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In Jena wurden drei indische Studenten von Neonazis zusammengeschlagen

Opfer erheben schwere Vorwürfe gegen die Polizei, die die Tat nicht als rassistisch einstuft.
Denis Bocquet | Flickr | CC 2.0

In der Nacht zum Dienstag in der vergangenen Woche, wurden in Jena drei indische Studenten von einer Gruppe von acht bis neun Jugendlichen überfallen. Jena ist gleichzeitig die Heimat der Neonazi-Zelle NSU und von Josef S. Laut der Aussage der Opfer wurden sie geschlagen, getreten und mit Bierflaschen beworfen, während ihre Angreifer immer wieder „Ausländer raus!" riefen und den Hitlergruß zeigten. Einem der Studenten wurde so heftig gegen den Kopf getreten, dass sein linker Unterkiefer gebrochen wurde.

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Als die Angreifer von ihnen abließen, riefen die Studenten, von denen zwei an der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena studieren, die Polizei. Die herbeigerufenen drei Streifenwagen riefen einen Notarzt und nahmen den Vorfall als gefährliche Körperverletzung auf—allerdings ohne irgendeinen Bezug auf einen rassistischen Hintergrund. Außerdem befanden die Beamten, es sei „keine ärztliche Behandlung der Opfer notwendig".

Warum genau das so ist, darüber gehen die Versionen der Polizei und der indischen Studenten stark auseinander. Die Jenaer Polizei erklärte, die Opfer haben trotz mehrfachen Befragungen nicht angegeben, dass die Tat einen rassistischen Hintergrund gehabt habe. Überhaupt sei „die Kommunikation schwierig gewesen", weil die Studenten kaum deutsch sprachen.

Die Studenten allerdings schildern das Vorgehen der Beamten ziemlich anders. „Ihnen war das alles egal", erklärte einer von ihnen der Thüringer Allgemeinen. „Sie haben uns einfach nicht geglaubt." Und obwohl sie am nächsten Tag auf der Wache bereits den ärztlichen Befund über den Kieferbruch vorlegten, sei die Tat immer noch „stark angezweifelt" worden.

Der Stadtteil Jena-Lobeda, auch bekannt als „Heimat des NSU". Foto: imago/teutopress

Interessant ist auch, dass die Polizei behauptet, mehrere Personen aus der „Tätergruppe" später gefunden und ihre Personalien aufgenommen zu haben. Die Opfer seien bei dieser Fahrt dabei gewesen und hätten die Gruppe wiedererkannt, „aber auf mehrfaches Befragen einen fremdenfeindlichen Hintergrund ausgeschlossen." Die indischen Studenten selbst haben aber in ihrem Gedächtnisprotokoll angegeben, nur einer von ihnen sei mit der Polizei durch die Stadt gefahren, und dabei sei niemand entdeckt worden.

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Der Fall ist mittlerweile zum Politikum geworden. Am Montag fuhren zwei Angehörige der indischen Botschaft aus Berlin nach Jena, um sich von dem Jenaer Polizeidirektor über die Ermittlungen aufklären zu lassen und mit den Studenten zu sprechen. Der Thüringer Innenminister erklärte, eine sogenannte „Besondere Aufbauorganisation" für „Zentrale Ermittlungen und Strukturaufklärung – Rechts" (Zesar) arbeite mittlerweile „mit Hochdruck" an der Aufklärung der Straftat. Auch der Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken verurteilte den „rassistischen Überfall".

Der Angriff ereignete sich in dem Stadtteil Jena-Lobeda, demselben Stadteil, in dem Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aufgewachsen sind und der deshalb zusammen mit dem benachbarten Winzerla als „Heimat des NSU" gilt. Beobachter berichten, dass die rechtsradikale Mobilisierung in Ostthüringen in letzter Zeit wieder Fahrt aufgenommen habe.

„Die gewalttätigen Aktivitäten von Neonazis in Thüringen nehmen zu", schreibt die Linke-Landesabgeordnete Katharina König im Zeit-Blog Störungsmelder. „Scheinbar ist ihnen jede Hemmschwelle abhanden gekommen." Auch die Koordinierungsstelle des Runden Tisches gegen Rechtsextremismus, Kokont, erklärte, die Behörden unterschätzen die Situation in Lobeda. „Sie erinnere teils an die 1990er-Jahre", zitiert die Ostthüringer Zeitung.


Headerfoto: Denis Bocquet | Flickr | CC 2.0