Ich wollte zum Grundwehrdienst, aber es war scheiße
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Ich wollte zum Grundwehrdienst, aber es war scheiße

Ich habe mich bewusst für den Grundwehrdienst entschieden, weil ich an ein gesund funktionierendes Bundesheer geglaubt habe. Erst dort wurde mir klar, wie scheiße und leidvoll die „Ausbildung" zum Gefreiten ist.

Keiner unserer Redakteure hat Grundwehrdienst beim Bundesheer geleistet. Lässt man sich von seinem Umfeld über diese Zeit erzählen, bin ich eigentlich auch ganz glücklich darüber, mich nicht für den Dienst beim Heer entschieden zu haben. Krieg spielen, stundenlang in Stirnreihe stehen, und Unterwerfung in ungesunden Dosen sind Punkte, von denen ich mich nicht wahnsinnig angesprochen gefühlt habe. Außerdem habe ich im Rahmen meines Zivildienstes gratis eine Ausbildung zum Rettungssanitäter bekommen, was ich bei weitem nützlicher fand, als eine perverse Liebesbeziehung mit „seiner" Waffe einzugehen.

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Abgesehen von den kriegswütigen Jugendlichen, die es wahrscheinlich gar nicht erwarten können, ihre (hoffentlich) erste Waffe in den Händen zu halten, ist das Hauptargument für die Disziplinierung beim Heer wohl die kürzere Dauer. Zugegeben: kaum einer meiner Freunde war beim Bundesheer, aber die wenigen, die dort waren, meinten genau das. Lieber sechs Monate autoritäre Knechtschaft als neun Monate lang einen schlecht bezahlten Beitrag für die Zivilgesellschaft leisten.

Für mich war das nie ein Argument. Auf Erlebnisse wie „Ich wurde beim Rauchen erwischt und musste mich zur Bestrafung in die Mitte des Kasernenhofs setzen und fünf Zigaretten hintereinander rauchen, während die gesamte Kompanie um mich versammelt war und so lange Liegestütz machen musste, bis ich fertig geraucht hatte" kann ich gerne verzichten. Disziplin schön und gut, aber nicht auf Kosten meiner Würde. Ob die alte Horrorgeschichte „Liegestütz in der Dusche bei voll aufgedrehtem Kaltwasser bis der Rekrut an einem Herzinfarkt gestorben ist" wirklich wahr ist, konnte ich allerdings nicht herausfinden.

Klar, heutzutage hat sich der Grundwehrdienst in Sachen Nutzerfreundlichkeit im Vergleich zu früher stark verbessert. Ein Streichelzoo ist es wahrscheinlich trotzdem nicht. Für mich ist alles, was mit Heer und Waffen zu tun hat, immer noch eine völlig fremde Welt. Wie eine Fremdsprache, die ich nicht lernen möchte. Trotzdem wollte ich wissen, ob es dort wirklich so wild zugeht, wie ich es mir in meinem Kopf ausmale. Aus diesem Grund habe ich mich mit einem ehemaligen Grundwehrdiener getroffen, der sich bewusst für die Wehrpflicht entschieden hat. Er hat mir erzählt, wie er die Zeit dort wahrgenommen hat—ich habe seine Geschichte für euch niedergeschrieben.

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Ich habe mich aus zwei Gründen für den Dienst beim Heer entschieden. Zum einen, weil er kürzer dauert als der Zivildienst. Zum anderen, weil ich mich einfach nicht als Zivildiener gesehen habe. Mir hat das ganz System mitsamt der schlechten Bezahlung nicht zugesagt. Ich wollte nicht den ganzen Tag irgendwo unbeschäftigt herumsitzen oder mit dem Auto die Gegend auf- und abfahren. So war zumindest meine Vorstellung vom Wehrersatzdienst.

Damals habe ich in gewisser Weise an das Funktionieren des Bundesheeres geglaubt. Ja, ich wurde härter rangenommen, aber ich konnte auch lernen, wo die Grenzen meines Körpers liegen. Dazu kam, dass mir diese Kameradschaft, dieses Gruppengefühl sehr getaugt hat. Wenn 180 Menschen komplett gleich gehandhabt werden und jeder versuchen muss, sich durchzukämpfen, ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen, hat das schon einen gewissen Reiz. Im Nachhinein war es eine lustige Zeit, wobei ich zwischendurch auch oft „Wo zur Hölle bin ich hier?" gedacht habe.

Meinen Wehrdienst habe ich 2013 absolviert und dabei viele Erfahrungen gesammelt. Ein paar gute und ein paar wirklich verstörende mit vielen innerlichen WTF-Ausrufen meinerseits. Grundsätzlich ist die beste Taktik, die du für den Wehrdienst wählen kannst, Mund halten und Gehirn ausschalten. Das klingt hart, aber so ist es. Dann kann dir auch nicht viel passieren.

Gedanken wie „Wozu mache ich das jetzt?" muss man schlicht und einfach unterdrücken. Wenn du mit dem Nachdenken oder Hinterfragen anfängst, machst du dir dein Leben dort schnell schwer. Wenn es die Vorgesetzten und anderen Rekruten einmal auf dich abgesehen haben, kommst du da nicht mehr so schnell raus. Dann wirst du gehänselt, beschimpft und fertig gemacht. Dir werden Dinge in die Schuhe geschoben, die du nie gemacht hast und du darfst Gegenstände putzen, die unputzbar sind. Womit wir beim ersten Punkt sind.

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Bestrafung

Bestrafungen können unterschiedlich heftig ausfallen, je nachdem was bestraft wird. Nicht selten mussten wir das Exerziergewehr so lange gegen unsere Schultern schlagen, bis wir vor Schmerzen aufgegeben haben. Einige Ausbildner haben uns Rekruten über den asphaltierten Boden robben lassen bis unsere Ellenbogen offen und blutig waren. Das alles nennen sie zwar offiziell „Ausbildungsphase", in meinen Augen ist das aber eindeutig Bestrafung. Genauso wie die „Nachbildung". Die kommt ins Spiel, wenn zum Beispiel deine Schuhe nicht gründlich genug geputzt sind. In diesem Fall hast du ein Wochenende lang eine Nachschulung zum Schuhputzen, oder Schuhbinden, oder Bettmachen, oder Exerzieren, oder was auch immer du falsch gemacht hast.

Wenn du Pech hast, musst du auf so genannte „Spezialausbildung". Das bedeutet, du darfst den ganzen Tag in voller Montur—also mit Waffe, 60-Kilo-Rucksack, schwerem Kampfanzug und Stiefeln—alleine deinem Ausbildner hinterherrennen. Solange, bis du zusammenbrichst. Und selbst wenn du dich von oben bis unten ankotzt, ist ihm das scheißegal. Er sieht dich höchstens an, befielt dir, einen Schluck Wasser zu trinken und dann muss es weitergehen. Andere würden das fast schon als Folter bezeichnen. Aber solange der Ausbildner die Sachen, zu denen er dich zwingt, auch selbst mitmacht, zählt das Argument nicht.

Ein Ausbildner von uns hat sich gerne mal um 3:00 Uhr in der Früh in den Kasernenhof gestellt und urplötzlich lauthals „Alarm!" geschrien. Alle Rekruten müssen in diesem Fall augenblicklich (und in Unterwäsche) zum Exerzierplatz laufen und dort in Grundstellung auf weitere Anweisungen warten. Anweisungen wie: „Bringt alle eure Spinds in den Hof und baut sie auseinander. Wenn ihr damit fertig seid, baut sie wieder zusammen und dann wieder auseinander und dann wieder zusammen und dann wieder …" Oder: „Schiebt den 780-Kilogramm-Granatwerfer jetzt mal einige Kilometer diesen Forstweg entlang." Idiotischer geht es nicht mehr.

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Darüber hinaus gibt es immer auch Geldstrafen. Teilweise auch solche, die deinen eigenen Sold übersteigen. Oft zu spät kommen, Waffe verlieren oder kaputt machen, aus der Formation bewegen, auffälliges Verhalten in jeglicher Form wird mit Geldzahlungen bestraft. Oder sie verbieten dir, als einziger im ganzen Zug zu rauchen. Die Begründung dafür kann alles sein, auch wenn sie sich im Endeffekt etwas einfallen lassen. Im Zweifelsfall lügen sie das Blaue vom Himmel, denn rechtfertigen darfst du dich ohnehin nicht. Du hast dann nur mehr die Möglichkeit, einen Zeugen hinzuzuziehen, der irgendwie beweisen kann, dass du eine Sache nie getan haben kannst.

Am schlimmsten ist es, wenn sie wegen dem Verhalten eines Einzelnen die ganze Gruppe bestrafen, weil sie die Rekruten so gegeneinander aufhetzen und das Gemeinschaftsgefühl zerstören. Also wie gesagt: Ruhe geben und folgen.

Alkohol

Grundsätzlich ist Alkohol streng verboten. Von den Rekruten bis zum Stabsführer sauft dort aber trotzdem jeder, was das Verbot ziemlich relativiert. Unser Truppenführer hatte zum Beispiel ständig einen Flachmann mit Schnaps und teilweise auch ganze Stroh 80 Flaschen dabei. Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich ihn jemals nüchtern erlebt habe.

Generell laufen dort viele krankhaft Alkoholsüchtige herum, die ihr Möglichstes tun, um ihren Spiegel oben zu halten. Aber während wir den Vorgesetzten hilflos beim Besaufen zusehen müssen, werden wir Rekruten natürlich bestraft, wenn man dabei erwischt wird. Hier setzen sie zur Abschreckung wieder gerne auf Gruppenbestrafungen, bei der das ganze Zimmer drankommt. Wir mussten einmal eine ganze Nacht lang im Kasernenhof unsere ABC-Anzüge mitsamt den Gasmasken an- und ausziehen. Vom Trinken hat uns das zwar später nicht abgehalten, aber wir waren zumindest vorsichtiger.

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Sexismus

Sexismus beim Bundesheer kommt auf jeden Fall vor und das sogar relativ häufig. Frauen beim Heer sind immer noch ziemlich selten, aber wenn sie einmal da sind, ist nicht jeder gut auf sie zu sprechen. Ich weiß noch, dass mein direkter Vorgesetzter gegenüber Frauen beim Heer nicht sehr positiv eingestellt war. Wenn jemand ein Loch im Hemd hatte, war die erste Aussage meistens: „Brings da Oiden, die soll das flicken." Oder „Was mocht die Oide da? Die kann eh nix, stelltsas zrück in die Küchn!"

Solche und ähnliche Aussagen sind oft gefallen, sobald keine der Soldatinnen mehr in der Nähe waren. Den großen Respekt gegenüber Frauen beim Heer, den sie in den Werbungen immer anpreisen, habe ich nicht erlebt. Das Bild der coolen, stolzen Frau, die voll ins System eingegliedert ist und von ihrem Umfeld respektiert und geschätzt wird, der man eine Karriere und Aufstiegschancen ermöglicht, ist meines Erachtens völliger Blödsinn. Es ist nach wie vor ein von Männern dominiertes und intolerantes System, und das merkt man in jeder Hinsicht.

Wir hatten eine Ausbildnerin mit relativ hohem Rang, eine Stabswachtmeisterin. Sie wurde von ihren männlichen Kollegen zwar respektiert, aber auch nur solange sie anwesend war. Die Anerkennung hat sich dann ganz schön schnell in Luft aufgelöst. Kaum war sie weg, ging es los mit „Was macht die Fut bei uns? Die ist ja behindert!" gefolgt von diversen Witzen über OBs und Binden. Die Grundsatzregel lautet wohl: je männlicher du bist, desto mehr Respekt wird dir gezollt.

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Aus demselben Grund waren die Frauen auch die wesentlich schlimmeren Ausbildner. Sie dachten wohl, dass sie härter durchgreifen müssen, um sich zu beweisen. Härtere Bestrafungen und regelmäßige Schreiakte inkludiert.

Sex

Sex ist natürlich tabu. Laut den Heeres-Richtlinien muss eine strenge Geschlechtertrennung erfolgen. Das bedeutet, dass Frauen entweder ihre eigenen Bereiche haben, oder dass es einen speziellen Zeitplan für Duschen und Klos gibt, der die Geschlechter auseinanderhält. Aber genau wie beim Alkohol hält sich nicht jeder dran. Ich habe nicht nur einmal die Wachtmeister untereinander reden gehört, wie sie über Sex mit irgendwelchen Kolleginnen prahlen. „Gestern Nacht hob i die eine in der Vorratskammer gschustert!" Da es natürlich keine Fotos oder Knutschflecken gibt, die das beweisen können, kann es unter Umständen auch sein, dass alles nur verzweifelte, notgeile Lügenmärchen sind, die ihre unglaubliche Männlichkeit unterstreichen sollten. Allerdings ist mir auch passiert, dass ich verstörende Sex-Schreie durch die geschlossene Zimmertüre eines Korporals gehört habe.

Ob und inwiefern Punkte wie Konkurrenz und Neid dabei eine Rolle spielen, weiß ich nicht. Ist es ein Verdienst, wenn man so viele Soldatinnen wie möglich vögelt? Eine Frau geht ja nicht zum Bundesheer, weil sie dort haufenweise notgeile Männer um sich haben kann, die nur darauf warten, über sie herfallen zu können, sondern weil sie sich eine Karriere erhofft, oder?

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Es gibt auch Gerüchte, dass weibliche Vorgesetzte mit Grundwehrdienern schlafen, aber so etwas habe ich nicht mitbekommen. Man muss sich auch bewusst sein, dass die meisten der Rekruten pubertierende 18-Jährige sind. Wenn die lange keine Frauen sehen, werden sie fast wahnsinnig. Alles ist plötzlich auf irgendeine Art erregend und zehrt an der Aufmerksamkeit. Da wundert es nicht, wenn einige immer wieder zum Wichsen aufs Klo verschwinden.

Religion

Religion spielt eigentlich kaum eine Rolle. Außer vielleicht beim Essen. Da wird zwar schon versucht, auf diverse Essengepflogenheiten einzugehen und spezielle Menüs für Christen, Juden oder Moslems anzubieten—aber ob die entsprechenden Leute auch das richtige Menü bekommen, ist nicht garantiert. Es gibt einen Essensplan, auf dem steht, wie viele Leute welche Menüs bekommen. Das heißt, es gibt nur eine begrenzte Stückzahl. Aber wer genau was isst, ist völlig offen. Wenn ein Arschloch einmal Gusto auf Hühnchen hat, das aber für jemand anderen gedacht war, dann können die beiden darum kämpfen. Unter Umständen bleibt dann nichts mehr übrig. Im Feld gab es für uns auch immer nur Schweinewurst, Schweineaufstrich oder -pastete, während Muslime nur Bananen, Äpfel oder Müsliriegel bekamen. Dasselbe gilt für Vegetarier oder Veganer.

Munchies: Vegane Soldaten haben die Nase voll.

Nazis

Nazis oder sagen wir vorsichtiger: dem Nationalsozialismus gegenüber nicht ganz abneigend eingestellte Menschen gibt es auf jeden Fall im Heer. Kühnen-, Hitlergrüße und andere eindeutige Zeichen standen an der Tagesordnung. Anfangs hat es vielleicht als Spaß begonnen, aber da niemand versucht hat, das einzubremsen, hat sich das Ganze verbreitet, wurde von anderen aufgegriffen und nach einigen Wochen zur Gewohnheit. Ein verrückter Rekrut hatte sogar eine komplette SS-Uniform dabei, die er normalerweise zum Airsoftspielen verwendet. Ich meine, da kann man sich ja nur mehr an den Kopf greifen, oder? Das könnte man anzeigen, tut aber keiner. Ich selbst hatte nämlich Angst vor „außerkasernlicher Zur-Rede-Stellung" … im Sinne von: vielen, vielen Schlägen.

Homosexualität

Schwulsein geht einfach gar nicht. Du bist sofort unten durch und hast als Grundwehrdiener ein riesiges Problem. Wenn du dich dort outest, schießt du dich damit eigenständig ins Aus. Die Kameradschaft schließt dich aus oder du wirst von Vorgesetzten schikaniert. Leute verlassen angewidert die Gemeinschaftsduschen und sehen dich schief an. Ein paar Idioten wollten einem schwulen Rekruten einmal einen Besenstiel in den Hintern schieben. Ansonsten habe ich nicht allzu viel mitbekommen, aber ich bin mir sicher, dass der Grundwehrdienst als geouteter Homosexueller ziemlich grausam sein kann.

Heute würde ich mich jedenfalls nicht mehr für den Heeresdienst entscheiden. Dass man dort wie Dreck behandelt wird, finde ich nicht OK und war mir vorher auch nicht wirklich klar. Zumindest nicht in dem Ausmaß. Wir mussten auch unterschreiben, dass wir während und nach dem Wehrdienst weder schlecht über das Bundesheer reden noch Fotos veröffentlichen. Sie achten penibel darauf, dass das Image nicht beschmutzt wird—was auch der Grund dafür ist, warum ich meinen Namen und meine Kaserne nicht nennen wollte.

Ihr könnt Philipp auch auf Twitter quälen: @Phimiki


Titelfoto: Garde via photopin (license)