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Ich war bei den Zürcher Hippies, deren Haus zwangsaufgemotzt werden soll

Die Stadt Zürich will das Haus dieser Selbstversorger in eine weitere Züri-Villa verwandeln.
Foto: Sascha Britsko

Sie wohnen zwischen den millionenschweren Züri-Villas im Kreis 7 und verfolgen die Idee von einem humanen und friedlichen Leben. Sie sehen aus wie du und ich. Der grosse Unterscheid ist aber, dass sie ihr Glück nicht von bürgerlichen Werten und den entsprechenden Wohlstandsidealen abhängig machen, sondern barfuss herumlaufen, ihr eigenes Essen in ihrem eigenen Garten anbauen und sich (so gut es eben möglich ist) der Konsummühle unserer Gesellschaft entziehen.

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Jetzt ist aber das Leben, so wie diese Freidenker es führen, bedroht: Da das Haus, in dem sie wohnen, baufällig ist, will die Stadt Zürich es zwangsrenovierten lassen. Aus finanziellen Gründen könnten sie sich das Leben in dem renovierten Haus dann nicht mehr leisten. Ich habe die betroffenen Selbstversorger besucht und mir angehört, wie sie gegen die Zwangsaufmotzung ihres Zuhauses ankämpfen.

Unscheinbar aber doch riesig steht das alte Bauernhaus der zehn Studenten und selbsternannten Hippies inmitten prächtiger Neubauten da. Drei Mal verlief ich mich, bis ich endlich den leicht versteckten Eingang des Hauses am Burenweg 28 in Witikon gefunden habe.

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Ein Leben an einer solch phänomenalen Lage könnten sich die sechs bis zehn (je nachdem wie viele gerade im Land sind) spärlich verdienenden Studenten theoretisch niemals leisten, wäre da nicht die Organisation Jugendwohnnetz. „Das Haus gehört eigentlich der Stadt, wird aber von der JUWO an Studenten und Jugendliche zu einem günstigen Preis untervermietet", erklärt mir Livio, einer der Selbstversorger.

Aus dem einst bunten Haufen Studenten ist längst eine Genossenschaft geworden. Ihr Name KuRt—Kraut und Rüben teilen—ist dabei Programm: Das Gartenprojekt, bei dem nach ökologischen Grundsätzen angebaut wird, steht für alle Interessenten offen. „Wir bauen vor allem Kräuter und Gemüse in unseren zwei Gärten an. Manchmal auch Kartoffeln und Getreide.", erzählt er weiter. „Natürlich lehnen wir Technik nicht gänzlich ab, das wäre ja auch in der heutigen Zeit gar nicht möglich. Aber wir versuchen, unseren Konsum auf ein Minimum zu reduzieren.", fährt Livio fort. Da das Selbstversorgen einer Zehnköpfigen Gruppe viel Aufwand und Zeitinvestition bedeuten, studieren oder arbeiten die Bewohner des alten Bauernhauses alle nur Teilzeit. Täglich müssen nämlich zwei von ihnen die Gärten hüten.

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Und so hätte ihr Leben auch weitergehen können. Doch wie das mit alten Bauernhäusern so ist, müssen sie früher oder später restauriert werden, da sie ansonsten in sich zusammenfallen. „Das Fundament ist morsch und das Dach lässt durch. Beides muss dringend erneuert werden", sehen auch die Selbstversorger ein.

Das hat die Stadt Zürich auch vor, und zwar im grossen Stil: Da das Haus über 400 Jahre alt ist, steht es unter Denkmalschutz. Nichtsdestotrotz möchte die Stadt es von Kopf bis Fuss „auf Vordermann" bringen. „Die Miete würde schneller in die Höhe schnellen, als dass wir „Selbstversorger" sagen könnten", witzelt Livio. Das Haus soll nach dem denkmalgerechten Umbau wiedervermietet werden. Nur würde es nicht mehr unter den Bedingungen der JUWO zur Miete stehen und wäre somit mit einem Studenteneinkommen nicht bezahlbar. Die Zürcher Stadt-Hippies wären also gezwungen ihr Selbstversorgerdasein aufzugeben.

Deshalb kämpfen die Bewohner jetzt dafür, dass ihr Haus lediglich substanzerhaltend umgebaut wird: Um gegen die Zwangsaufrüstung ihres Hauses vorzugehen, haben sie eine Petition lanciert und bereits eintausend Unterschriften für die nötige Rechtskräftigkeit gesammelt. Dabei geben sie auch eine Reihe von Gründen an, weshalb ihre Kommune einen echten Mehrwert für ihre direkte Umgebung bietet:

Sharing is caring

„Unser Garten ist ein Gemeinschaftsgarten. Jeder ist hier willkommen sein eigenes Gemüse anzupflanzen."

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Aber nicht nur das: Sie hüten den Garten auch. Wer also nicht die Zeit hat, jeden Tag vorbeizukommen und seine Zucchini zu giessen, kann nach drei Monaten wiederkommen und sein von Hand gesätes Gemüse abholen. In einer Stadt wie Zürich, wo der Durchschnittsstudent ein 12 Quadratmeter Zimmer besitzt und sein Essen bei einem Grosshändler beziehen muss, von dem er nicht weiss, unter welchen Umständen es gezüchtet wurde, ist das eine einmalige Gelegenheit.

Alte Werte, alte Sitten

„Es ist doch viel geiler, einen persönlichen Bezug zu seinem Essen zu haben."

Eines der wichtigsten Dinge auf dieser Welt ist es, neues Wissen zu erlangen und weiterzugeben. Aber nicht nur das neueste Wissen ist das beste Wissen. Auch alte Bräuche und Werte sollten nicht verloren gehen. Früher gab es keine Grosskonzerne, die dir dein Essen gleichförmig und in bunten Verpackungen serviert haben und die Menschheit ist gut damit zurechtgekommen. Bei den Selbstversorgern können (Nachbars)Kinder nach Lust und Laune vorbeikommen und bei der Arbeit im Garten mithelfen. So bekommen sie einen Einblick in eine Welt, in der Kinder noch nicht dachten, dass die Milch aus dem Coop kommt.

Kinder- und familienfreundlich

„Die Kinder haben immer einen riesigen Spass!"

Das Bauernhaus am Burenweg hat auch kulturellen Einfluss auf seine Umgebung: Wöchentlich finden hier verschiedene Anlässe für die ganze Nachbarschaft statt. Beispielweise kochen die Hippies jeden Donnerstag ein veganes Abendessen bei dem jeder willkommen ist. Regelmässig veranstalten sie auch Kinderfeste und Bastelstunden mit witzigen Aktivitäten wie Pizzabacken.

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Eine Bereicherung für die Gemeinde

„Jeden Freitag meditieren wir gemeinsam und bieten immer wieder kostenlose Workshops an."

Soziale Durchmischung ist das A und O einer guten Gemeinde. Sei es ein Workshop über die Herstellung von Kräutersalbe, Konfitüre oder ein Gartenprojekt, bei dem jeder mit anpacken kann: Hier sind immer alle herzlich willkommen.

Gegen Windmühlen kämpfen

„Im September kommt unsere Petition vor den Stadtrat. Dort sehen wir eine kleine Chance das Umbau-Projekt zu stoppen", erklärt mir Livio. Viel Hoffnung scheinen die Zürcher Selbstversorger aber trotzdem nicht mehr übrig zu haben. „Wenn wir ehrlich sind, sind unsere Bemühungen lediglich ein Tropfen auf den heissen Stein. Verhindern können wir den Umbau kaum, höchstens ihn hinauszögern.", sieht Livio ein. „Wenn der Stadtrat die Petition anerkennt, wird die Stadt das Haus, da es ja ihr Eigentum ist, an den Höchstbietenden Züri-Geldsack verkaufen. Dieser wird die Restaurierung schliesslich aus eigener Tasche finanzieren. Dadurch bekommt die Stadt trotzdem den Profit und muss sich nicht mit lästigen Hippie-Studenten herumschlagen."

Alles Weitere, das ihr über die Zürcher Hippies und ihr Haus wissen wollt, findet ihr hier.

Tipps zum Selbstversorgerdasein nimmt Sascha auch auf Twitter entgegen: @saschulius

Vice Schweiz auf Twitter: @ViceSwitzerland