein schweizerisches, im Rachen gerolltes „R" wird sein Leben lang an jenen Patric erinnern, der früher mal Mitglied bei der AUNS (!) war (was er in dieser Arena-Sendung ungern zugab).

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Naim Cherni ist IZRS-Kulturproduzent und somit Macher des besagten Films. Seine Ex- Frau, Ferah Ulucay, ursprünglich kurdische Alevitin, ist Generalsekretärin und momentan mit irgendeinem anderen der vorhin genannten Herren verheiratet und zwar als Zweit- oder Drittfrau. Ganz genau wissen das Aussenstehende wie ich aber nicht. Ausserdem an jenem Abend als Fotografin anwesend: Fitore Sinanaj, kosovarischer Abstammung. Sie war einst in den Medien, weil sie in einem Kommentar einen umgekommenen Al-Qaida-Dschihadisten verehrte. Auch sie sei angeblich mit Blancho verheiratet (als zweite oder dritte oder sechste Frau).


Der islamische Staat:


Die Sekte wird von grosszügigen Netzwerken aus dem Ausland finanziert, von Kuwait bis Saudi-Arabien. Ebendieser Art des Islams eifern sie auch nach. Die mehrheitlich modernen und anderen Muslime—natürlich auch Atheisten, Christen und Juden—sind für sie Kuffar, also „Ungläubige". Wie zum Beispiel der Berner Imam Mustafa Memeti, der sich für einen zeitgemässen Islam einsetzt oder die Mitglieder des „Forum für fortschrittlichen Islam". Beinahe systematisch werden diese nach IZRS-kritischen oder zu freiheitlichen Äusserungen von IZRS-Fanboys auf den sozialen Netzwerken verunglimpft.

Aber zurück zum Abend: Muskelbepackte Männer stellten sich als freundliche Eingangskontrolleure auf. „Männer und Frauen sitzen getrennt", liess uns einer wissen. Ich setzte mich als eine von etwa drei unverhüllten Frauen auf die rechte Seite des Saals. Ich fühlte mich beobachtet. Gekommen waren nicht 250 Personen, wie von der IZRS behauptet, sondern aufgerundete 150—wenn man die Kinder dazu zählte. Es waren fast nur Protagonisten aus eigenen Reihen, die meisten Familien.

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Obwohl sie sich nach dem Arabertum ihres Propheten Mohammed zu sehnen schienen und auch in ihre Reden arabische Floskeln einbauten, stammte höchstens ein sehr nett geschätzter Viertel wirklich aus dem semitischen Raum und diese Zahl kommt auch nur zustande, wenn man meine männliche Begleitung und mich mit einschliesst. Für unsere Ohren klang das Arabisch ohnehin schon lächerlich. Ihr Islam ist eine Form von Wahhabismus, den man hier auch als Salafismus versteht. Sie träumen von einem Leben nach Scharia-Gesetz in einer Parallelgesellschaft.

Bevor der vierzigminütige Film beginnt, entschuldigt Illi die Abwesenheit des Filmemachers Cherni. „Verpflichtungen im Ausland", sagt er geheimnisvoll und als Kinder auf die Bühne geholt werden, um Koranverse aufzusagen, fragt er eines davon, ob es die Verse in der Schweiz gelernt habe. Und zwar mehrmals und extra deutlich, damit es die anwesenden Medienvertreter auch nicht überhören. Auf mich wirkt es so, als erwarte Illi schon die kritischen Berichte im Nachhinein, auf die er dann wieder mit dem Vorwurf der Islamophobie antworten könnte.

Alle Fotos von der Autorin

Dann endlich der Film: Er handelt vom jungen Filmemacher Cherni, wie er aus der Schweiz nach Syrien reist und die Situation vor Ort wiedergeben will. Die Darstellung solle zeigen, warum der Islamische Staat schlecht sei, so hiess es aus IZRS-Reihen. Klingt erstmal gut, würde man meinen.

Leider sind die im Film propagierten Absichten aber andere: Der IS ist zwar schon verwerflich, aber vor allem, weil er andere Muslime töte. Mit keiner einzelnen verurteilenden Silbe wird die Tötung von Apostaten (sich vom Islam Abgewandte), Andersgläubigen und Homosexuellen erwähnt, noch die Versklavung von Frauen. Cherni meint in der Off-Stimme, er könne sich auch nicht vorstellen, einen Muslim zu töten. Vom allgemeinen Töten jedoch rät keiner ab und bei den Gewaltszenen zwischendurch fragte ich mich, warum man Kinder an so eine Veranstaltung einlädt.

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Im Film wird die Jaysh al-Fatah-Gruppe hochgelobt. Das sind Islamisten aus Al-Qaida/Nusra-Reihen. Deren interviewter Vertreter, Abdallah al-Muhaysni wird nach kurzer Recherche als Schlächter erkennbar, der gerne mit Leichen posiert. Er ist einer von vielen nicht-syrischen „Rebellen"-Anführern, der stolz darauf zu sein scheint, Syrien von „Ungläubigen" zu säubern. Er selber ist saudischer Abstammung. Ungläubig in Syrien sind seiner Meinung nach Anhänger der Assad-Regierung, weil Assad Alawit ist und somit einem Islamischen Gottesstaat im Weg stehen würde. Und auch die von ihnen erwähnte „kurdische Kommunistenpartei" YPG gehört vernichtet, da gottlos.

Zudem wolle al-Muhaysni die Scharia in seinem „befreiten" Gebiet immer mehr umsetzen. Das Zigarettenverbot stehe noch an, aber das grösste Übel, die engen Hosen an Frauen, sei beseitigt. Als er das sagt, schaue ich runter auf meine Highwaist Skinny Jeans und muss schmunzeln.

Im Film wird ein Alkoholladen gezeigt—von al-Muhaysni komplett zerstört. Cherni scheint das zu gefallen. Kein einziges Mal wird von der Ausreise nach Syrien abgeraten. Die Kämpfer für einen golfarabischen Islam in der Levante werden sogar glorifiziert. Nach dem Film folgte eine Auktion, in der Geld für Syrien gesammelt wurde. Für was es genau genutzt wird, ist mir nicht bekannt.

Vor dem Film meinte Illi, es handle sich um eine innerislamische Debatte, die im Film wiedergegeben wird. Mir scheint es eher eine innerislamistische Debatte zu sein. Als würde man die einen Rechtsextremisten gegen andere Rechtsextremisten loslassen und danach behaupten, es sei eine gesamtschweizerische Auseinandersetzung. Und der IZRS scheint zumindest für eine der Parteien durchaus Sympathien zu hegen.

Während der schleppend laufenden Auktion schreibt mir mein Begleiter eine Nachricht: „Ich halte die strengen Körpergerüche auf der Männerseite nicht mehr aus. Lass uns gehen." Mir ist es Recht. Auch ich hab genug gesehen, gehört und gerochen. Bei grundsätzlich allen Arten von Indoktrinierungen und besonders bei religiös-irrationalen, frage ich mich jedes Mal, wie und wo sie zum Teufel ihre hörigen Anhänger auflesen und zwar umso mehr, wenn die Entstehung der Gemeinschaft keinem ethnisch-kulturellen Prozesse entspringt. Und die Ideologie dermassen rückwärtsgewandt ist.

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