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Popkultur

In diesem Kurzfilm geht es um ein Mädchen, das einfach anders ist

Eat My Shit ist ein unerwartet bewegender und aussagekräftiger Kommentar zur Zensur auf Social-Media-Plattformen. Wir haben uns mit dem 23-jährigen Regisseur über sein Werk unterhalten.

Eduardo Casanova ist ein 23 Jahre alter Regisseur aus Madrid und sein KurzfilmEat My Shit ist derzeit Kandidat eines Wettbewerbs, der von einem sehr bekannten irischen Whisky gesponsert wird. Nachdem das Werk auf der Wettbewerbsseite hochgeladen wurde, ist es in einigen europäischen Ländern viral gegangen—und zwar nicht nur wegen des prägnanten Namens oder dem sonderbaren Gesicht der Hauptdarstellerin. Nein. Casanova, der als Kind in einer berühmten spanischen TV-Serie mitgespielt hat, erschuf auf der Basis eines solch übertrieben sensationslüsternen, potenziell nervenaufreibenden und zuerst dubios erscheinenden Konzepts einen unerwartet bewegenden und aussagekräftigen Kommentar zur Zensur auf Social-Media-Plattformen. Dazu ist der Film noch schön kurz und du kannst dir ruhig mal die 210 Sekunden Zeit nehmen, um ihn anzuschauen.

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Die Geschichte beginnt, als Instagram das Selfie der Hauptdarstellerin Samantha wegen „sexuellen Inhalten" löscht. Dabei hat sie doch nur ein Bild ihres Gesichts gepostet! Sie sieht allerdings auch nicht wirklich normal aus. Es stellt sich heraus, dass sie mit einem faltigen, behaarten und hervortretenden Arschloch als Mund geboren wurde. Der Ort, an dem sich Samantha befindet, ist nur mit einem Stuhl, einem Tisch und einer total unsympathischen Kellnerin in Iron-Maiden-Shirt ausgestattet. Schließlich bestellt sie eine Suppe und blättert traurig durch ein Notizheft, in das sie hübsch lächelnde Gesichter eingeklebt hat. Am Ende des Films setzt sie schließlich ihre spezielle „Fähigkeit" ein, um den Service zu kommentieren, der ihr ihr ganzes Leben lang entgegengebracht wurde—eine umfassende Negativkritik, die dich gut und wie einen Sieger fühlen lässt, quasi ein Mittelfinger ins Gesicht aller Idioten dieser Welt.

Eduardo Casanova hat sofort zugestimmt, mir ein paar Fragen zu dem Kurzfilm zu beantworten. Er spricht zwar nur Spanisch, aber Eat My Shit ist in jeder Sprache eine aufwühlende Umsetzung des Konflikts zwischen Eigentümlichkeit und Ausgrenzung.

VICE: Du hast geschrieben, dass du deine Arbeit mit dem Geld bezahlt hast, das du mit deiner Schauspielerei in jungen Jahren verdient hast. Hast du auch das, was du von den damaligen Regisseuren gelernt hast, in Kurzfilme wie Eat My Shit einfließen lassen?
Eduardo Casanova: Ich habe als Schauspieler viel gelernt, vor allem wie man das Filmen hinter der Kamera angeht. Die Schauspielerei war quasi meine Brücke zur Regiearbeit.

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Du scheinst ja einen normalen Mund zu haben, deine künstlerischen Tendenzen sind hingegen nicht so konventionell. Findest du dich in der etwas anders aussehenden Protagonistin Samantha wieder? Wie autobiographisch ist Eat My Shit? Auf deiner Website erwähnst du auch deinen Therapeuten … Hatte für dich der Dreh etwas Kathartisches an sich?
Wir alle sind Samantha. Also niemand hat jetzt einen Anus im Gesicht—das glaube ich zumindest—, aber wir haben uns alle schon mal von etwas ausgeschlossen gefühlt oder können uns zumindest vorstellen, dass so etwas eines Tages passiert. Ich habe das ebenfalls schon durchgemacht, aber es ist bei mir auch kein Dauerzustand.

Hast du es wie die Protagonistin geschafft, deine Eigenheiten zu nutzen und dich damit zumindest ein bisschen an den echten Arschlöchern zu rächen?
Ich glaube schon. In Spanien, Frankreich und im Vereinigten Königreich ist Eat My Shit ein voller Erfolg. Der Film hat wirklich Potenzial. Dadurch habe ich den Eindruck, dass die Leute eine Frau mit einem Anus im Gesicht besser verstehen als gedacht.

War die reduzierte Ästhetik eine Notwendigkeit? Also hast du so zum Beispiel Geld gespart?
Alle ästhetischen Entscheidungen sollten moralisch gerechtfertigt sein. Sie ist alleine in der Bar, weil sie sich in der Welt einsam fühlt und sich vor der Gesellschaft versteckt. Jemand wie sie würde nie zu McDonald's gehen. Darüber hinaus macht das Ganze so einfach mehr her.

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Helfen Social-Media-Plattformen deiner Meinung nach gegen Einsamkeit?
Social-Media-Plattformen lassen dich glauben, dass du beliebt und wichtig für die Gesellschaft bist. Das stimmt allerdings nicht zwangsläufig. Soziale Netzwerke verschaffen dir einen Platz (einen von Millionen) in der Gesellschaft. Wenn also jemandem der Zugriff auf diese Plattformen verwehrt wird—so wie es bei Samantha der Fall ist—, dann ist das die schlimmste Ausgrenzung, die es gibt.

Bist du von Anfang an mit dem Ziel rangegangen, einen markanten Kommentar zur Online-Zensur abzugeben, oder bestand das Konzept eher daraus, etwas Interessantes über ein wortwörtliches Arschgesicht zu erschaffen?
In Eat My Shit geht es nicht um eine Frau mit einem Anus im Gesicht. Eat My Shit handelt von den Schwierigkeiten, mit denen anders aussehende Menschen in der Gesellschaft zu kämpfen haben. Eat My Shit ist ein Drama und deswegen ist so ein dramatisches Ende auch angebracht.

Du bist sicherlich froh darüber, dass dein Kurzfilm viral gegangen ist. Aber welche Ziele hast du dir sonst gesetzt?
Eines Tages will ich schon Spielfilme machen. Demzufolge funktioniert Eat My Shit wie eine Art Teaser für meinen ersten Spielfilm. Kurzfilme sind zwar schön und gut und können—wie in diesem Fall—auch viral gehen, aber ich habe das Bedürfnis, Geschichten zu erzählen, die noch etwas weiter ausholen.

Letzte Frage: Würde man von Analsex reden, wenn mir jemand wie Samantha einen bläst?
Auf jeden Fall.

Lee Klein ist der Autor von The Shimmering Go-Between: A Novel und Thanks and Sorry and Good Luck: Rejection Letters from the Eyeshot Outbox.