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Ich war an einer Heilungskonferenz, um mit dem Rauchen aufzuhören

Drei Stunden Schreipredigt haben mein Nikotinverlangen sogar noch gesteigert.
Foto von Wikipedia; Aviv ben Jehuda

Rauchen gilt wirklich als das Letzte, sagt die Gesellschaft. Und die ist mir eigentlich egal. Die Gesellschaft sagt auch, dass Fleisch das neue Rauchen sei. Aber trotzdem bin ich dauernd erkältet und verschleimt. Ich keuche durch das Leben. Das ist ein Fakt—mein Körper sagt mir, dass das Rauchen nicht gut für mich ist.

Ich habe schon viel probiert: Vom Nikotinkaugummi bis zu (Gratis-Probe-)Beratungsstunden bei eher esoterisch angehauchten Therapeuten. Als mir im HB also der mehr schlecht als recht von Google Translate übersetzte Flyer für eine christliche Heilungskonferenz in die Hand gedrückt wurde, dachte ich: Rauchstopp-Mittel sind sowieso falsche Versprechen, also kann ich es auch mit so einer Konferenz versuchen. Deshalb schaute ich mir das Ganze aus der Nähe an.

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Foto von der Autorin

Die Konferenz findet in einem grossen Saal mit zirka 70 Sitzplätzen statt, bis jetzt sind mit mir aber erst 20 Leute da. Ich setze mich in eine der hinteren Reihen. Auf der Bühne singt ein Frauenchor bereits christliche Lieder auf Französisch und in der vordersten Reihe stehen drei Männer im Anzug mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen. Wahrscheinlich die Pfarrer. Als das Lied fertig ist, stellt sich einer von ihnen ans Rednerpult und bittet die Anwesenden in die vorderen Reihen aufzurücken. Er sieht mir dabei direkt in die Augen. Die ungewollte Aufmerksamkeit stresst mich und das Verlangen nach einer entspannenden Dosis Nikotin wächst.

Während die Besucher seiner Aufforderung Folge leisten, predigt er weiter (auf Französisch) und erhält regen Beifall. Hallelujahs und Amens wabern durch den Raum und gestreckte Arme ringen um die göttliche Präsenz. Was der Pfarrer sagt, verstehe ich grösstenteils nicht, obwohl oder gerade weil er seine Worte ins Mikro schreit wie ein Rockstar.

Eine Frau, die im Chor mitsingt, hat inzwischen das Wort ergriffen. Sklaven, sagt sie, hätten früher in Fussfesseln gesungen und getanzt, während sie die Arbeit ihrer Herren verrichteten. Sie aber hätte keine Fesseln. Das Publikum kreischt vor Freude und beginnt, ausgelassen zur einsetzenden Musik des Chors zu tanzen, was wahrscheinlich die Botschaft der Predigt gewesen ist. Sogar ich kann mir ein subtiles Wippen mit dem rechten Fuss zum Highlife nicht verkneifen.

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Foto von ValeriaRodriguez; Pixabay; CC0 1.0

Immer mehr Menschen betreten den Raum und der Chor setzt wieder ein. Mir fällt auf, dass die Anwesenden 100 Prozent afrikanischer Herkunft sind, kein einziger Weisser weit und breit. Nach einer Stunde Gesang und Predigt verdrücke ich mich nach draussen … Um … Um zu rauchen. Die Frau am Eingang hält mir die Tür auf und lächelt mich an.

Als ich nach einer kurzen Zigarettenpause zurückkomme, ist der erste der angekündigten Heiler erschienen, Marc Masson, Franzose, Gesicht wie ein PR-Berater von Scientology. Er wird als „der General" angekündigt und mit tosendem Beifall und leidenschaftlichen Rufen willkommen geheissen. Sein Zahnpasta-Lächeln blendet mich beinahe.

Screenshot von Facebook

„Es gibt genau zwei Arten von Menschen in diesem Saal, die Sitzende und die Stehende." Er scheint es als Beweis von Gottesehrfurcht zu verstehen, wenn man sich erhebt und so stehen denn auch alle Anwesenden binnen Sekunden auf, inklusive mir. Ich will nicht auffallen und hoffe, dass die Kranken und Süchtigen bald nach vorne gelassen werden. „Was bedeutet es, etwas nicht zu wissen?", fragt er das Publikum. Diese Frage wiederholt er etwa fünf Mal, jedes Mal eine Tonlage höher und gefühlte 100 Dezibel lauter. „Nun, es bedeutet, etwas nicht zu wissen", lautet seine Antwort. „Man soll niemanden verurteilen, erst recht nicht, wenn man ihn nicht versteht."

Er redet sich immer mehr in Rage, schreit, als ob er die Mission hätte, den Teufel höchstpersönlich aus dem Saal zu vertreiben. Dabei bedient er sich nicht nur Worten, sondern auch Geräuscheskapaden oder wie man es im Volksmund nennt: Kauderwelsch. Ich kann das aufkommende Lachen nicht mehr unterdrücken und tue, als müsste ich husten. Der Rest des Publikums ist hingegen inbrünstig dabei, seine nicht vorhandenen Inhalte anzupreisen, Frauen werfen sich auf den Boden, weinen, rufen „Amen". Ich glaube immer mehr, in einer geschlossenen Psychiatrie gelandet zu sein. Der Typ macht mir Angst, je länger er redet. Und immer noch fragt niemand, ob es Kranke gibt, die geheilt werden wollen.

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Screenshot von Facebook

Meine Sitznachbarin fragt mich, wann die Zeremonie angefangen hat. Um zehn. Inzwischen ist es übrigens zwölf. „Ist der Prophet als nächstes dran?" Ich weiss nicht, wen sie meint „Keine Ahnung, denke schon." Der Prophet kommt tatsächlich fünf Minuten später, inklusive Dolmetscher, welcher die bis zur Unkenntlichkeit krakeelten Parolen auf Englisch übersetzt. Endlich verstehe ich mehr von den unzähligen Bibeltexten, Floskeln und Rufen. Dachte ich jedenfalls. Denn jedes Mal, wenn der Übersetzer seinen Satz gerade beenden will, schreit ihm der Prophet (aka David Storm) ins Wort und die gesamte Aussage bleibt sinnentleert.

Screenshot von Facebook

Als ich zum dritten Mal auf die Uhr schaue, ist es bereits 01:00 Uhr. Nichts mit Heilungsprozeduren bis jetzt. Drei Stunden Schreipredigt reichen mir, ich habe Hunger und mir ist sterbenslangweilig. Ob nach ewigen Stunden noch jemand geheilt wurde, kann ich nicht sagen, denn ich bin raus und habe geraucht. Drei Kippen hintereinander. War wohl nichts mit christlichem Wunderheiler! Noch nicht mal versucht, haben sie es.


Titelbild von Wikipedia; Aviv ben Jehuda; CC BY-SA 1.0