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Reisen

Im lächerlichen Palast eines Tyrannen

Vor 25 Jahren wurden der rumänische Präsident Nicolae Ceaușescu und seine Frau Elena von ihren wütenden Bürgern hingerichtet. Ich besuchte sein Vermächtnis, einen Palast.
Alle Fotos: Henry Wismayer

Das Bildmaterial ist inzwischen vergilbt und grießig, doch es hat nichts von seiner Wirkung verloren. Elena, Rumäniens verachtete Lady Macbeth, schreit „Schande, Schande über euch!", als die Soldaten, die einst ihrem Ehemann gehorchten, ihr die Hände hinter dem Rücken verdrehen. Dann ein Schnitt: Die blassen Leichen liegen rücklings auf gebeugten Knien in einer Blutlache.

An einem Montagmorgen in Bukarest sehe ich mir das Video 25 Jahre nach der Hinrichtung von Nicolae Ceaușescu, dem ungebildeten Menschenhasser, der zum allmächtigen Diktator wurde, und seiner Frau Elena am 1. Weihnachtstag 1989 an. Die Barracken in Targoviste, wo ein Kugelhagel Ceaușescus Herrschaft nach einem Schnellverfahren beendete, wurden letztes Jahr als Touristenattraktion geöffnet. Doch um die Denkweise eines Monsters verstehen zu lernen, gibt es ein geeigneteres Gebäude. Es ist wahrscheinlich eines der unübersehbarsten Gebäude in Europa.

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Eine Stunde später stehe ich am Rand einer kleinen Gruppe, während Fremdenführerin Elena, deren Gesichtszüge weit weniger scharf geschnitten sind als die ihrer berühmten Namensvetterin, uns durch einen langen, mit rotem Teppich ausgelegten und von korinthischen Säulen gesäumten Flur führt. Das ist der Anfang unserer Führung durch den Parlamentspalast, das kolossale Gebäude, das Ceaușescus Lieblingsprojekt war. Heutzutage gehört es zu den meistbesuchten Touristenzielen in Bukarest.

Allein die Zahlen sind schon atemberaubend: Zwölf Stockwerke über dem Erdboden, acht darunter, knapp 340.000 Quadratmeter, die auf 1100 Räume verteilt wurden. Der Palast hat geschätzte 3,4 Milliarden Euro gekostet und ist damit wohl das teuerste Verwaltungsgebäude der Welt und das zweitgrößte nach dem Pentagon. Doch während es in den insgesamt 27 Kilometer langen Fluren des Pentagon von Angestellten nur so wimmelt (26.000 kümmern sich um die nationale Sicherheit), stehen im Palast, der heute das rumänische Parlament beherbergt, die meisten Räume leer.

Abgesehen von einer allgemeinen touristischen Neugier hatte ich persönliche Gründe für meinen Besuch in Ceaușescus nutzlosem Prunkbau. Als der Diktator hingerichtet wurde, war ich noch in der Grundschule. Doch irgendwie, vielleicht durch einen flüchtigen Blick auf das Titelbild der Tageszeitung, hat sich das Bild der Leichen in mein Gedächtnis eingebrannt. Vom letzten europäischen Despoten des 20. Jahrhunderts blieb nicht mehr übrig als ein blutiger Haufen.

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Für meine jungen, unschuldigen Augen war das das Ende einer Illusion, die Erkenntnis, dass all die furchtbaren Dinge, über die ich in meinen Geschichtsbüchern für Kinder gelesen hatte und die mir fern und vergangen erschienen, immer noch geschahen und wahrscheinlich immer geschehen würden.

In den darauffolgenden Monaten verließ das prekäre Rumänien, das die Ceaușescus hinterlassen hatten, ein hoffnungsloses Land voll wirtschaftlicher Not und tanzender Bären, die Schlagzeilen nicht. 1967 wurde der berüchtigte Erlass 770 in Kraft gesetzt, mit dem das Regime Verhütungsmittel und Abtreibung verbot, um so das Bevölkerungswachstum anzukurbeln.

Tausende verarmte Familien waren nicht mehr in der Lage, ihren zahlreichen Nachwuchs zu ernähren, und mussten die Kinder deshalb in staatliche Heime geben. Ceaușescu hatte die knappe Staatskasse geplündert, um seinen Palast zu bauen. Nach seinem Tod verursachten die verwahrlosten und chronisch unterfinanzierten „Waisenheime" weltweit Empörung.

Jetzt besuche ich das Land das erste Mal und sehe, wofür das Vermögen des Landes verschwendet wurde, während Zehntausende Kinder in elenden Verhältnissen lebten. Hierfür nämlich: den unzweckmäßigen und übereifrigen Wunschtraum eines Wahnsinnigen.

Wir schlurfen hinter Elena her, von einem riesigen Raum zum nächsten. Es gibt einen „Presseraum" von der Größe eines Fußballfeldes, in dem außer einer antiquierten Videokamera für Interviews nichts weiter steht, einen kreisförmigen Konferenzraum unterhalb eines riesengroßen, fünf Tonnen schweren Kristallleuchters und einen großen Ballsaal mit gläserner Decke, in dem Ceaușescu ausländische Würdenträger umwerben wollte.

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Doch abgesehen von der schieren Größe gibt es nicht viel Aufregendes. Der Palast stellt einen Mischmasch aus Rokoko, byzantinischer Architektur und Barock dar, die alle in einer stumpfen, kommunistischen Ästhetik und den kollidierenden Vorstellungen von 700 Architekten zusammengeführt wurden. Das Resultat ist eher ernüchternd als grandios. Man sollte Architekturstudenten hierher führen, um ihnen zu zeigen, dass es nach hinten losgehen kann, wenn man nur ein einziges Material verwendet (in diesem Fall eine Million Kubikmeter Marmor).

Der Teufel steckt im Detail. Ceaușescu war besessen davon, Rumäniens nationale Identität zu verherrlichen, deshalb bestand er darauf, dass jeder Ziegel und jede Rüsche in Rumänien hergestellt werden. Elena erzählt uns, dass für den Brokat an der Wand eigens Seidenraupen aus Asien importiert wurden, damit behauptet werden konnte, dass heimischer Stoff verwendet worden sei.

Doch trotz seiner Anstrengungen sieht das Ergebnis jetzt abgenutzt aus. Die in Rumänien hergestellten Teppiche sind an den Rändern schon ganz ausgefranst, die Fahrstühle sehen aus, als ob man sie aus einer Sozialbausiedlung aus den 60ern gestohlen hätte, in den Kristallleuchtern sind Hunderte Glühbirnen durchgebrannt. Vor dem Gebäude ist mir aufgefallen, dass nur die Hecken in der Mitte geschnitten waren. Es wirkt so, als ob der Gärtner diesen Teil beschnitten hätte, danach mit den Schultern gezuckt hätte und eine Flasche Ursus trinken gegangen wäre.

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Die Atmosphäre der Vernachlässigung spricht Bände über die Verachtung, die dem Urheber dieses Gebäudes heutzutage entgegen gebracht wird. Elena zum Beispiel hat nicht das Gefühl, dass sie das Erbe Ceaușescus schönreden müsste. „Er hat sich nicht um die Menschen in Rumänien geschert", sagt sie verbittert, als wir weitergehen. „Er dachte immer nur an sich selbst."

In der Eingangshalle gehen wir an rätselhaften Gardisten mit zeremoniellen Säbeln vorbei die monumentale Treppe hoch. Angeblich wurde sie sieben mal errichtet und wieder auseinandergenommen, weil Ceaușescu sich nicht für eine Ausrichtung entscheiden konnte. Danach betreten wir einen riesigen beigen Konferenzraum, in dem meine Vorstellungskraft—befeuert durch Bilder vom Despoten während einer seiner Reden—automatisch Bilder von Sitzreihen voller uniformierter Menschen beschwört, die bei jeder Verkündigung ihres glorreichen Anführers klatschen.

Das selbsternannte „Genie der Karpaten" hätte das zweifellos ausgeschlachtet, denn seine Eitelkeit war legendär. Wie sein Kumpel Kim Il-Sung in Nordkorea war er die Verkörperung des Napoleon-Komplexes. Als er 1965 die Macht ergriff, wurde sein Gesicht in Bilder des Kampfes gegen den Faschismus hineingemalt. Spätere Porträts wurden immer wieder nachgebessert, sodass es aussah, als ob er nicht älter werden würde. Die Hypothese liegt auf der Hand, dass der Palast nichts anderes war als eine kolossale Kompensierung.

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Am anderen Ende des Konferenzraumes betreten wir durch eine große Flügeltür einen mit Säulen gesäumten Balkon, vom dem aus Ceaușescu Ansprachen an sein eingeschüchtertes Volk halten wollte. Von hier aus entfaltet sich die Vision Ceaușescus zu den Füßen der Besucher: Er wollte die rumänische Hauptstadt in ein zweites Paris verwandeln. Auf beiden Seiten des Boulevards der Einheit ziehen sich die geometrischen Linien der Neugestaltung, die den Bau des Palastes begleitet haben. Ein großer Teil des historischen Viertels, einschließlich Dutzender jahrhundertealter Kirchen, wurde zerstört. 40.000 Menschen wurden aus ihren Wohnhäusern vertrieben, als ganze Straßenzüge auf Ceaușescus Anweisung hin zerstört wurden.

Vor diesem Hintergrund ging seine Herrschaft zu Ende. Am 21. Dezember trat Ceaușescu auf einen weiteren Balkon, etwa 1500 m nördlich von hier, um zum Volk zu sprechen. Die Berliner Mauer war kurz zuvor gefallen. Unruhen, die in der im Westen gelegenen Stadt Timisoara ausgebrochen waren, hatten sich auf das ganze Land ausgebreitet.

Als die Menge ihn durch Zwischenrufe aus dem Konzept brachte, sank er in sich zusammen und sah aus wie ein verwirrter alter Mann. Zusammen mit Elena und ihrem einzigen verbliebenen Bodyguard floh er in einem gestohlenen Auto. Nachdem sie später gefangen genommen worden waren, wurde ihnen in einem Schnellverfahren der Prozess gemacht. Nicolae und Elena wurden zur Todesstrafe verurteilt, diese sollte an Ort und Stelle vollstreckt werden. Die Ceaușescus waren fassungslos. Während sie lautstark protestierten, wurden sie nach draußen gezerrt, um ihrem Ende entgegen zu sehen.

Ceaușescu hatte also nie die Gelegenheit gehabt, von seinem mit Säulen gesäumten Balkon aus eine Ansprache zu halten. Als die Fallschirmjäger ihn am 1. Weihnachtstag 1989 gegen die Barackenwand warfen, war sein Palast erst zu 70 Prozent fertig. „Er hat den fertiggestellten Palast nie gesehen", sagt Elena fröhlich, als wir den Parlamentspalast verlassen.

Die Schadenfreude und der Triumph in ihrer Stimme sagen mehr über das Erbe Ceaușescus aus, als es dieser Berg aus Marmor jemals tun könnte.