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Über 1000 Zeugen Jehovas wurden in Australien des Kindesmissbrauchs beschuldigt

Und keiner ist jemals der Polizei gemeldet worden.

Foto bereitgestellt von der Royal Commission into Institutional Responses to Child Sex Abuse

Eine gerade in Australien laufende staatliche Untersuchung hat ans Licht gebracht, dass dort seit 1950 mehr als 1000 Mitglieder der Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas des Kindesmissbrauchs beschuldigt wurden—und trotzdem wurde keiner dieser Menschen je der Polizei gemeldet.

Die Kirchenältesten folgten beim Thema sexueller Missbrauch einer strengen Vorgehensweise: Alle Beschwerden wurden unter Verschluss gehalten und man stellte selbst Ermittlungen an. Das musste sich die Royal Commission into Institutional Responses to Child Sex Abuse am Montag beim ersten Verhörtag über die Zeugen Jehovas anhören.

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Die aktuelle Verhörrunde ist Teil einer breit angelegten Kindesmissbrauchs-Ermittlung, die Australien seit 2013 in Atem hält. Damals wurde die Katholische Kirche des sexuellen Missbrauchs bezichtigt.

Laut der Zeitung Sydney Morning Herald haben sich ungefähr 60 Leute an die Kommission gewandt, weil sie etwas über sexuelle Übergriffe in den Kreisen der Zeugen Jehovas wussten.

„Die Zeugen Jehovas glauben daran, dass der Kindesmissbrauch nur dann endet, wenn man ‚Gottes Königreich unter Christus annimmt' und ‚Gott von ganzem Herzen liebt'", meinte Angus Stewart, ein Anwalt der Kommission, während der Anhörung.

Eine Frau, die nur unter dem Namen BCG auftreten wollte, erzählte der Kommission, wie sie von ihrem Vater, einem hohen Mitglied der Gemeinschaft, im Alter von 17 Jahren missbraucht wurde. Auch ihre drei Schwestern (vier und sechs Jahre alt) wurden Opfer des Mannes. Obwohl andere Erwachsene von den Missbräuchen wussten, dauerte es sechs Jahre und es waren drei Gerichtsverhandlungen nötig, um den Täter wegen seiner Verbrechen zu verurteilen.

„Ich betete immer zu Jehova, dass er Engel um mein Bett positioniert, die mich vor meinem Vater beschützen. Er half mir aber nicht und mein Vater machte immer weiter", sagte BCG im Zeugenstand. Dann fügte sich noch hinzu, dass sie von ihrem Vater auch mit einem Gürtel geschlagen wurde, wenn sie nicht zu den Gottesdiensten gehen wollte.

BCG ist inzwischen 43 Jahre alt und verbrachte einen Großteil ihrer Jugendjahre laut eigener Aussage in Angst davor, gegen ihren Vater auszusagen. Außerdem wollte sie nicht von der Kirche verstoßen werden, denn dort hatte sie gelernt, dass Gott jeden Menschen verlässt, der ihm nicht gehorcht.

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Schließlich vertraute sie sich doch den Kirchenältesten an, wurde dann aber bei mehreren Treffen dazu gezwungen, ihren Vater direkt zu konfrontieren—denn so war es bei den Zeugen Jehovas üblich. Der bedrohte sie daraufhin jedoch weiter und behauptete sogar, von ihr verführt worden zu sein. Außerdem wurde BCG angewiesen, die Sache mit keinem anderen Menschen zu besprechen. „Ich wurde darum gebeten, den Mann zu respektieren, der mir das alles angetan hatte", fuhr sie fort. „Niemand nahm mich ernst. Niemand unterstützte mich."

Die Kirchenältesten und andere Mitglieder gaben zu Protokoll, dass man auch aus den Zeugen Jehovas ausgeschlossen werden kann, wenn man sexuellen Missbrauch begeht. Den Opfern wird allerdings nur Glauben geschenkt, wenn der Täter seine Tat selbst gesteht oder wenn es mindestens zwei Zeugen gibt.

Eine weitere Zeugin namens BCB meinte gegenüber der Kommission, dass sie im Alter von 15 Jahren von einem der Kirchenältesten sexuell missbraucht wurde. Sie wurde danach auch dazu gezwungen, ihren Peiniger direkt zu konfrontieren—was die Übergriffe jedoch nur noch schlimmer machte.

BCB sagte, dass die Kirchenältesten sie davon abbringen wollten, vor der Kommission auszusagen. Sie befürchten, dass der Name Jehovas so „durch den Dreck gezogen wird."

Max Horley, einer der Kirchenältesten, die in BCBs Fall verwickelt waren, sagte bei der Befragung, dass die Opfer die Erlaubnis bekamen, zur Polizei zu gehen. Er gab allerdings auch zu, seine Notizen zu BCBs Vorwürfen vernichtet zu haben.

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„Wir wollen nicht, dass unsere Ehefrauen darüber Bescheid wissen, mit welchen Sachen wir uns beschäftigen", gab Horley zu Protokoll. „Die anderen Gemeindemitglieder sollen sich mit solchen Dingen nicht beschäftigen müssen."

Während der Untersuchung stellte sich auch heraus, dass 401 Mitglieder nach den internen Ermittlungen aus dem Kreis der Zeugen Jehovas ausgeschlossen wurden—jedoch durfte mehr als die Hälfte davon nach einer gewissen Zeit wieder zurückkehren.

Laut eigener Aussage gibt es weltweit mehr als 8 Millionen Zeugen Jehovas.

Die Zeugen Jehovas sind Teil einer Bewegung mit Wurzeln im Christentum, die im 19. Jahrhundert in den USA begann. Sie sind berüchtigt dafür, von Haus zu Haus zu ziehen, um über ihren Glauben zu reden und um fremde Menschen zu konvertieren. Außerdem bedeuten ihnen die meisten religiösen und säkularen Feiertage nichts und sie lehnen Dinge wie den Dienst an der Waffe oder Bluttransfusionen ab.

Schon seit Jahren gibt es in den Reihen der Zeugen Jehovas immer wieder Skandale—vor allem in Australien. Dort entwickelten sich tödliche Machtkämpfe zwischen führenden Mitgliedern und es wurden Anschuldigungen hervorgebracht, dass es sich bei der Gemeinschaft um eine gefährliche Sekte handeln würde.

Die Kommission untersuchte auch sexuelle Missbräuche, die angeblich in der australischen Gemeinde orthodoxer Juden stattgefunden haben. Außerdem werden noch zusätzliche Ermittlungen in nicht-religiösen Umfeldern wie Schulen oder Sportvereinen angestellt.

Die Anhörungen der Zeugen Jehovas wird wahrscheinlich noch zwei Wochen andauern. Die Kommission wird dann abwägen, ob sie die Kirchenältesten, die die Missbräuche verschleiern wollten, vor Gericht bringen wird.