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Wir haben den 19-jährigen Flüchtling getroffen, der in Deutschland Pornos dreht

In dem Film 'König der Araber' hat er Sex mit einer Kriegsgefangenen. Er sagt, er wolle damit auf das Leid in seiner Heimat Syrien hinweisen.
Foto: Mit freundlicher Genehmigung des Protagonisten

Ein syrischer Flüchtling, der in Deutschland zum Pornostar wird—es klingt, als ob die AfD oder das Compact-Magazin sich diese Story ausgedacht hätte. Seht her: ein Araber, der hierherkommt, um sich sexuell auszuleben!

Pornos, in denen Antonio Suleiman zu sehen ist, heißen Cheating Milf oder König der Araber, in dem er mit einer Kriegsgefangenen schläft. Letzteres wird mit der Zeile "Syrian refugee fucking a hot girl" vermarktet. Die Handlung geht ungefähr so: Er liegt mit goldenem Umhang auf dem Bett, trinkt aus einem goldenen Kelch und isst Trauben. Sie wird barfuß hereingeführt, vorbei an Kerzenständern, die leichtes Licht werfen. Irgendwann nimmt er sie von hinten. Zu der britischen Boulevardzeitung Daily Star, die über das Video berichtete, sagte Antonio Suleiman, er wolle mit dem Film auf die Leiden in seinem Land hinweisen, auf die Unterdrückung von Frauen unter dem IS, vor dem er geflohen ist.

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Foto: Screenshot aus Antonio Suleimans Porno 'König der Araber' auf easyporn.tv

Dass ein Porno—und vor allen Dingen einer mit dieser Handlung—dafür eine seltsame Form ist, weiß er eigentlich selbst: "Respekt kann man in der Branche vergessen", sagt er. Wir sitzen in einem Café nahe des Jungfernstiegs in Hamburg. Antonio, der nach eigenen Angaben 19 ist, trägt viel Wachs in den Haaren und ein Polo-Shirt, das seine Brustmuskeln betont. Wirklich gut fände er den Job als Pornodarsteller nicht: "Pornos sind für die Leute wie Medizin. Sie schauen das an, weil sie das brauchen, wegen der Wirkung", sagt er. Er wolle richtiger Schauspieler werden, nicht in Pornos, sondern in Hollywood-Streifen. Aber bei deutschen Filmproduzenten sei er nicht angekommen. "Alles Rassisten", sagt er. "Die erste Frage war immer: 'Woher kommst du?'" Geklappt habe es nie.

Antonio mag nicht ganz Unrecht haben: Noch immer spielen etwa türkische Schauspieler häufig Rollen wie Gemüsehändler oder Terroristen—weil ihnen keine anderen angeboten werden. Schwarze Schauspielerinnen bekommen oft nur Rollen als Putzfrauen oder Prostituierte. Wollte er beweisen, dass die Marke Pornostar nicht nur westlichen weißen Männern vorenthalten ist? Wollte er ein Zeichen setzen?

Ich zeige ihm ein Bild, das er als @syrian_pornstar auf Twitter gepostet hat: er vor einer weißen Wand, nackt, steifer Penis. Bildunterschrift: "Do you want to suck my dick? #pornstar". Er muss sich zurückhalten, um nicht zu lachen wie ein Schuljunge, der von einem Streich erzählt. "Die Leute fragen mich, ob ich solche Bilder posten kann, also mache ich das." Es wirkt, als mache er sich nur wenig Gedanken.

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Once i read the news about my career for first time pic.twitter.com/795rKLJYSc
— antonio suleiman (@syrian_pornstar) 14. August 2016

Seine Vermarktungsstrategie als Flüchtlingspornostar und Videos wie König der Araber sind bestenfalls schlechter Geschmack. "Ich will berühmt werden, egal wie", sagt er und lächelt. Er sieht dabei bubenhaft aus, als sei seine ganze Pornokarriere ein Scherz. Er sagt, er sei 19 Jahre alt. Wann er genau geboren wurde, will er aber nicht sagen. Seine Begründung: Als arabischer Pornodarsteller bekommt er Anfeindungen und möchte von gewissen Menschen nicht gefunden werden.

Wegen der Drohungen soll auch keiner genau wissen, wo Antonio Suleiman wohnt. In Hamburg sei er bei seinem Onkel, der ihn auch mit dem Auto zum Interviewtermin gefahren hat. Anderen Medien hatte Antonio gesagt, er wohne in Berlin. "Ich bin überall, ich bin international", windet er sich um die genaue Angabe.

Antonio ist nicht der einzige Pornodarsteller aus dem Nahen Osten, der auf Facebook und Twitter angefeindet wird. Mia Khalifa, die im Libanon geboren wurde und inzwischen in den USA wohnt, spielte 2014 in einem Porno mit, in dem ein weißer "Motorradfahrer", seine "Freundin aus dem Nahen Osten" und ihre "Stiefmutter" Sex haben. Während der ganzen Szene tragen die beiden Frauen Hidschābs. Trolle drohten daraufhin, ihr den Kopf abzuhacken. Die Familie von Mia Khalifa war bestürzt, schrieb in einem Statement: "Wir hoffen, dass sie wieder zu Sinnen kommt, da ihr Ruf ihrer Familie und dem Libanon keine Ehre macht."

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Auch Antonio Suleiman hat der Bild erzählt, seine Familie habe sich nach den Pornos von ihm losgesagt. Aber was ist mit dem Onkel, der ihn zum Interview kutschiert hat? "Na ja, nicht alle, die Hälfte ungefähr", korrigiert er. "Meine Eltern finden es nicht gut, dass ich Pornos mache. Die haben gesagt, ich soll nie wieder anrufen." Er sagt das so unemotional, als würde er erzählen, dass er gleich noch eine neue Seife fürs Bad kaufen geht. Der Satz "Es verletzt mich ein bisschen", den er schulterzuckend nachschiebt, ändert daran nichts. Kann es wirklich sein, dass es einen 19-Jährigen nicht berührt, wenn seine Eltern nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen, weil er einen Job macht, den er selbst gar nicht so gut findet?

"Ich wollte einfach nur berühmt werden." Glücklich sieht er dabei nicht aus | Alle weiteren Fotos von der Autorin

Was er über sich erzählt, wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet. Seine Geschichten sind voller Ungereimtheiten. Dass Menschen nach der Flucht oft Schwierigkeiten haben, ihre eigene Biografie chronologisch zu erzählen, kommt vor. Trotzdem werfen die Inkonsistenzen auch die Frage auf, was von dem, das er erzählt, stimmt. Überprüfen lässt sich seine Geschichte nicht.

2012 sei er aus Aleppo vor dem Krieg geflohen, sagt er. (Anderen Medien erzählte er, er sei mit Verwandten geflohen; uns sagt er, sie hätten ihn alleine vorgeschickt.) Seine Familie in Syrien habe gut Geld gehabt, sein Vater eine Autowerkstatt besessen. Mit knapp 16 Jahren sei er alleine mit dem Auto von Syrien über die Türkei nach Griechenland gefahren und dann mit gefälschtem Pass nach Deutschland geflogen. "Eigentlich wollte ich weiter, nach England oder Amerika, aber ich wurde am Flughafen in Köln erwischt." Er habe zwei Jahre bei Verwandten in Köln gelebt und sei dort in die neunte und die zehnte Klasse gegangen. Mit 17 habe er aufgehört, zur Schule zu gehen. Warum? "Egal, was man hier machen will, es ist so viel Arbeit: Schule, Studium …" Vielleicht ist genau das die Begründung für seine Pornoambitionen: der Wunsch, schnell und einfach etwas zu erreichen.

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In Syrien sei er Schauspieler gewesen, erzählt Antonio. Wie kann das sein? Schließlich war er noch nicht einmal 16 Jahre alt, bevor er nach Deutschland kam. Wo hat er gespielt, im Schultheater? "Nein, nicht in der Schule, ich hatte private Kontakte", sagt er. Und: "Man muss doch nicht auf einer Schauspielschule gewesen sein, um Schauspieler zu werden." Auf die Frage, in welchen Theatern oder Filmen er zu sehen war, weiß er keine Antwort. "Drama und Comedy", sagt er nur. Der Rummel um seine Person habe ihm gefallen. "Das war schön, wenn Frauen, Männer, Mädchen zu mir gekommen sind: 'Hey, ich kenne dich.'"

Als er keine Rollen in Deutschland bekam, habe er angefangen, sich Pornoproduzenten vorzustellen. Vor einem Jahr in Amsterdam hatte er sein erstes Pornocasting. Er lehnt den Kopf schief zur Seite und grinst. "Es war das erste Mal, dass ich so etwas gemacht habe, und ich war gut." Die Konkurrenz in der Branche sei groß. "Es ist schwer. Alle Männer denken immer, es sei ein super Job, aber es ist schwer, vor der Kamera einen hochzukriegen. Das ist nicht so leicht wie zu Hause." Für die ersten Filme habe er 500 bis 1.000 Euro bekommen, mittlerweile mehr. "Ich will weiter eigene Filme drehen", sagt er. "Als Regisseur und Schauspieler."

Er erzählt, dass er einen Film über Rassismus drehen will. Keinen Porno, sondern einen Kinofilm über seine Erfahrungen in Deutschland: "Hier sind Deutsche gegen Türken, Türken gegen Araber und alle gegen alle", sagt er. Als er das erzählt, ist es einer der wenigen Momente, in denen er ehrlich wirkt. Dann zeigt er auf seinem Handy den Trailer zu LoveLove von Gaspar Noé. Ein Film mit Kunstanspruch mit sehr expliziten Sex-Szenen, der auf dem Filmfestival in Cannes zu sehen war. Ein amerikanischer Filmstudent und seine französische Freundin lassen sich auf eine wilde Amour fou mit ihrer bildschönen Nachbarin in Paris ein, woran ihre Beziehung zerbricht. So soll sein nächster Porno werden, sagt Antonio. "Ein romantischer Film mit einer Geschichte, darauf stehen Frauen doch." Im Moment aber ist er nicht in Cannes sondern unter Schlagworten wie "anal", "hardcore porn" oder "arab fucking" auf Pornoseiten zu sehen.

Antonio Suleiman post am Jungfernstieg in Hamburg

Je größer die Worte, mit denen er um sich schmeißt—Cannes, Regie führen, Kunstfilme—, desto verlorener wirkt er. Er erzählt von Kontakten in Amerika und klingt wie ein Start-up-Gründer, der über seinen nächsten ganz großen Wurf erzählt, ohne genau sagen zu können, welches Produkt er herstellt. Dabei hat er den Gesichtsausdruck eines Jugendlichen, der nicht weiß, wie ihm geschieht.