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Im Gespräch mit Leuten, die bis zu 20 Mal im Jahr Ayahuasca nehmen

Viele sagen, eine Zeremonie sei so viel wert wie zehn Jahre Therapie. Wer also zwanzigmal in den Aya-Becher schaut, hat schon 200 Jahre Therapie geschafft.

Schon wieder dieses Zeug | Foto: Terpsichore | Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0

Es wirkt inzwischen, als könnte man in den Großstädten des Westens kaum einen Kiesel werfen, ohne damit eine Person zu treffen, die schon einmal an einer Ayahuasca-Zeremonie teilgenommen hat. Ich sehe darin, wie auch schon im Siegeszug von Yoga, eine gute Sache. Wie könnte es auch schlecht sein, wenn mehr Leute auf Achtsamkeit, Meditation und Selbstverbesserung stehen (auch wenn die Mode ziemlich fragwürdig ist)?

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Es gibt verschiedene Gründe, warum Menschen bei diesen Zeremonien mitmachen. Wegen lebenslanger Probleme mit der Gesundheit und Sucht, oder der Suche nach spiritueller Erfahrung. Manche wollen einfach nur der Langeweile ihres Lebens entkommen, während Andere sagen, eine Nacht mit Ayahuasca sei so viel wert wie zehn Jahre Therapie. Forscher arbeiten noch immer daran zu verstehen, was im Körper und in der Psyche eines Menschen während und nach diesen tiefschürfenden Erfahrungen vor sich geht.

Für viele Leute ist Ayahuasca eine einmalige Sache, ein heilendes Wochenenderlebnis, das ihr Leben von Grund auf verändert. Doch für einen kleinen Prozentsatz der westlichen Weltbevölkerung ist die "Seelenliane" zu einem Teil des Alltags geworden und sie nehmen die uralte Naturdroge viele Male im Jahr. VICE hat sich mit einigen Leuten darüber unterhalten, warum sie Ayahuasca zu einem Teil ihres Lebens gemacht haben.

Scottie Colin, 40
Holzarbeiter
Vancouver

Ich habe dieses Jahr etwa 20 Zeremonien mitgemacht. Fünf davon waren größere, zweitägige Zeremonien.

Ich mache jeden Monat eine Zeremonie, die ziemlich mild ist. Man trinkt weniger [Ayahuasca-Gebräu] und nur an einem Abend. Es ist mehr wie eine Meditationszeremonie und hat nicht dieselbe Schwere. Gekotze gibt es da auch keins. Das hält mich spirituell mit allem im Einklang.

Die Leute hören vom Kotzen und Weinen, von all den negativen Auswirkungen. Aber ich denke mir mehr so: "Jawohl, gehen wir's an!" Ich bin heroinsüchtig. Du willst über Leid sprechen? Ich habe mich schon gefühlt, als würde ich sterben. Denn bei Heroin ist völlig egal, ob du mal eine Überdosis erwischst, du wirst es trotzdem einfach wieder tun. Und es ist Leid, und noch mehr Leid.

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Ich bin jetzt seit etwa drei Jahren clean. Anfangs habe ich aufgehört, indem ich zu den Anonymen gegangen bin und die zwölf Schritte mitgemacht hab. Die Anonymen geben einem viel Selbsterkenntnis mit. Sie helfen einem zu verstehen, welche Gründe das eigene Handeln hat und wie wir unsere ganzen Probleme manifestieren, wie wir uns auf andere Menschen auswirken und dass wir von Natur aus sehr egozentrisch sind. Aber diese Leute leben in Krankheit. Sie bleiben bei dem Problem. Sie erzählen dieselbe Geschichte wieder und wieder und wieder. Ich bin fest entschlossen, mich davon weg zu bewegen und zu heilen.

Nach einem Jahr des Clean-Seins hatte ich einen Rückfall, der vier Monate anhielt. Das letzte Mal habe ich am 10. Juli vor fast drei Jahren aufgehört.

Es gab aber immer noch Dinge, mit denen ich gekämpft habe. Ich hatte keine spirituelle Verbindung. Ich wusste, dass es da draußen noch mehr gibt. Ich wusste, dass etwas sich verschieben musste. Dann hatte ich die Gelegenheit, Ayahuasca zu nehmen, wovon ich schon lange gehört hatte. Es hat mir wirklich viel abverlangt, mich meinem Sponsor gegenüber durchzusetzen und zu sagen: "Ich mache das jetzt." Denn bei denen geht es nur um reine Abstinenz. Sie sagten alle: "Das hier ist ein Rückfall, das ist ein Rückfall."

Als ich mein erstes Erwachen hatte, wendete sich alles radikal um 180 Grad. Ich fühlte mich in Sicherheit, ich fühlte mich sehr befreit—zum ersten Mal im Leben frei. Mein ganzes Leben ergab Sinn. Mir wurde dadurch klar, dass meine Intuition mich zu diesem Zeitpunkt an diesen Ort getragen hatte. Ich suchte Selbsthilfegruppen im Internet. Ich hatte etwas so Tiefgreifendes und Bedeutsames erlebt und musste einfach mit Leuten reden, die dasselbe erlebt hatten.

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Für mich geht es bei Ayahuasca darum, mich auf etwas zu konzentrieren, das mir Halt gibt und mich davon abhält, meinen zwangsneurotischen Zügen zum Opfer zu fallen. Ayahuasca ist dabei nicht die Lösung; es ist nur ein Weg zur Lösung. Und deswegen weiß ich auch, dass es OK für mich sein wird, wenn ich mal keinen Zugang mehr dazu habe, denn ich werde dann trotzdem noch wissen, dass diese Macht existiert. Ayahuasca macht sie einfach nur sehr spürbar und real.

Amy Manusov, 29
Musikerin
Toronto

Ich habe vor mehr als fünf Jahren davon erfahren. Es war ziemlich schwierig, Leute zu finden, mit denen ich es ausprobieren konnte. Ich bin Yogalehrerin und interessiere mich schon lange für gewisse Strömungen östlicher Philosophie und überhaupt alles, das sich abseits des Mainstreams befindet. Ich habe auch schon immer Drogen als Genussmittel genommen. Dieses Jahr habe ich schon acht Zeremonien mitgemacht.

Rückblickend kann ich sagen, dass es attraktiv auf mich wirkte, weil ich schon immer mit Depressionen und Angstgefühlen zu kämpfen hatte. Damit kämpfe ich schon seit meiner Teenagerzeit—dieses Gefühl, völlig alleine dazustehen.

MUNCHIES: Ayahuasca statt Messwein — in den USA gibt es nun die erste Ayahuasca-Kirche

Ich habe schon kognitive Verhaltenstherapie gemacht, einmal in einer sechsmonatigen Gruppentherapie und einmal als ambulante Patientin in einer Klinik. Und Psychotherapie. Ich habe ein paar verschiedene Ansätze ausprobiert, die einigermaßen etwas brachten, aber … sie halfen alle nicht bei dem, was ich als den Kern meiner Probleme sah—etwas, das irgendwie viel existentieller wirkte. Es widerstrebt mir zwar zu sagen, dass ich auf der Sache nach einer spirituellen Komponente in meiner Therapie war, aber das war tatsächlich das fehlende Element. Ich wusste es damals nur noch nicht. Ich wusste nur, dass die konventionelle Therapie zwar half, aber für mich nicht die richtige Lösung war.

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Ich denke nicht, dass ich das für den Rest meines Lebens achtmal jährlich machen werde. Aber ich würde definitiv lieber das machen, als jeden Tag bis an mein Lebensende Antidepressiva zu nehmen. Ich finde, das ist eigentlich eine ziemlich vernünftige Alternative; mir hat es das Absetzen meiner Antidepressiva ermöglicht.

Gerald Thomas, 52
Suchtforscher
Vancouver

Ich habe seit Februar 2011 an insgesamt elf Zeremonien teilgenommen. Also im Durchschnitt etwas mehr als zwei im Jahr. Bei diesen Veranstaltungen hast du Erfahrungen, auf die dich nichts vorbereiten kann. Ich meine, das erste Mal, als ich Ayahuasca genommen habe, habe ich mit Gott gesprochen. Innerhalb von 15 bis 20 Minuten, nachdem die volle Wirkung eingetreten war … war es das volle Programm. Auf jede Frage, die ich stellte, gab es eine Antwort. Es war heftig.

Man sagt, wir seien alle eins, und die Physik nimmt uns auch schon auf eine seltsame Reise mit, aber wenn du diese Dinge mit deinem Bewusstsein erfährst, gewinnt das alles eine ganz neue Bedeutung. Und diese neue Bedeutung lautet: "Ich kann die Welt nicht mehr mit denselben Augen sehen." Denn wenn du dich in diese Situation hineinbegibst, dann hast du schon gewisse Annahmen—du weißt schon, dieses "Wir sind alle eins", was die Leute immer sagen. Aber jetzt weiß ich es und du könntest mich niemals vom Gegenteil überzeugen.

Mein spiritueller Mentor sagte zu mir: "Das Problem mit euch westlichen Leuten ist, dass ihr gleich losrennt und es nochmal macht." Er sagt: "Wir bringen unseren Leute bei, mit der Erfahrung zu gehen, bis sie unten in den Füßen angekommen ist. Zieh nicht los auf der Suche nach einer weiteren Breitseite zwischen die Augen, bis du das Gelernte nicht wirklich integriert hast." Es ist, wie er gesagt hat. Verankere das, was du lernst, erst einmal in deinem Alltagsleben, bevor du dich auf die Suche nach der nächsten Weisheit oder transzendentalen Erfahrung machst. Das ist eine Lektion, die man ziemlich ernst nehmen sollte.

Es ist mir ein Anliegen, dass alles, was vor und nach [der Einnahme von Ayahuasca] kommt, den Leuten genauso wichtig erscheint. Denn das ist es, was wir noch falsch machen. Wir nähern uns mit technologischen Ansätzen [einer Therapie], die im Dschungel geboren wurde, Herrgott nochmal—eine andere Kultur, eine andere Umgebung. All das. Und wir verpflanzen es in unsere Welt und hoffen auf das Beste, dabei könnten wir es so viel besser machen.

Ich kann dir sagen, dass zu jeder Ayahuasca-Einnahme—jeder einzelnen—potentiell monatelange Nacharbeit gehören. Du musst reflektieren, was du gelernt hast, wie du dich verändert hast. Daher habe ich mir selbst versprochen, es nicht zu tun, wenn ich davor und danach nicht die nötige Zeit zum Verarbeiten habe. Bei meinem hektischen Leben kann das schon eine Weile dauern. Im Grunde muss ich meinen Urlaub danach planen.